Portrait

Auf dem Hof kannst du was erleben

Der Dottenfelderhof bildet Schüler und Erwachsene

von Michael Olbrich-Majer

 

Ganz leise werdend hocken die Kinder um Guy Sidora auf dem Innenhof, denn wenn es zu laut und hektisch wird, „dann geben die Kühe weniger Milch. Ich brauche eure Aufmerksamkeit“ bittet der Bauernhofpädagoge und übt das auf musikalische Weise mit der 33- köpfigen dritten Klasse ein. Dann geht es zum Frühstück. Zuvor müssen Körner sortiert werden, die in Schälchen auf den Tischen stehen: Weizen, Dinkel, Roggen, Hafer, Buchweizen, für die Kinder kein Problem. „Lecker!“ tönt es dann durch den Raum, nachdem duftende Brote aus verschiedenen Getreiden aufgeschnitten und verteilt sind: Begeisterung für schlichtes Brot, Butter und Milch! Das gemeinsame Frühstück ist der erste Baustein der Arbeit mit Schulklassen – Ernährungskultur üben und pflegen. Danach geht es zum Acker, gleichmäßig säen üben mit Kalk, zusammen die schwere Egge gerade ziehen und dann die Körner ausstreuen – ein Vormittag als kleine Gemeinschaftsbauern.

 

Der biodynamisch bewirtschaftete Dottenfelderhof vor den Toren Frankfurts ist eine Attraktion nicht nur für Schulkinder. Zu bestimmten Tageszeiten spielt die Landwirtschaft hier fast eine Nebenrolle, gemessen an der Zahl der Menschen: Hofladen und Spielplatz, Hofcafe, Brot- und Käseladen mit Blick in die Käserei, Kälberpavillons, Lehrpfad, Ferkelauslauf, Kuhstall und Hühner: Zu sehen gibt es genug, und neben Kunden und Eltern samt Kindern macht hier auch schon mal ein Trupp Fahrradausflügler Station oder der Waldkindergarten. Sie alle haben über kurz oder lang Fragen, zur Landwirtschaft, zu den Lebensmitteln oder zu Demeter.

Bauernhof als Schule für Groß und Klein

Bevor also jeder durch Erläuterungen von der Arbeit abgehalten wird, wollte die Betriebsgemeinschaft Informationsbedarf und Antworten bündeln. Bäuerin Margarethe Hinterlang, damals mit Marktständen und Nachwuchs beschäftigt, organisierte im Jahr 2000 die erste „blaue Stunde“, in der Erzeuger und Kunden einmal im Monat beim Erzählen und Verkosten zusammenfanden. Rasch wurde klar: das reicht nicht, um die Fragen zu kanalisieren. Nach und nach wurde das Angebot erweitert und zum Schulbauernhof ausgebaut. Heute erfährt in der Saison täglich eine Schulklasse, wo gute Lebensmittel herkommen, rund 150 Klassen im Jahr. Und mehr als 120 Veranstaltungen, vom einstündigen öffentlichen Hühnerfüttern bis zum eintägigen Backseminar oder dem einwöchigen Ferienangebot für Kinder ergänzen und leiten die Informations- und Erlebnishülle um den Hof, ermöglichen Kennenlernen oder Vertiefung.

 

Margarethe Hinterlang ist längst Organisatorin dieser vielfältigen Hofschule. Denn das Kanalisieren hat nicht zu weniger Fragen geführt. Und die Hofgemeinschaft hat entdeckt, dass sie hier etwas rüberbringen kann. Das Veranstaltungsprogramm ergibt sich aus den Leidenschaften und Potenzialen der Menschen auf dem Hof, bzw. der ihn tragenden Landwirtschaftsgemeinschaft. Käser Sigi Bassner bietet die „Reifeprüfung“ auf verschiedenen Niveaus, Landwirt Paul Bunzel führt eineinhalb Stunden „Inside Cow“, das Ehepaar Lepold bietet ein dreiteiliges Backseminar, Regine Ebert jahreszeitliche Kräuterkurse, Landwirt Matthias König erläutert die Biodynamischen Präparate und der pensionierte Manager Henstermann pflügt mit Ackerpferd Fritz. So entsteht ein Jahresprogramm, samt Jahres­zeitenwerkstatt, Kosmetikberatung oder einem Seminar mit dem Arbeitskreis für Ernährungsforschung. Dabei geht es auch mal flexibel zu: alle Tiere auf der Weide? Dann dient die Fütterstunde eben zum Versorgen der Regenwürmer.

Fragen wecken durch Erlebnisse

Schlicht machen, das ist Margarethe Hinterlangs Erfah­rung, denn meist überfordert man Kinder und Erwach­sene mit zu vielen Details: Weniger Fakten­wissen vermitteln, stattdessen entschleunigen und in die Tiefe gehen, denn es sollen Erlebnisse ermöglicht werden – Grundlage für nachhaltiges Lernen. Das bedeutet verlangsamen, ruhig werden lassen, damit bewusst wahrgenommen werden kann. Und zum anderen eintauchen in die Praxis statt erklären: und das am besten wiederholt. Das stellt Anforderungen an die Referierenden: authentisch, ja beseelt sein, von dem, was sie machen. Eine echte Begegnung, in der sich die Teil­nehmenden, ob Kinder oder Erwachsene neu erfahren können, ist das Ziel und weniger funktionale Erläuterungen. Hinterlang nennt das „Lebenslernort“ und dazu gehört, Fragen anhand von Erlebnissen zu wecken, nicht vorher zu reden. Aber auch Regeln für die Besucher, z. B. Achtsamkeit und Respekt für die Tiere. An drei Tagen die Woche füttern und misten Schulklassen im Stall mit der 80-köpfigen Kuhherde.

 

Der Schulbauernhof konzentriert sich auf Angebote für Schulklassen aller Altersstufen: Die Hofpädagogen arbei­ten dazu eng mit mehr als dreißig Schulen verschiedener Ausrichtungen zusammen. Zusätzliche Veranstaltungen ermöglichen Vertiefung oder nur Reinschnuppern. Da gibt es den Club der „Bauernhof-Freunde“ in verschiedenen Altersklassen oder „Ein Tag auf dem Land“ wo gemeinsam gearbeitet und gegessen wird. Formate wie „Tatort – Woher kommt die Milch?“ gezielt für Familien oder die Bauernhofwerkstatt – eine Woche in der Ferienzeit (außer Winter) – treffen die Bedürfnisse vieler Menschen im Umfeld.

Landbauschule Dottenfelderhof

Seit 40 Jahren werden am Dottenfelderhof einen Monat lange Winterkurse zum biologisch-dynamischen Landbau angeboten – eine Reaktion auf die Nachfrage nach biodynamischem Grundlagenwissen während der Ausbildung. 1985 wurde zusätzlich ein Jahreskurs für Menschen mit abgeschlossener Lehre eingerichtet, der Theorie und Praxis sowie eine Jahresarbeit umfasst und jeweils im September beginnt. 2010 wurde diese einjährige Ausbildung zur Fachkraft für biologisch-dynamischen Landbau staatlich anerkannt. Jährlich nehmen ca. 40 Teilnehmer am Januarkurs, ca. 30 am Februarkurs teil und zwischen 8 und 12 Teilnehmer am Jahreskurs, seit Gründung 1540 Menschen. Sie werden danach zum großen Teil Betriebs- oder Bereichsleiter auf Biohöfen. Zur gemeinnützigen Landbauschule, Eigentümerin des Dottenfelderhofes, gehört auch der Schulbauernhof, sowie die Getreide- und Gemüsezüchtung, erfolgreich mit einer Reihe von Sortenanmeldungen bei Getreide und Gemüse als auch die Forschung, deren Schwerpunkte bei Züchtung, biodynamischen Präparaten und Kompost liegen.

http://www.landbauschule.de

Ein anderer Blick auf den Betrieb

Sowohl der Schulbauernhof als auch die zahlreichen Veranstaltungen wirken zurück: Beides motiviert zusätzlich z. B. für die Arbeit in der Landwirtschaft, weil die Landwirte und Gärtner merken, dass sie Menschen etwas über ihre Produkte hinaus geben können, und zugleich auch den Blick von außen erleben. Für den Hof ist das beste Öffentlichkeitsarbeit, auch wenn er diesen Betriebszweig quersubventionieren muss. Denn Zuschüsse oder Förderung gibt es dafür in Hessen keine, anders als in anderen Bundesländern. Mit 250 Euro Aufwand je Vormittag rechnet Margarethe Hinterlang und stellt 120 Euro für 20 Kinder plus fünf für jedes zusätzliche in Rechnung. Also gilt es, zusätzliche Mittel einzuwerben. Gut, dass die studierte Sozialarbeiterin und Bäuerin vor einigen Jahren eine Weiterbildung im Fundraising gemacht hat.

 

So ist die Hofpädagogin Mittlerin zwischen den Praxisfeldern und dem wachsenden Interesse an ressourcenschonender und nachhaltiger Landwirtschaft, steht ein bisschen draußen, hat das Ganze im Blick, ist ansprechbar. Es entsteht ein freier Raum im Leben des Hofes, der eine aufmerksame Stimmung schafft, und die Mitarbeiter freuen sich daran, wie glücklich die Kinder vom Hof weg gehen, ja bekommen selbst leuchtende Augen nach einer Führung. Letztlich geht es auch um die Zukunft der Landwirtschaft, um Verständ­nis für ein dem heutigen Leben entfernt scheinen­de Arbeits- und Lebenskultur. Nicht zuletzt geht es neben Ernährungs- und umweltpädagogischen Anliegen­ auch darum, Interesse an der Landwirtschaft zu wecken, unter anderem als möglichem Berufsfeld. Denn nicht nur Biobauern brauchen qualifizierten Nachwuchs.

 

Margarethe Hinterlang kümmert sich um den Schulbauernhof mit ungefähr einer halben Arbeitskraft – zur anderen Hälfte gestaltet sie die Öffentlichkeitsarbeit des Dottenfelderhofes. Das ergänzt sich gut. Unterstützt wird sie dabei vom Theaterpädagogen Guy Sidora, der ein Jahr in der Landbauschule gelernt hat, von der Natur- und Erlebnispädagogin Patricia Grimm. Wer tragend im Schulbauernhof arbeitet, sollte in der Landwirtschaft verankert sein, wenigstens hier und da mitarbeiten, um so aus der eigenen Erfahrung anleiten zu können. Auch didaktische Fortbildung über Winter gehört dazu, das macht das Team mit einer Lehrerin. Darüber hinaus vermittelt Beate von Mackensen, Ex-Waldorflehrerin und Landwirtin, wie man Themen in Geschichten und rhythmische Elemente einbaut. Das Instrument regelmäßiger Supervision hilft bei der Reflektion über die Arbeit und beim Entwickeln der eigenen Bilder und Perspektiven. Denn Margarethe, 60, will irgendwann auch kürzer treten. Austausch und Anregungen bietet zudem die Teilnahme an der jährlichen Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof (http://www.baglob.de)

Perspektive: Qualität statt Quantität

Jedes Kind in Hessen sollte mindestens einmal auf einem Bauernhof gewesen sein, meint Margarethe Hinterlang. Allerdings vermisst sie den politischen Willen dazu – in Bayern sei das anders. Die Bauernhofpädagogik ist ein wachsendes Feld, und es gibt mehr jüngere Menschen, die umwelt- und ernährungsbewusst seien – eine neue Zielgruppe. Vor allem aber plädiert sie für Verstetigung, Intensivierung: warum nicht in die Lehrpläne einbauen? Landwirtschaft ist essenziell, bietet vielfältige Verknüpfung zu Unterrichtsinhalten und ist anschaulich. Sogar für die Oberstufe: Schüler haben hier schon zur Enzymatik in der Käsereifung gearbeitet oder die Zuchtstation im Rahmen des Themas Genetik besucht.

 

Höfen, die überlegen, mit einem pädagogischen Angebot zu starten, rät die Bäuerin, gründlich zu prüfen, was die Bedürfnisse und Talente der Partner, der Betriebsleiter sind: Die Gefahr, sich zu überfordern, ist nicht nur pädagogisch kontraproduktiv. Und dann zu fragen – was ist unsere Spezialität – was mache ich gerne? Das kann etwas anders sein, als der Betriebsschwerpunkt. Wenn geklärt ist, ob es eher um Hobby – oder um Zuerwerb geht, dann kommt die Kalkulation – mit Vor- und Nachbereitung in Betriebsleiterstunden rechnen! Denn es muss im Alltag zu schaffen sein und gegen andere Aufgaben bestehen. Und was ist der Nutzen für den Gesamtbetrieb? Netzwerke aktivieren und selbstbewusst verhandeln, damit man als Landwirt neben der Pädagogik nicht noch organisieren muss, ist ebenfalls wichtig.

 

Der Dottenfelderhof ernährt mit seinen Erzeugnissen – rechnerisch – vielleicht 1000 Menschen komplett. Und mehr als 3000 Kinder und 1500 Erwachsene lernen hier biodynamischen Landbau kennen: Mit den Händen anpacken. Mit dem Herzen wahrnehmen. Mit dem Verstand ankommen. 2014 wurde „Maggies Farm“, der Schulbauernhof auf dem Dottenfelderhof, als offizielles Projekt der UNESCO-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet. Ein Ansporn für viele Bio-Höfe.

Dottenfelderhof – Landwirtschaftsgemeinschaft und Landbauschule

  • In der südlichen Wetterau an der Nidda bei Bad Vilbel gelegen

  • 106–142 m ü NN, 9,8 Temperatur bzw. 630 mm Niederschlag im Jahresdurchschnitt, Böden sL bis tL, 25 bis 75 Bodenpunkte

  • 125 ha Acker, 43 ha Grünland, 3,9 ha Baumobst und Beeren, 16 ha Streuobst, 2 ha Garten, 1300 qm geschützter Anbau

  • Zwölfjährige Fruchtfolge mit 50% Getreide 33% (zweijährigem Klee bzw. Luzernegras und 17% Hackfrucht

  • 80 schwarzbunte Milchkühe mit Nachzucht, 3 Bullen, Linienzucht, 1300 Legehennen, 6 Sauen, 1 Eber, Nachzucht zur Mast

  • Holzofenbäckerei & Konditorei, Hofkäserei mit Käseverkauf, zwei Marktwagen, Hofladen, Hof-Café

  • Landbauschule mit angeschlossener Forschung und Züchtung (Getreide, Gemüse)

  • Schulbauernhof mit 4 Mitwirkenden und Besuchen von ca. 150 Schulklassen sowie ca. 120 Veranstaltungen im Jahr für Kinder und Erwachsene

  • Je 3 Ausbildungsplätze in Landwirtschaft, Gartenbau, Konditorei, je 2 in Bäckerei bzw. Einzelhandel, 7 Plätze für Bundesfreiwilligendienst, Praktikanten

  • Träger: Landwirtschaftsgemeinschaft Dottenfelderhof Ernst Becker und Partner KG mit 9 Komplementären und 140 Kommanditisten

  • Je 3 Unternehmer in den Bereichen Landwirtschaft bzw. Verarbeitung/Vermarktung, mit 38 Mitarbeitern, ca. 16 Azubis, dazu Praktikanten; hinzu kommt die Landbauschule (10 Mitarbeiter) als Geländeeigentümer und die Forschung/Züchtung mit 12 Mitarbeitern: ca. 100 Menschen leben auf dem Hof.

  • Dottenfelderhof, 61118 Bad Vilbel, http://www.dottenfelderhof.de