Feld & Stall
Naturwabenbau im Bienenvolk
von Norbert Poeplau
Seit mehr als 30 Millionen Jahren bauen Honigbienen ihre Waben aus körpereigenem Bienenwachs selbst. So scheint es fragwürdig, wenn die meisten Imker meinen, Bienenvölker durch Mittelwände mit genormter Zellprägung unterstützen zu müssen. Es gibt Konzepte für Naturwabenbau in modernen Beutensystemen.
Der Wabenbau eines Bienenvolkes entsteht durch die Zusammenarbeit vieler Arbeiterinnenbienen. Dabei werden von den Bienen kleine Wachsplättchen auf der Bauchseite des Hinterleibssegmentes ausgeschwitzt. Diese haben etwa die Größe menschlicher Haarschuppen und sind klar durchscheinend wie Bergkristall. Die frisch gebauten Naturwaben sind nahezu schneeweiß. Der bekannte gelbliche Farbton von Bienenwachs erscheint erst mit der zunehmenden Nutzung des Wabenwerks durch die Bienen. Die Wachsdrüsen einer Biene haben ihre größte Leistungsfähigkeit zwischen dem zwölften und dem achtzehnten Lebenstag. Nach dieser Zeit bilden sich die Wachsdrüsen wieder zurück, sie können unter besonderen Umständen jedoch wieder reaktiviert werden.
Wunderwerk Wabe
Die einzelne Wachsschuppe wird von der Biene mit dem Hinterfuß aufgespießt und über Mittelbeine und Vorderbeine zu den Mundwerkzeugen durchgereicht. Dort wird die Schuppe durchgeknetet und mit eigenem Drüsensekret vermischt. Die vorbereitete Wachsschuppe wird nun am Rand des Wabenbaus zu den vielen anderen hinzugefügt. 125.000 Wachsplättchen werden für 100 Gramm Bienenwachs benötigt. Daraus können etwa 8000 Zellen für die Honiglagerung oder Kinderstube gebaut werden. Nicht nur Mathematiker sind von der Exaktheit und Regelmäßigkeit des Wabenwerks fasziniert. Sie haben berechnet, dass die Bienenwabe die optimale Lösung darstellt, wenn mit möglichst wenig "Verpackungsmaterial" möglichst viel Raumvolumen umbaut werden soll.
Von einem oder mehreren Haltepunkten an der Decke ihrer Behausung beginnen die Bienen von oben nach unten wachsend die Waben zu bauen, in Mitteleuropa vor allem zwischen April und Juni. Die Bienen bauen allerdings nicht gleich sechseckig. Erst werden nahezu runde bzw. zylinderartige Zellen gebildet. Im Laufe der Arbeiten wird das Wachs von den Bienen auf ca. 40° C erwärmt, wird dadurch plastisch und nimmt selbständig die energetisch sparsamste Form an - die eines Sechseckes. Die Zellen haben im fertigen Sechseck eine gleichmäßige Wandstärke von nur 0,07 Millimeter. Das fertige Wabenwerk ist also eine Kombination aus einem genialen Baustoff und Wärme. Beides haben die Bienen selbst erzeugt. Innerhalb des selben Bienenvolkes ist die Zellgröße weitgehend konstant, variiert aber von Volk zu Volk. Das Wabenwerk ist also individueller Ausdruck eines jeden Bienenvolkes.
Die Bienen bauen lassen -gekoppelt an den Schwarmtrieb
Die Waben sind vor allem Produktions- und Speicherplatz für Honig, Speicherplatz für Pollen, Brutstätte für Jungbienen. Sie dienen weiterhin als Kommunikationsnetz, der Wärmeregulation und sind ein wesentlicher Faktor für die Volksgesundheit und das mehrjährige Überleben eines Volkes. Ein Quadratdezimeter Wabe wiegt nur zwölf Gramm, in ihr bringen die Bienen 350g Honig unter oder nutzen sie für 840 Arbeiterinnenbrutzellen oder 500 Drohnenzellen. In den Demeter-Richtlinien für Bienenhaltung wird dem Bedürfnis der Bienen, ihr differenziertes Wabenwerk selbst zu bauen, nachgekommen. Im Brutraum ist der Bau von großflächigen Naturwaben vorgeschrieben. Für das Brutnest soll den Völkern eine zusammenhängende Wabenfläche zur Verfügung gestellt werden, so dass es nicht durch Rähmchenträger getrennt wird. Der an den Brutraum angrenzende Honigraum darf nicht durch ein Absperrgitter, das die Königin im Brutraum gefangen hält, getrennt werden. Doch wie lässt sich dies in der imkerlichen Betriebsweise umsetzen?
Die Voraussetzung für die natürliche Vermehrung von Bienenvölkern ist der Schwarmtrieb. Dieser zeigt sich dem Imker durch bestiftete Weiselzellen. Bienen, die in den natürlichen Schwarmprozess eingebunden waren, gehen mit einer beeindruckenden Baudynamik daran, ihr neues Wabenwerk zu errichten, sobald sie eine geeignete Behausung gefunden haben. Stellt der Imker dem Volk eine Beute zur Verfügung, kann das Volk bei guter Tracht bzw. gleichmäßigem Futterstrom das gesamte Wabenwerk für ein großes Brutnest (ca. zehn Dadant Brutraumwaben) innerhalb von zwei Wochen fertig stellen. Die Baudynamik nimmt deutlich ab, wenn der Imker eingreift und bestimmt, welche Bienen mit der Königin ein neues Volk bilden sollen. Die Schwarmvorwegnahme ist als Methode der Völkervermehrung weitestgehend am natürlichen Schwarmgeschehen orientiert. Sie wird in der Demeter-Bienenhaltung praktiziert und ist sinnvoll, wo es nicht möglich ist, Bienen frei abschwärmen zu lassen.
Systematischer Naturwabenbau in einer Imkerei ist konsequent an die Schwarmbetriebsweise gekoppelt. Nur durch Völker, die ohne Wabenwerk gebildet werden und ihre Naturwaben wieder selbst bauen dürfen, ist gewährleistet, dass genügend Waben mit einem großen Anteil an Arbeiterinnenzellen entstehen. Denn diese werden zuerst gebaut, wenn ein Volk ganz neue Waben errichtet. Das ist aus dem Entwicklungsprozess verständlich: Im Volk werden erst einmal Zellen für Arbeiterinnenbrut benötigt, um ein überwinterungsfähiges Volk aufzubauen.
Gegensätzliches kann bei "Altvölkern" auf ihrem Wabenwerk beobachtet werden. Werden diese mit Leerrähmchen erweitert, so beginnen sie im Frühjahr überwiegend mit dem Bau von Drohnenzellen, um für die Befruchtung der schlüpfenden Jungköniginnen sorgen zu können. Erst wenn der Drohnenbautrieb im späten Frühjahr ausgelebt ist, folgt zunehmend auch Arbeiterinnenbau.
Die zweite Säule der Wabenerneuerung ist die Ablegerbildung durch Restvölker. Nach der Vermehrung durch einen natürlichen Schwarm oder der Schwarmvorwegnahme kann das Restvolk in Brutableger aufgeteilt werden. Dazu werden Einheiten mit ein bis zwei Brutwaben mit ansitzenden Bienen und mindestens einer Schwarmzelle und einer Futterwabe gebildet. Nachdem die erste Brut der frisch begatteten Königin verdeckelt ist, wird mit zwei weiteren Leerrähmchen und einer Futtertasche erweitert. Auch in diesen Völkern beginnt jetzt der Wabenbau mit Arbeiterinnenzellen. Weitere Leerrähmchen werden zugehängt, sobald die vorigen zu zwei Dritteln der Rähmchenfläche ausgebaut sind.
Wärme ist wichtig
Bei Völkern, die ihren Naturwabenbau aufbauen müssen, ist es wichtig, dass die Wärmeregulierung des Brutnestes für die Bienen nicht zu einer übermäßigen Belastung wird. Dies kann durch eine enge Führung erreicht werden. Optimal haben sich als Abgrenzung des Bienensitzes zum übrigen Volumen des Bienenkastens ca. 4 cm dicke Strohschiede bewährt. Sie liegen an den Seitenwänden der Beuten dicht an und ermöglichen den Bienen durch ihre atmungsaktive Oberfläche eine gute Regulierung des Kleinklimas. Ca. fünf Rähmchen sind im Bienensitz für den Anfang völlig ausreichend. Leerrähmchen müssen an der Unterseite des Oberträgers eine feste Richtungsvorgabe für die Baubienen haben. Dies kann durch einen zwei cm breiten Ansatzstreifen aus einer Mittelwand, einen einfachen Wachsstreifen, einer mit Bienenwachs bestrichenen Dreikantleiste oder einen speziellen, schiffsrumpfförmigen Oberträger aus Holz erfolgen. Das Einengen des Volkes hilft hierbei den Bienen, die Bauvorgabe anzunehmen und dem Imker Frust durch Querbau zu ersparen. Sobald die Königin ihre Legetätigkeit aufgenommen hat, lässt die Bautätigkeit nach, denn nun muss von den Arbeitsbienen auch die Brut versorgt werden. Frischer Naturwabenbau ist bestaunenswert und erscheint nicht nur sehr zart, er ist es auch. Deshalb muss der Imker sehr behutsam mit Naturbauwaben umgehen. Erst durch die Nutzung als Brutnest bekommen die Waben Stabilität. Je nach Proportion und Größe der Rähmchen wird eine Drahtung nötig.
Viele Imker benutzen den mobilen Wabenbau der Bienen im Rähmchen gerne wie einen Baukasten oder Ersatzteillager. Doch jedes Bienenvolk zeigt im Naturwabenbau ein Wabenwerk mit individuellem Charakter. Gerade dies macht die Demeter-Bienenhaltung so interessant für den Imker und ist so wichtig für die Bienen. Es ist die Grundlage für das Bienenwesen, sich kraftvoll zu inkarnieren.
Demeter-Imker Norbert Poeplau hält an der Lehr- und Versuchimkerei Fischermühle 130 Bienenvölker.
Fischermühle 7, 72348 Rosenfeld
Quellen
von Frisch, K.: Aus dem Leben der Bienen, Springer Verlag (1977)
von Frisch, K.: Dance language and orientation of bees. 1967 Harvard University Press (Cambridge, Massachusetts)
Seeley, T.D.: Honigbienen. Im Mikrokosmos des Bienenstocks
Seeley, T.D.: The wisdom of the hive. 1995 Harvard University Press (Cambridge, Massachusetts)
Tautz, J.: Phänomen Honigbiene, Spektrum Akademischer Verlag
Tautz, J.: The Buzz about Bees, Biology of a Superorganism, Springer Verlag