Portrait

Hof Waldeyer

Muttergebundene Kälberaufzucht und der Schritt zu Demeter

von Katrin Bader

Warum stellt ein konventioneller Milchviehbetrieb auf Demeter um? Also direkt – ohne Zwischenstation EU-Bio. Für bessere Chancen am Markt, sagen vielleicht die einen, Tierwohl die anderen. Fakt ist: Die wirtschaftliche Rechnung muss aufgehen und ohne Überzeugung klappt es nicht. Für Lisa und Gisbert Waldeyer aus Beverungen stand jedenfalls fest: Demeter passt zu uns – das machen wir!

Im Weserbergland, an der Grenze zur Börde, liegt der Hof von Lisa und Gisbert Waldeyer. Die Gegend ist geprägt von Gemischtbetrieben mit Schweine- und Rinderhaltung. Bio-Betriebe gibt es vereinzelt, die nächste Milchtankstelle ist im 20 km entfernten Höxter. Gute Voraussetzungen also für einen Milchviehbetrieb, der auf muttergebundene Kälberaufzucht und Direktvermarktung setzen will. Die Hofstelle ist im Familienbesitz: Gisberts Großeltern haben sie in den 1950er Jahren gebaut, ein klassischer Milchviehbetrieb mit ein paar Pferden, Bullen und Schweinen zur Selbstversorgung. Gisbert ist auf dem Hof aufgewachsen. Das Handwerkszeug für die Landwirtschaft hat er sich durch die Mitarbeit am Hof angeeignet, den er 1996 von seinem Vater übernommen und konventionell weitergeführt hat. In den 2000ern stockte er sukzessive die Tierzahl von 33 auf 40 bis 50 Tiere auf. 1998 baute er einen Boxenlaufstall mit neuem Melkstand, 2009 folgte ein Stall für das Jungvieh und die Bullenmast auf Vollspalten. Im Jahr 2015 haben sich Lisa und Gisbert kennengelernt und heirateten im Jahr darauf. Auch sie ist mit Tieren aufgewachsen: Ihr Vater ist gelernter Metzger und Schafhalter, Hunde gehörten und gehören auch jetzt sowieso immer dazu. Ihre Berufsausbildung als tiermedizinische Fachangestellte kommt ihr im Betriebs­alltag immer wieder zugute, egal, ob Globuli verabreicht werden oder eine Spritze gesetzt werden muss.

Tiergesundheit bringt Umdenken

Die Entscheidung auf Demeter umzustellen fiel im Herbst 2019, nachdem die Waldeyers bereits zwei Jahre lang überlegt hatten, biologisch zu wirtschaften. Sie waren von den dauernd kranken Tieren genervt, der Tierarzt ging ein und aus, aber Ursachen für Krankheiten wurden nicht gefunden. Dann hörten sie auf ihr Bauchgefühl und ließen die Kälber bei ihren Müttern. Erst testweise, und dann hat es sich so eingeschlichen, dass es so bleibt. Und die Effekte haben überzeugt: Die Tiergesundheit wurde schlagartig besser. „Selbst festliegende Kühe sind für ihre Kälber aufgestanden – dieser Antrieb hat uns beeindruckt und die Augen geöffnet“ berichtet Lisa Waldeyer.

Auch den Einsatz der Pestizide stellten sie für sich in Frage, ist das noch nachhaltig? Ihre eigenen Kinder, Ida und Lorenz, schärften das Bewusstsein noch weiter: Welche (Um-)Welt wollen sie ihnen erschaffen, wie sollen sie aufwachsen? Und so kamen sie immer öfter ins Grübeln, bis dann die Entscheidung fiel: Wir machen es anders und gehen unseren eigenen Weg!

Der Weg zu Demeter

Lisa und Gisbert haben sich zum Bio-Anbau erkundigt, Informationen eingeholt und Gespräche mit Beratern geführt. Mit der Kammerberatung waren sie nicht zufrieden, die gab ihnen die Empfehlung, Tiere aufzustocken und einen neuen Stall für 250 Kühe auf Weideland direkt am Hof zu bauen. Das entsprach nicht ihrem Selbstbild als Landwirte, sie wollten weniger Tiere halten und das auch auf Stroh anstatt auf Vollspalten. Eine befreundete Demeter-Bäuerin brachte sie dazu, sich mit Demeter zu befassen. Über Ute Rönnebeck, Geschäftsführerin von Demeter-NRW, hatten sie den ersten Kontakt zum Verband, dann übernahm die Demeter-Beratung. Die stand teilweise vor der Herausforderung, klare Angaben zu machen, da der Fall einer Umstellung von konventionell auf Demeter nicht so oft vorkommt und daher manche Fristen oder Vorgaben neu aufbe­reitet werden mussten. Im April 2020 unterzeichnete das Land­wirtepaar seinen Demeter-Vertrag und befindet sich nun „in Umstellung auf Demeter“.

Diese radikale Wende durchzuführen, weg von der konventionellen Bewirtschaftung hin zu Demeter, dazu gehört Mut. Skepsis hier und da spüren sie schon. Sie bekommen aber auch viel Zuspruch und positives Feedback von Kunden und Nachbarn.

Eigentlich wollten sie im Sommer 2020 ein Demeter-Regionaltreffen auf ihrem Hof organisieren, was durch Corona leider ausfallen musste. So steht der Kontakt zur Demeter-Arbeitsgruppe noch aus. Die Teilnahme am Einführungskurs hat sich auch auf den Winter 2021/22 verschoben, aber die bisher angebotenen Onlineseminare der Demeter-Beratung haben sie mitgenommen. Und so tauchen sie nach und nach in die Demeter-Welt ein. Wenn alles passt, erfolgt im Frühjahr 2022 die Demeter-Kontrolle und damit die ersehnte Zertifizierung – dann dürfen sie ihre Produkte als Demeter-Ware vermarkten.

Acker umstellen

Auch bei der Demeter-konformen Bewirtschaftung der Felder ist einiges neu für die Waldeyers, etwa das Ausbringen der Präparate. Für Umstellungsbetriebe heißt das konkret, dass alle Flächen mit Hornkiesel, Hornmist und präpariertem Kompost – oder alternativ dazu einem Fladenpräparat – behandelt werden müssen. Doch das hatten Lisa und Gisbert noch nie gemacht, auch eine Präparatespritze besitzen sie nicht. „Zum Glück haben wir einen Demeter-Bauern, Dirk Herdieckerhoff vom Bio-Obsthof-Hegge im zehn Kilometer entfernten Nachbarort – er hat uns sofort Hilfe zugesagt und uns bei der Präparatearbeit unterstützt, so dass noch im Mai 2020 alle Flächen behandelt wurden. Dafür sind wir sehr dankbar, denn ohne ihn wäre es sehr umständlich für uns gewesen,“ blickt Lisa auf das Frühjahr 2020 zurück. Klar, die biodynamischen Präparate sind neu für sie. Aber auf die Arbeit damit freuen sich die Waldeyers und stehen ihnen offen gegenüber. Um eine eigene Präparatespritze und die Präparateherstellung werden sie sich kümmern, wenn etwas Routine eingekehrt ist.

In Punkto Fruchtfolge hat sich gar nicht so viel verändert, denn auf den 44 Hektar Ackerland betrieben sie bereits seit einigen Jahren Futterbau mit Luzerne-Kleegras. Der 1. Schnitt vom Kleegras geht in die Silage und dann folgen wetterabhängig noch 3 bis 4 Schnitte für Heu und Frischfutter. Um die Ration abwechslungsreicher zu gestalten, probierten sie 2020 erstmals Futterrüben aus, die etwas verunkrautet eingefahren wurden, da ein Regenschauer nach der maschinellen Beikrautbekämpfung nicht nur die Rüben wachsen ließ. Auch den ersten Bio-Silomais konnten sie 2020 ernten. „Beim Anbau unter Biobedingungen, der Unkrautkontrolle und Nährstoffversorgung lernen wir noch dazu“ sagt Gisbert Waldeyer zuversichtlich.

Keine halben Sachen

Zur Umstellung auf Demeter gehört auch eine räumliche Anpassung der Tierhaltung. Einen Stallumbau planten Lisa und Gisbert bereits 2018, denn ursprünglich waren die Tiere in verschiedenen Ställen am Hof verteilt. Das hatte sich so ergeben, war aber weder arbeitswirtschaftlich sinnvoll noch konnten sie die muttergebundene Kälberaufzucht so ideal umsetzen. Anfang 2020 fiel dann der Startschuss für den Umbau des Vollspalten-Maststalls zu einem Laufstall mit offenem Futtertisch für 70 Kuhplätze. Im laufenden Betrieb wurde mit viel Eigenleistung bis September 2020 renoviert: die Elektrik erneuern, Tränken austauschen, Wände entfernen und anderswo einziehen, Fressgitter einbauen uvm. Für die Betonarbeiten, die den Spaltenboden abdecken, kam eine Firma. Der Bullenauslauf wird aktuell fertig gebaut.

Als ob Lisa und Gisbert mit dem laufenden Betrieb, dem Stall­umbau, der Umstellung auf Demeter und zwei kleinen Kindern nicht genug zu tun haben, starteten sie im Sommer 2020 ihre eigene Social Media Präsenz und im Oktober dann noch ihre Direktvermarktung. Beides sind die Steckenpferde von Lisa: „Wir müssen unsere Produkte ja irgendwie verkaufen, da bot sich ein Hofladen an. Und über Facebook und Instagram können wir den Menschen zeigen, wie wir arbeiten und worauf es uns ankommt, dass wir die Kälber bei den Müttern lassen.“ Im kleinen Hofladen stehen neben einer Milchtankstelle noch Kühl- und Gefrierschränke für Käse und Fleisch. Für die Direktvermarktung bleiben ein paar Bullen am Hof und werden mit zwei Jahren von einem Metzger in der Nähe geschlachtet.

Den Käse lassen sie in einer mobilen Käserei, die sich in Umstellung auf Bio befindet, herstellen. Die ersten 110 kg Käse wurden Anfang Dezember geliefert und vermarktet. Zur Auswahl stehen die sechs Sorten Natur, Bockshornklee, Brennnessel, Kümmel, Kräuter und Butterkäse. Über den Milchautomaten werden etwa 25 bis 30 Liter Rohmilch täglich verkauft, für 1,50€ je Liter. Käsepäckchen werden verschickt und auch ein Fleischversand für die Zukunft ist nicht ausgeschlossen. Für neue Ideen sind Lisa und Gisbert offen. Und man darf nicht vergessen, dass sie selbst bisher kaum Werbung gemacht haben. Über ein paar Berichte in Lokalzeitungen und ein 4-minütiges Video im WDR Anfang Dezember 2020 bekamen sie viel Reichweite. Ein Hofschild an der Hauptstraße weist auf den Hofladen hin. Die Schlacht- & Verkaufstermine für die Fleischpakete hängen im Hofladen aus und werden über Social Media kommuniziert. So wächst der Absatz nach und nach, Abnehmer für das Fleisch fahren sogar länger als eine Stunde, um zum Hofladen zu kommen.

Das Herzstück: die Herde

Die Kuhherde besteht aus Schwarzbunten Holsteinrindern, teilweise gekreuzt mit Fleckvieh, und reinrassigem Braunvieh. Bis 2019 züchtete der Betrieb nur genetisch hornlos, aktuell sind etwa 30% horntragend. Ein Braunviehbulle aus eigener Nachzucht deckt die Kühe, die durch künstliche Besamung nicht tragend werden. Da bei Demeter die Haltung horntragender Rinder vorgeschrieben ist, wird nicht mehr enthornt und auch der Einsatz von Sperma genetisch hornloser Bullen für die künstliche Besamung ist tabu. Langfristig soll die Besamung sowieso deutlich reduziert werden. Seit sich die Waldeyers intensiver mit dem Horn als Organ der Kuh beschäftigt haben, verstehen sie dessen Sinn und den daraus folgenden Nutzen für die Kuh viel besser und sehen kein Problem in einer horntragenden Herde. Der gebührende Respekt den Tieren gegenüber versteht sich von selbst.

Die Bullen werden kastriert und gehen mit den Rindern auf die Weide. Alle Bullen, die nach dem Absetzen nicht behalten werden können, weil das Futter nicht reichen würde oder sie nicht vermarktet werden können, gehen in Gruppen an einen konventionellen Mäster im Nachbarort – so müssen sie nicht weit transportiert werden und können in ihren gewohnten sozialen Gruppen bleiben. Die muttergebundene Kälberaufzucht gestaltet sich so, dass die Kälber insgesamt vier Monate bei ihren Müttern bleiben. In den ersten Wochen 24h lang, danach erfolgt die schrittweise Trennung, bis sie zuletzt nur einmal täglich zur Mutter kommen. Trotzdem werden die Kühe zweimal täglich gemolken. Eine direkt am Hof angrenzende Fläche von viereinhalb Hektar ist als Joggingweide für die Kühe abgezäunt, sodass sie stets Auslauf haben – sie dient weniger der Futteraufnahme. Einen Tierarzt, der auf Rinder spezialisiert ist, haben sie auch gefunden und Homöopathie hat sich längst im Stall bewährt, bspw. bei Absetzern und „Obermamis“, die sehr an ihren Kälbern hängen.

Herausforderungen für die Zukunft

Insgesamt bewirtschaften die Waldeyers 80 Hektar, davon 36 Hektar Grünland, um eigenes Futter für ihre Kühe, Schafe, Ziegen und weitere Kleintiere zu erzeugen. Unter normalen Bedingungen klappt das auch gut, aufgrund der Dürre mussten die Waldeyers 2018 jedoch Futter zukaufen und Tiere abstocken, von 220 auf 160 Köpfe. Auch die Mastbullen wurden abgeschafft. Die Milchleistung lag vor der Dürre etwa bei 9.000 Litern, aktuell sind es rund 6.000 Liter. In der Umstellungsphase erhalten sie für ihre Milch außerdem nur den konventionellen Preis. Um dabei auch die getätigten Investitionen puffern zu können, haben sie den Weg der Direktvermarktung eingeschlagen. „Wir sind zuversichtlich, dass wir mit der Direktvermarktung und dem Vertrag bei Söbbeke eine solide Basis für unseren Betrieb aufbauen können“, sind sich Lisa und Gisbert einig.

Ein neues Projekt haben sie Anfang 2021 ins Leben gerufen: Kuhpatenschaften. Dabei können interessierte Menschen die muttergebundene Kälberaufzucht mit einem frei wählbaren monatlichen Geldbetrag monetär unterstützen und werden regelmäßig auf dem Laufenden gehalten, wie es ihren Kühen geht. Ein gutes Konzept, um den Kontakt zwischen Bauern und Kunden persönlich zu gestalten und ein Puzzleteil, das den Hof der Waldeyers sicher in die Zukunft führt.

Autorin: Katrin Bader

Hof Waldeyer

  • 1996 durch Gisbert Waldeyer von den Eltern übernommen, in Umstellung auf Demeter seit April 2020

  • Personen am Hof: Gisbert und Lisa Waldeyer, 1 Vollzeit-Angestellter Mitarbeiter aus dem Ort

  • 80 Hektar, davon 36 Grünland (Futterrüben, Mais, Gerste-Hafer, Kleegras-Luzerne)

  • Direktvermarktung über Hofladen (Milchtankstelle, Käse, Fleisch); ab Mai 2022 dann Demeter-Milch für Söbbeke

  • 600 mm NS, (2018: 400), 9,2°C

  • Tiere: ca. 75 Milchkühe (Schwarzbunt-Holstein gekreuzt mit Fleckvieh, Braunvieh) plus Nachzucht, 20 Schafe, 26 Ziegen (Anglo Nubier), 3 Border Collies, Hühner

  • Hof Waldeyer, Brakeler Str. 22, 37688 Beverungen, hof-waldeyer(at)web.de