Portrait

Biodynamisch an der Uni

Neue Methoden, neue Fragen: Jürgen Fritz und seine Arbeitsgruppe geben Kassel-Witzenhausen zusätzliches Profil

von Michael Olbrich-Majer

Das Sommersemester geht zu Ende, es ist Prüfungszeit. Auch an der Uni Kassel-Witzenhausen, wo Dozent Dr. Jürgen Fritz seine Studierenden testet: Sie werden rund um die biologisch-dynamische Landwirtschaft befragt, müssen biodynamische Aspekte von Pflanzenbau bis Rinderzucht beherrschen, aber auch Verfahren der Kompostierung oder der biologisch-dynamischen Züchtung von Getreide und Gemüse. Jürgen Fritz koordiniert zusammen mit Daniel Kusche das Lehrangebot zum biologisch-Dynamischen Landbau an der Uni. Zudem forschen die beiden Doktoren zum Biodynamischen, wie auch die weiteren Kollegen ihrer kleinen Arbeitsgruppe am Fachgebiet Ökologischer Land- und Pflanzenbau. Diese Art Landwirtschaft, Grundlage für Demeter-zertifizierte Betriebe, wird hier als eigenes Landwirtschaftssystem verstanden. Doch wie forscht und lehrt man zu einem Bewirtschaftungssystem, das einen ganzheitlichen Anspruch hat und so auch Dimensionen über das reine Messen, Zählen, Wiegen hinaus einbezieht?

Der Witzenhausener Standort der Uni Kassel bietet neben der Hochschule Eberswalde als einziger einen Komplettstudiengang zum Ökolandbau. Aber nur in Witzenhausen gibt es die Möglichkeit eines umfangreichen biodynamischen Schwerpunkts. Den haben sich die Studierenden einst erkämpft. Nach einem befristeten Stiftungslehrstuhl, Inhaber war Ton Baars, stellte das Land eine halbe Koordinatorenstelle, ergänzt um eine halbe Stelle, welche die Software AG Stiftung trägt. Die Leistung der Arbeitsgruppe wird turnusgemäß zum zweiten Mal seit 2012 evaluiert. In diese Bewertung fließen wie üblich vor allem das Einwerben von Mitteln für Forschung wie auch die Zahl der wissenschaftlich begutachteten Publikationen ein, daneben das Lehrangebot. Jürgen Fritz ist zuversichtlich, denn die gut dokumentierte Bilanz der beiden Koordinatoren kann sich sehen lassen. Rund ein Drittel der ca. 150 Studierenden nutzt das biodynamische Angebot. Auch das Ansehen des Biodynamischen an der Uni hat sich gewandelt von zum Teil Gegnerschaft im Professorenkollegium zu mehr Offenheit für Ergebnisse. Und die biodynamische Arbeitsgruppe tut das ihre dazu, mit nüchterner Forschungsarbeit.

Biodynamischer Landbau – ein Fundus für Forschungsfragen

Zur Wissenschaft kam Jürgen Fritz über Umwege und eine Frage, die ihn antrieb. Kurz nach dem Mauerfall, wurde der gelernte Landwirt und Agraringenieur Mitglied einer Betriebsgemeinschaft im Osten Deutschlands, im Bauerngut Libbenichen am Oderbruch. Zugleich führte er sein Studium weiter, wollte danach halb in der Praxis, halb in der Forschung arbeiten. Nach zwei Jahren aber war klar: Beide Bereiche sind so fordernd, dass eine Kombination auf Dauer nicht funktioniert. Fritz konzentrierte sich deshalb erst mal auf das Studium und die Vorarbeiten seiner Forschungsfrage.

Denn schon bei der vierjährigen biodynamischen Ausbildung auf dem Bauckhof, auf dem Trantenrother Hof und bei Fritz Baumgartner in der Schweiz fand der Lehrling zwar Menschen überzeugend und Praktiken nachvollziehbar. Aber im Basistext des Biodynamischen, Rudolf Steiners landwirtschaftlichem Kurs, entdeckte er mehr Fragen als Antworten: Zu viele blieben offen, Jürgen Fritz fand das unbefriedigend. Denen wollte er nachgehen. Zur Landwirtschaft gekommen war er über den Zivildienst auf dem Demeter-Hof in Amelinghausen: So wie da die Landwirtschaft als Organismus gestaltet, wie die Rolle der Kuh für die Bodenfruchtbarkeit verstanden, und der Mensch als Werdender angesehen wurde, „das war eigentlich das, was ich, aus dem linken Ökomilieu kommend, suchte“.

Doch die offenen Fragen trieben den Landwirt und Studenten an. Bei Gesprächen im Rahmen der jährlichen anthroposophischen Hochschulwochen, die er mit organisierte und mehrfach besuchte, wurde ihm klar: Die Fragen brauchen mehrjährige Forschung und das wird nichts unter dem Umfang einer Promotion. Dafür brauchte es solide Vorbereitung und einen Plan: Volldiplom als Voraussetzung für die wissenschaftliche Forschungsarbeit als Doktorand, davor gedanklich-systematische Klärung des Themas und deduktives Herausarbeiten der Versuchsfrage: So untersuchte er in seiner ersten Diplomarbeit das Pflanzenbild in Rudolf Steiners Vortragswerk und dann dessen Übereinstimmung mit Phänomenen der Natur im Abschluss des Aufbaustudiums. Im dritten Schritt dann, auf Basis dieser Theoriesichtung, entwickelte er ein Parallelbild mit Steiners Pflanzenverständnis einerseits den botanischen Phänomenen der Pflanzenhormone andererseits. Die Parallelbild-Hypothese, dass hier auf unterschiedlichen Ebenen das Gleiche beschrieben wird, prüfte er wissenschaftlich im mehrjährigen Feldversuch. (Dargestellt u. a. im Buch: „Biologisch-dynamische Pflanzenbaugrundlagen – Methodik und Forschungen zur Leitidee des Organismus“): „Eigentlich war es kurios, einen solchen Zehnjahresplan abzuarbeiten, aber mit dieser Frage war das die logische Herangehensweise.“ Und so wurde es in seinem Leben nichts mit dem langfristigen Plan, nach dem Forschen wieder Landwirt zu werden. Die wissenschaftlichen Fragen waren zu spannend.

Uni Kassel: Koordination Biologisch-Dynamischer Landbau

  • Teil des Fachgebiets Ökologischer Land- und Pflanzenbau der Universität Kassel-Witzenhausen am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften
  • Verantwortlich: Dr. Jürgen Fritz, Dr. Daniel Kusche; die Arbeitsgruppe wird ergänzt durch Dr. Heberto Rodas Gaitán und Dr. Thomas van Elsen
  • Basismodul zu den Grundlagen der Biodynamischen Landwirtschaft plus 3 Tage Exkursion
  • Vertiefungsmodule mit Übungen u. a. zu Landschaftsgestaltung und Qualitätsbeschreibung
  • Angebot von insgesamt 16 Semesterwochenstunden je Halbjahr für Bachelor- und Masterstudiengang
  • duales Bachelorstudium mit Zusatzqualifikation Biologisch-Dynamische Landwirtschaft möglich (in Zusammenarbeit mit der Landbauschule Dottenfelderhof)
  • aktuell Forschung zu Biodynamischen Präparaten, Qualitätsbeschreibung u. a. mit bildschaffenden Methoden, Gurkenstresslagertest, Milchqualität und menschliche Gesundheit, Kompostierung, Bodengesundheit und Weinqualität
  • www.uni-kassel.de/fb11agrar/fachgebiete-/-einrichtungen/biologisch-dynamische-landwirtschaft/startseite

Methodische Vielfalt erweitert das Verständnis

Hinzu kam die zwischenzeitliche Familiengründung, was dazu führte, dass der Forscher an zwei Standorten präsent ist: in Witzenhausen, wo er forscht und lehrt, und auf dem Wiesengut, dem Öko-Versuchsbetrieb der Uni Bonn bei Hennef an der Sieg. Hier richtete er 2001 ein Labor für die Untersuchung der Qualität von Lebensmitteln mittels Bildschaffender Methoden ein. Für diese Arbeit braucht man immer mehrere Tage am Stück, was gut zu seinem Wohnsitz Köln passt. Seine Aufgaben in Witzenhausen verfolgt Jürgen Fritz blockweise und gut abgestimmt mit seinem Kollegen. Auch an der Uni Bonn hielt er bis zum aktuellen Semester Vorlesungen.

Die Methode der Kupferchloridkristallisation lernte der Forscher­ nach Abschluss seiner Promotion bei Dr. Ursula Balzer-Graf, damals die Koryphäe dieser aus der biodynamischen Forschung heraus entwickelten Methode. Anfangs noch wissenschaftlich umstritten, ist diese Bildschaffende Methode heute durch systematische Ausarbeitung verschiedener Forscher und Univer­sitäten für die Qualitätsbeschreibung unterschiedlichster landwirtschaftlicher und verarbeiteter Erzeugnisse aussagefähig. Und vor allem: wissenschaftlich anerkannt. Die Kupferchloridkristalli­sation erfasst über Inhaltsstoffe hinaus, die Fähigkeit z. B. von Pflanzenextrakten, Form zu bilden und bei Alterung Form zu erhalten. In der naturwissenschaftlichen Forschung spricht man hier seit ca. zehn Jahren von einer Matrix , was meint, dass der Kontext, in dem Inhaltsstoffe eingebunden sind, genauso wichtig ist wie die Inhaltsstoffe selber.

Aktuell ist Fritz damit vor allem in die Forschung zur biodynamischen Qualität im Weinbau eingebunden, mit der Hochschule Geisenheim beispielsweise. Hier ist er auch im Beirat des Langzeitversuchs INBIODYN aktiv. Wissenschaft ist nie fertig – und so entwickelt er gemeinsam mit anderen Forschern in einem mehrjährigen Projekt die visuelle Auswertung der Bildschaffenden Methoden weiter. Durch die Arbeitsgruppe kommt der Schwung hinzu, sich gegenseitig voran zu bringen .

Übersichtsliteratur von Jürgen Fritz

  • Grundlagen zum Verständnis botanischer Aspekte im biologisch-dynamischen Pflanzenbau, Diplomarbeit, Uni-Witzenhausen 1990
  • Biologisch-dynamische Pflanzenbaugrundlagen. Methodik und Forschungen zur Leitidee des Organismus. Verlag Lebendige Erde 2013
  • Geier U, Fritz J., Greiner R., Olbrich-Majer M.: Biologisch-Dynamische Landwirtschaft. In Freyer B (Hg): Ökologischer Landbau. Grundlagen, Wissensstand und Herausforderungen, Haupt Verlag Bern (utb) 2016
  • Brock C., Geier U., Greiner R., Olbrich-Majer M., Fritz J. (2019): Research in biodynamic food and farming – a review. Open Agriculture, 4: 743-757, https://doi.org/10.1515/opag-2019-006

Biodynamisch studieren an Uni und Landbauschule

Unter den Studierenden gibt es schon von der Vorbildung her eine große Spannbreite – einige schnuppern zum ersten Mal in die Agrarwelt, andere haben schon eine Lehre auf einem Demeter-Betrieb hinter sich. So sind im biodynamischen Lehrangebot auch manche sehr verwundert, wenn Sie das erste Mal von den biologisch-dynamischen Präparaten hören. Dass nicht nur in Nährstoffkreisläufen gedacht wird, sondern der landwirtschaftliche Betrieb als Organismus gesehen wird, mündet dann schon mal in die Bemerkung: „Sie denken ja anders!“ Anregungen und die Möglichkeit zum Vertiefen geben, das wollen Jürgen Fritz und seine Arbeitskollegen: das Verständnis dafür wecken, dass es nicht nur um den Ersatz von Agrarchemie durch natürliche Mittel geht, sondern darum, die Umwelt, das Milieu zu gestalten und besonders im Biodynamischen eine natürliche Entwicklung im Gleichgewicht anzustreben.

Für Studierende, die sich vertieft mit dem biologisch-dynamischen Landbau beschäftigen wollen, gibt es gibt es eine Kombination aus Studium in Witzenhausen und dem biologisch-dynamischen Jahreskurs am Dottenfelderhof. Dabei können Abschlussarbeiten an der Uni und Praktikum sinnvoll mit dem Jahreskurs kombiniert werden. So ist es möglich, neben dem Studium einen Abschluss als Fachkraft für biologisch-dynamischen Landbau zu machen. Studierende haben aber auch kritische Fragen: Wie war das mit biodynamisch im Dritten Reich? Und steckt in Steiners Evolutionsverständnis vielleicht eine Art Rassentheorie? Auch die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist an der Uni wichtig.

Wissenschaft ist auch Kooperation

Begegnet ihm in Fachkreisen der Vorwurf, biologisch-dynamisch sei unwissenschaftlich, oder gar wissenschaftsfeindlich, wie es im Frühjahr eine Reihe Medien behauptete? Das nicht, meint Jürgen Fritz, aber „Wir müssen nicht nur forschen, sondern durch Publizieren Fakten und Phänomene aufzeigen“. Aktuell werden z. B. Daten zur Wirkung biodynamischer Präparate auf die Bodenstruktur und die Bodenaktivität in einem Projekt mit französischen Winzern erhoben und publiziert. Und, das müsse auch jenseits von Fachkreisen sichtbar werden. Dazu sei es wichtig, aktuelle Themen zu bearbeiten, wie z. B. bei „one health“, wo es um den Zusammenhang der Gesundheit vom Bodenmikrobiom über Pflanze, Tier, Mensch bis zum globalen Klima gehe.

Aktuell stehen in der Klimakammer, in der sonst die qualitativen Bildreihen aus Kupferchlorid und Pflanzenextrakten auskristallisieren, kleine Kisten mit Salatgurken. Jens-Otto Andersen, viele Jahre Leiter der Forschung im Biodynamischen Verein Dänemarks, hat einen sehr eindrücklichen Vitalitiätstest entwickelt, in dem der Zerfall von Gurken bei der Alterung erfasst wird (vgl. LE 6-2019, bzw. www.lebendigeerde.de/index.php?id=biodyn_forschung), in Fortführung der Lager- und Rottetests, die einst im Darmstädter Forschungsring z. B. mit Möhren praktiziert wurden. In einem gemeinsamen Projekt wollen Jürgen Fritz, Jens-Otto Andersen und Ewa Rembialkowska von der Uni Warschau die Methode der Stresslagerung von Gurken in einem Ringversuch weiter entwickeln als Test zur Differenzierung der Anbauverfahren Konventionell, Organisch und Biologisch-Dynamisch.

Die Zusammenarbeit der wenigen Forscher zu biodynamischen Themen ist wichtig, auch international. So ist Fritz u. a. im Beirat zu einem Langzeitdüngungsversuch und im Aufsichtsrat des Forschungsring e. V. in Darmstadt, im Stiftungsrat der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, hält Vorträge im In- und Ausland – und natürlich auch im Rahmen der zweiten internationalen biodynamischen Wissenschaftskonferenz Ende August/Anfang September, die er mit vorbereitet. Denn es sei unterstützend und inspirierend, sich gegenseitig wahrzunehmen, Erfahrungen auszutauschen, Methoden zu diskutieren, auch weil sich hier institutionell aufgestellte und freie Forscher:nnen aus aller Welt, von Indien bis Hawaii treffen. Internationale Vernetzung mit Agrarforschern und deren Expertise braucht es auch in vielen Projekten, z. B. bei den Untersuchungen zur Wirkung von biologisch-dynamischen Präparaten auf das Mikrobiom (vor allem Bakterien und Pilze) im Boden.

Sein Rat für Menschen, die biodynamisch forschen wollen: Partner suchen, wie den Forschungsring oder Arbeitsgruppen an der Uni, ein Projekt dort oder ein eigenes bearbeiten und wenn eine eigene Frage da ist, diese ernst nehmen und dranbleiben, auch wenn es viele Hürden gibt. Denn es gibt noch viele spannende, offene Fragen zum Biodynamischen Landbau, zwischen Bodenleben bis hin zu Agroforst auf Demeter-Betrieben, von Lebensmittelqualität bis zur sozioökonomischen Gestalt zukunftsfähiger Betriebe.

 

Autor: Michael Olbrich-Majer