Portrait

Solide biodynamisch – offen für Neues

Demeter-Landwirt Robert Kasper nutzt biodynamische Sorten und Populationen

von Michael Olbrich-Majer

Ein Schwarm Stare umflattert eine Herde hellrotbrauner, grasender Kühe und Kälber – ein eher seltener Anblick. Ich bin bei Demeter-Landwirt Robert Kasper, wir schauen nach seiner Mutterkuhherde, deren Fladen die geselligen Vögel offensichtlich als Futterquelle schätzen, schlüpfen aus ihnen doch zahlreiche Insekten. Ein Eindruck von Lebendigkeit, der sich nicht nur an der munteren Herde zeigt, sondern auch auf den Feldern des biodynamisch bewirtschafteten Oberhofs. Auf denen ist mehr Leben als bei den konventionellen Nachbarn, und zugleich steht das biodynamisch angebaute und auch so gezüchtete Getreide agronomisch gut da. Auch die Weizenpopulationen, die der Landwirt seit vier Jahren anbaut: „Der Klimawandel verlangt, dass wir auch was Neues ausprobieren.“

Ausgetüftelte Fruchtfolge als Kern des Betriebs

Dabei ist der Betrieb erstmal ein ganz normaler, gut geführter Demeter-Betrieb: das Augenmerk auf die Bodenfruchtbarkeit gerichtet, daher als Gemischtbetrieb aufgestellt, mit Vielfalt auf den Feldern und solider, aufmerksamer Bodenpflege. Der Betrieb lebt von der Fruchtfolge – das hat Robert Kasper in der Ausbildung bei seinem Vater gelernt, der den Hof 1989 auf Demeter umgestellt hatte. Karl-Heinz Kasper achtete auf ein perfektes Zusammenspiel von Fruchtfolge, Bodenbearbeitung und Mistkompostdüngung. Diese Ausrichtung auf die Bodenfruchtbarkeit als einem Betriebsziel hat Robert übernommen. Die von seinem Vater ausgetüftelte, sieben- bis achtgliedrige Fruchtfolge besteht prinzipiell immer noch: Auf zweijähriges Kleegras folgt der Winterweizen, eine Zwischenfrucht mit folgendem Sommergetreide, erneut Zwischenfrucht, aber nichtlegum, da nun Ackerbohnen bzw. ein Buntschlag folgen, sowie zweimal Wintergetreide. Gedüngt wird auf die Halmfruchtstoppel und mit dieser eingearbeitet jedes vierte Jahr biodynamischer Mistkompost bzw. Grüngutkompost. Angebaut werden Weizen, Hafer, Dinkel und Roggen, sowie Leindotter/Öllein, für den Hofladen etwas Kartoffeln, Ackerbohnen und neuerdings auch Soja. Ackerbohnen und Soja verkauft der Oberhof als Futter an Milchviehbetriebe, die Getreide werden selbst verbacken bzw. an Demeter-Verarbeiter wie Spielberger und Siebenkorn geliefert.

Das Saatgut stammt bis auf die selbst nachgezogenen Ackerbohnen und den Dinkel selbstverständlich aus biodynamischer Züchtung, teilweise erzeugt der Betrieb für diese auch Basissaatgut.„Humus steigern ist das Mittel zur Klimaanpassung,“ ist sich der Landwirt sicher und setzt auf das Zusammenspiel von biodynamischem Kompost, Fruchtfolge und schonender Bodenbearbeitung. Hierbei nutzen Betriebsleiter Kasper und Geselle Johannes Döring den Pflug: „Die Winterfurche hat sich hier bewährt.“ Bei der Frühjahrsfurche besteht das Risiko, dass die Saat bei der inzwischen regelmäßigen Frühjahrstrockenheit keinen Anschluss an Wasser bekommt. Der Einsatz der Kreiselegge schont auf diesem Standort die Vorräte an Bodenwasser. Insbesondere der Klee – Fruchtbarkeitspol jeder Ökofruchtfolge – muss gelingen, schon bei der Ansaat sitzen. Als Untersaat wird das wegen der immer früher einsetzenden Vegetationsperiode bei oft gleichzeitiger Trockenheit zunehmend schwierig, sodass Kasper je nach Boden und Witterung Kleegras auch schonmal im Hafer sät. Auch wird der Kleeertrag durch eine regelmäßige Schwefeldüngung über Granugips stabilisiert. Die stattlich-dichten Ackerbohnenbestände, breit gesät, dürften auch zur Bodenfruchtbarkeit sowie zur Unkrautunterdrückung beitragen. Die biodynamischen Feldpräparate stellt Kasper selbst her, gerührt wird mittels Rührmaschine und ausgebracht mit der Gebläsespritze, so kann er alle Kulturen zeitnah versorgen.

Neues auf dem Feld

Ergänzend zum Anbau von Getreidesorten biodynamischer Züchter probiert Robert Kasper eine neue Entwicklung aus, Populationen. „Diese bestehen aus zahlreichen verschiedenen Pflanzentypen, kurz und lang, mit und ohne Grannen, verschiedenste Farben. Die Populationen werden vom Züchter im Hinblick auf Kriterien wie Resistenz- und Qualitätseigenschaften gezielt zusammengestellt. Aufgrund ihrer vielfältigen Zusammensetzung können sie extreme Witterungsverhältnisse in einem Jahr abpuffern“, so die Erfahrung des Landwirts, dem gesunde Bestände und vor allem Steinbrandresistenz wichtig sind. Seit vier bzw. fünf Jahren baut er zwei Populations-Weizen der Forschung & Züchtung Dottenfelderhof (FDZ) an, im Rahmen eines Projektes, das an der Optimierung und Markeinführung arbeitet. Züchter Dr. Carl Vollenweider von der FZD koordiniert das europäisch geförderte Innovationsprojekt (EIP-Agri) zu standortangepassten Getreide-Populationen in Hessen: „Eine Möglichkeit, den durch den Klimawandel bedingten zunehmend schwierigeren Anbaubedingungen zu begegnen, besteht im Anbau von Populationen, wie sie z.B. mein Kollege Hartmut Spieß entwickelt hat. Weil Populationen genetisch vielfältiger sind als Sorten, reagiert der Bestand durch die mögliche Kompensation flexibler: auf Standortbedingungen und extreme Witterungsverhältnisse. Eine erfreulich hohe Stabilität zeigen Populationen vor allem bei den Qualitätseigenschaften, wie neuste Untersuchungsergebnisse bestätigen.“

Für Robert Kasper ist das spannend zu beobachten: Die Bestände sind etwas lebhafter und variabler als Sorten, von Jahr zu Jahr etwas anders, je nachdem welche Stämme sich durchsetzen. Aber die Erträge passen, auch in trockenen Jahren, die Bestände reifen, obwohl sie heterogen aussehen, gleichmäßig ab und die Qualität stimmt, da diese beiden Weizen-Populationen, Liocharls und Brandex auf Backqualität hin ausgelesen sind. Diese Einschätzung bestätigt auch ein Versuch der Uni Kassel-Witzenhausen, wo beide den höchsten Proteinertrag, auch im Vergleich zu Liniensorten brachten. Auch beim Sedimentationswert können sie mithalten. Meinhard Rediske, Chef der Marburger Demeter-Bäckerei Siebenkorn bezieht sein Getreide von Kasper und weiteren in einer kleinen Erzeugergemeinschaft organisierten Demeter-Bauern der Region und zieht das Fazit: „Wir haben das Projekt von Anfang an begleitet und auch unseren Kunden kommuniziert. Im Mai haben wir den Ackerkeil mit dem Populationsweizen als Monatsbrot beworben und waren sowohl von den Backeigenschaften als auch von Volumen und Geschmack begeistert!“ In den Landessortenversuchen zu Öko-Weizen, von denen sich einer auf Robert Kaspers Flächen befindet, zeigen sich diese Ergebnisse ebenfalls. Die Anschauung und die Infos aus erster Hand, die er durch die Versuche mit rund 800 Parzellen gewinnt, weiß Kasper zu schätzen. Wie die meisten Demeter-Bauern lagert und reinigt der Landwirt sein Getreide und das eigene Saatgut für Bohnen und Klee selbst. Dazu hat er 2018 außerhalb des Dorfes ein neues Lager mit belüftbaren Hochsilos gebaut.

Landsorten, Sorten, Populationen

Land- und Hofsorten entstanden durch bäuerliche Auslese ohne systematische Züchtung meist auf eine Landschaft bezogen. Sie verfügen über eine hohe genetische Diversität und sind standortangepasst.

Sorten sind eine vom Bundessortenamt nach Prüfung (inzwischen auch unter Ökobedingungen) zugelassene Pflanzenauswahl, die dazu neu und unterscheidbar von anderen sein muss, dazu homogen und beständig, geregelt durch die Sortenschutzgesetzgebung.

Populationssorten entstehen durch Selektion bei Fremdbefruchtern, sind mischerbig und etwas weniger homogen als Sorten von Selbstbefruchtern.

Populationen (der Fachbegriff lautet Composite-Cross-Populationen, CCP) bestehen aus selbstbestäubenden Pflanzenarten, in denen sich bestehende Linien kreuzen bzw. gekreuzt werden können: genetisch nicht homogene Viellinien“sorten“. Züchterisch heißen deren Nachkommen auch „Ramsch“. Sie unterliegt der natürlichen Selektion, kann aber auch gezielt selektiert werden. 2014 ermöglichte die EU versuchshalber das Inverkehrbringen solchen Saatguts, zunächst bis 2021. Mit Inkrafttrefen der neuen EU-Ökoverordnung voraussichtlich ab dem 1. 1. 2021 wird die Zulassung von „ökologischem heterogenem Material“ erlaubt sein: Das betrifft alle Kulturarten, es darf weder eine Sorte noch eine Mischung von Sorten sein, muss ein Mindestmaß an Heterogenität und gleichzeitig gemeinsame phänotypische Eigenschaften aufweisen.

Herde, Mist und Fleisch

„Unsere Fruchtfolge funktioniert nur mit Mist,“ betont Robert Kasper. Die insgesamt 70 Limousinkühe mit Nachzucht bzw. Masttieren, verteilt auf drei Herden, bringen für ca. 120 GV Dünger, 0,4 je Hektar. Der Mist der von November bis Mitte April auf dem Hof eingestallten Tiere wird zu biodynamischem Kompost aufgesetzt, der vor allem auf den Acker kommt. Das Grünland, meist im Talgrund gelegen, wird mit Weide und drei Schnitten für Heu genutzt. Die Herde macht einen wachen und homogenen Eindruck. Seit dem ersten Zukauf der Tiere in den 1980er Jahren – vor der Umstellung hielt der Betrieb Schweine – züchten die Landwirte von Oberhof selbst, aktuell in fünf Kuhfamilien. Denn Leichtkalbigkeit und Hörner werden nach ihrer Erfahrung im Zuchtverband immer weniger berücksichtigt. Nach dreimonatiger Endmast, mit eineinhalb Jahren, werden die Jungtiere geschlachtet. Dazu arbeiten Kaspers mit einem Kasseler Bio-Metzger zusammen, der unter EU-Bio-Label verkauft. „Es ist nicht einfach, den richtigen Schlachter zu finden,“ ist die Erfahrung des Landwirts. Denn Unruhe und verängstigte Tiere machen sich in der Fleischqualität bemerkbar. Die eigene Wurst – nur die kann der Hof aktuell unter Demeter vermarkten – lässt er von einem Lohnverarbeiter vor Ort herstellen. Kaspers wollen einen eigenen Zerlegeraum bauen und letztlich irgendwann den Weideschuss möglich machen, Robert Kasper ist auch Jäger.

Frisches Brot und Demeter-Burger

Die Kaspers haben ihren Betrieb so eingerichtet, dass sie arbeitswirtschaftlich mit zwei Vollzeitarbeitskräften und Inka Kasper in Teilzeit, unterstützt durch die beiden Omas rumkommen. Roberts Frau kümmert sich vor allem um die Backstube und den kleinen Hofladen. Gemahlen wird frisch auf der eigenen Steinmühle, gebacken werden drei verschiedene Brote, dazu Brötchen, Baguette, Blechkuchen, zweimal in der Woche. Dass es bei Kaspers sowohl Burgerbrötchen als auch die Burger dazu gibt, hat sich inzwischen auch über Whatsapp herumgesprochen. Marketing macht der Hof bisher nicht, die großen Mengen gehen ja an feste Abnehmer, die Backwaren auch an Bioläden. Aber die Nähe zur Kleinstadt Alsfeld und die steigende Nachfrage könnten auf mittlere Sicht vielleicht einen Ausbau der Direktvermarktung tragen.

Ökolandbau? Nicht selbstverständlich

Im 580-Einwohner-Dorf Liederbach ist der Hof mit seinem frischen Brot, eigenen Wurstwaren und dem kleinen Trockensortiment im Hofladen so etwas wie ein Nahversorger – vor dem Laden kann man auch einen Kaffee trinken. Dass der Oberhof ökologisch wirtschaftet, ist längst kein Diskussionsthema mehr, zumal er der letzte Vollerwerbsbetrieb im Dorf ist. Und er hat sich über die Jahre ein gutes Ansehen erworben, so dass viele ehemalige Landwirte Robert Kasper ihr Pachtland anbieten, weil sie es da in guten Händen wissen, schließlich hängt ja ein Teil ihrer Rente daran. Dorfbewohner sprechen ihn positiv angetan auf seine Feldschilder an, auf das was er tut. Für Robert Kasper ist das ein wohltuender Ausgleich dazu, dass er sich in seiner Ausbildung, aber sogar heute noch von Berufskollegen komische Bemerkungen zu Bio anhören und sich zu oft immer noch rechtfertigen muss, warum er ökologisch wirtschaftet. Sein Fazit: „Erst muss sich die Schule, die Ausbildung ändern, dann kann sich die Landwirtschaft verändern.“

Auch wenn Betrieb und Dorf in einem idyllischen Tal liegen, einst wollte Robert Kasper in ferne Länder, mit der Bundeswehr. Doch es kam ganz anders, der Vater hatte einen Unfall und der Sohn musste ran. Ausbildung und Abschluss als Landwirtschaftstechniker folgten und irgendwann die Hofübernahme, Arbeit und Familie sowieso – wenig Zeit für weite Reisen, zumal als Landwirt. Das Neue holt sich Kasper auch über die Versuche und Tests mit den Sorten auf den Hof. Als Jäger hegt er nicht nur Wild, sondern schützt auch seine Bestände. Und dann sind da ja noch die zwei schweren Motorräder in der Garage, bereit für Touren in die Region mit seiner Frau Inka.

Gerade kam eine Mail von Robert Kasper: die Populations­sorte Liocharls hat ein Drittel mehr Ertrag gedroschen als die anderen Sorten.

Oberhof, Robert und Inka Kasper

  • Mittelhessen, Unterer Vogelsberg, ca. 300 m ü. NN

  • sandiger Lehm, z.T. Löss mit 40-70 Bodenpunkten

  • Im zehnjährigen Jahresmittel 650 mm Niederschlag und 7,7 °C Durchschnittstemperatur

  • Demeter seit 1989

  • 292 ha, davon 90 ha Grünland

  • 70 Limousin Mutterkühe plus Nachzucht, 3 Zuchtbullen, Endmast im Stall, 3 Schweine

  • Fruchtfolge: 2 jähr. Kleegras, Winterweizen, Sommerung, Buntschlag, 2x Wintergetreide

  • Standort für Landessortenversuche, Testanbau Populationen

  • Hofbackstube und kleiner Hofladen

  • Vermarktung über Spielberger, regionale Bäcker und Bioläden

  • Fleischvermarktung ab Hof und über regionale Metzger

  • Arbeitskräfte: Betriebsleiterehepaar, Geselle

  • Robert und Inka Kasper, Am Oberhof 8, 36304 Alsfeld-Liederbach