Portrait

Gärtnerhof Röllingsen

Vom Samenkorn zum Kunden

von Katrin Bader

Der Gärtnerhof Röllingsen bei Soest bietet seinen Kundinnenund Kunden ganzjährig eine Vielfalt an selbst angebautem Gemüse mit bis zu 200 Sorten in 45 Kulturen. Ein wichtiger Eckpfeiler dafür ist der geschützte Anbau, der einerseits die Freilandsaison verlängert, im Sommer den Anbau von Tomaten, Gurken, Paprika und Auberginen ermöglicht, und im Winter die Versorgung mit frischem Grün sicherstellt.

Personen zu finden, die Verantwortung übernehmen wollen, ist schwierig – Maike und Kai waren ein Glücksfall.“
Burkhard Tillmanns

Der Gärtnerhof Röllingsen bei Soest bietet seinen Kundinnenund Kunden ganzjährig eine Vielfalt an selbst angebautem Gemüse mit bis zu 200 Sorten in 45 Kulturen. Ein wichtiger Eckpfeiler dafür ist der geschützte Anbau, der einerseits die Freilandsaison verlängert, im Sommer den Anbau von Tomaten, Gurken, Paprika und Auberginen ermöglicht, und im Winter die Versorgung mit frischem Grün sicherstellt.

Die Geschichte des Hofs beginnt 1992, als Burkhard Tillmanns und seine Frau Maria Fraune-Tillmanns gemeinsam mit dem befreundeten Ehepaar Liv und Klaus Kurz die ruhende Hofstelle Stück für Stück wiederbelebten. Die Entwicklung eines vielseitigen biodynamischen Betriebskreislaufs war ihr erklärtes Ziel. 2006 konnte eine weitere Hofstelle im Ort gepachtet werden, hier gründete Familie Kurz den Eschenhof, ebenfalls als Demeter-Betrieb, gemeinsam bewirtschaftet als ein Hoforganismus mit dem Gärtnerhof. Nach vielen Jahren der Betriebsentwicklung und Gemeinschaftsbildung konnten Maria und Burkhard die Verantwortung für den Gärtnerhof an die nächste Generation übergeben: Die GbR besteht nun aus Maike und Kai Himstedt, die bereits seit 2017 am Hof und seit 2019 mit in der GbR sind, und aus Janna und Simon Stickel, die zum 1.1.2025 beigetreten sind.

Gesamtkonzept Hoforganismus

Der Gärtnerhof Röllingsen ist auf Gemüse spezialisiert – rund sechs Hektar sind für den Anbau im Freiland und im geschützten Anbau vorgesehen. Die restlichen Flächen des Hofs, immerhin 14 ha, entfallen auf Kleegras, Weiden, Hecken, kleine Waldstücke, Feuchtbiotope, Obstbäume sowie Wege und Hoffläche. Die Kooperation mit dem benachbarten Eschenhof bezieht das tierische Element in den Betrieb mit ein und sichert dadurch auch die Düngerversorgung: Die Hälfte der 24 Köpfigen Limousin-Mutterkuhherde ist im Winter auf dem Gärtnerhof untergebracht und weidet im Sommer auf den Weiden, die hinter den Gemüseflächen liegen. Klaus und Liv Kurz versorgen die Tiere.

Erstaunliche 95 % des produzierten Gemüses werden vermarktet. Das gelingt durch eine gute Kundenbindung, stabile Preise, gute Planung und verschiedene direkte Absatzwege: Die Abokisten machen 55 %, der Marktstand 30 % und der Ab-Hof-Verkauf 15 % des Umsatzes aus. Außerdem beliefern die Gärtner:innen den Bioladen „Lebensgarten“ in Soest sowie zwei Verarbeitungsküchen, dadurch kann die Vielfalt des Gemüses gezielt vermarktet werden. Übergrößen gehen bspw. an die Küchen, Untergrößen in die Abokisten und bei Überschuss bietet der Lebensgarten auch mal einen Sonderpreis an.

Qualität beginnt im Samenkorn

Die Röllingser Gärtnerinnen und Gärtner setzen auf Ertragssicherheit durch Vielfalt auf verschiedenen Ebenen – Vielfalt in der Vermarktung, den Kulturen und den Sorten. So bauen sie eine Mischung aus samenfesten Sorten und Hybriden an, vergleichen und testen immer wieder, welche Sorten für ihren Standort passend sind und zuverlässig Ertrag bringen. Zu 90 % der Kulturen ziehen sie ihre eigenen Jungpflanzen an. Die hofeigene Anzuchterde besteht je zur Hälfte aus eigenem Kompost und aus Zukauferde mit 50 % Torfanteil. Die eigene Anzuchterde fügt sich ideal in den Betriebskreislauf ein, da der Kompost über die Wurzelballen der Jungpflanzen den Gewächshäusern und Freilandflächen zugeführt wird. Durch die Jungpflanzenanzucht liegt die Sorten- und Saatgutfirmenwahl in der eigenen Hand, sie können die Zeitpunkte der einzelnen Sätze selbst bestimmen und auch die Mengen individuell anpassen. So sind auch Sortenexperimente möglich.

Diese Flexibilität dient auch der Kontinuität im Anbau übers Jahr, wenn etwa 14 Sätze Salat angezogen werden. Allerdings ist die eigene Anzucht nicht dogmatisch: Jungpflanzen für Feldsalat werden zugekauft, Porree fürs Freiland und der erste Satz Tomaten sowie veredelte Gurken für das Gewächshaus ebenso. Den Vorteilen der eigenen Anzucht stehen aber auch Risiken gegenüber, so Kai: „Wenn etwas schief geht, kann man es nicht auf andere schieben, sondern ist selbst dafür verantwortlich“ und fasst weiter zusammen: „Zu bedenken sind die Aspekte Zeit, Knowhow und die Räumlichkeiten. Die Jungpflanzenanzucht ist die Basis für unsere Ernte, etwas so Wichtiges geht nicht einfach nebenher, dafür muss die Infrastruktur geschaffen und gepflegt werden“. Daher ist die Anzucht im Glashaus integriert und 2022 wurde ein neuer Tunnel mit Außenplatz für die Abhärtung gebaut. Einerseits korreliert die eigene Anzucht im Frühsommer mit Arbeitsspitzen, andererseits besteht im Winter und Frühjahr die Möglichkeit, die Mitarbeitenden auszulasten.

 

Das ganze Jahr über Saison

Für den geschützten Anbau stehen das 1.300 m² große Glashaus und zwei, je 500 m² große Folienhäuser zur Verfügung. Das Glashaus wird im Winter lediglich frostfrei bei zwei bis drei Grad Celsius gehalten und bei der Pflanzung früher Sätze auf maximal 14°C geheizt – dafür liefert eine Hackschnitzelheizung die nötige Wärme. Einer der Tunnel wird bei Bedarf mit Flüssiggas frostfrei gehalten.

Um die Bodenfruchtbarkeit im geschützten Anbau sicherzustellen, setzen die Gärtner:innen auf einen möglichst ständig bepflanzten Boden, mit Mulch oder Untersaaten, vereinzelt auch Gründüngung. Über die Jahre wird ein Fruchtwechsel, keine Fruchtfolge praktiziert – so stehen die Tomaten beispielsweise alle zwei Jahre wieder am selben Platz. „Den Nährstoffentzug fangen wir hauptsächlich durch Schafwollpellets, Gesteinsmehle und Kalisop auf, ergänzend dazu wirken Untersaaten, das Mulchmaterial und die Gründüngungen verlebendigend“, erklärt Kai. Die Schafwollpellets kommen bei den Sommerhauptkulturen Tomaten (870 m²), Gurken (300 m²), Auberginen und Paprika (je 250 m²), mit insgesamt weniger als 200 kg pro Jahr zum Einsatz. Die Gabe richtet sich nach einer Düngebedarfsrechnung, um eine Überversorgung zu vermeiden – den Zustand des Bodens behalten sie auch mit regelmäßigen Bodenproben alle zwei bis drei Jahre im Blick.

Die Tomaten, Paprika und Auberginen bekommen circa drei Wochen nach Pflanzung eine Mulchschicht aus eigenem Kleegras, per Hand verteilt. In den Gurken sorgt eine Untersaat mit Hornschotenklee, der nach der Kultur flach eingearbeitet wird, für Bodenbedeckung. Im geschützten Anbau sowie im Freiland lautet die Devise der Gärtner:innen: tief lockern und flach wenden. Ein krümeliger, nach Humus riechender Boden ist das Ergebnis all dieser Bemühungen.

Im Winter ist Feldsalat die Hauptkultur, die in sieben Sätzen à 230 m² gepflanzt wird. Schnittsalate auf 170 m², Postelein auf 150 m², Rucola auf 110 m² und Mangold, der viermal geschnitten wird, auf 150 m² ergänzen den Bestand. Im Frühjahr gesellen sich Radieschen und Baby Leaf sowie Spinat dazu, der den Feldsalat peu à peu ersetzt. Ihm folgt Kopfsalat, der den Anschluss an den Freilandsalat bildet – so können die Röllingser ganzjährig eigenen Salat anbieten. Eine Besonderheit und geschmackvolle Ergänzung für die Abokisten ist die Treiberei von Chicorée: Im Bereich der Jungpflanzenanzucht stehen Kisten, in denen die wöchentlich gelieferten Wurzeln eingeschlagen, also in Erde gesetzt und lichtdicht abgedeckt, werden, bis sie nach rund drei Wochen erntereif sind. 450 kg Wurzeln je Satz ergeben über den Winter etwa 3,5 Tonnen, von denen circa zwei Tonnen Chicorée geerntet werden.

Krankheiten und Schädlingen zuvorkommen

Eine gute Klimaführung ist das A und O im geschützten Anbau und sorgt, neben der Bodenfruchtbarkeit, für eine gute Pflanzengesundheit. Daher werden im Glashaus einzelne Scheiben der Stehwände durch neue Lamellenöffnungen ersetzt, die mehr Luft durchlassen. Bei den Folienhäusern sind die Seitenflächen aufrollbar und die Giebel haben Schiebetüren, das ermöglicht eine gute Belüftung und auch die Temperatur kann so gesteuert werden. „Das Glashaus besprühen wir im Sommer zusätzlich mit Kreidemilch, um die Sonneneinstrahlung etwas zu reduzieren“, erzählt Maike Himstedt. Die Bewässerung läuft, je nach Kultur, entweder über Kopf oder per Tropfschlauch. Dank einer Regenwasserzisterne steht ausreichend Wasser dafür zur Verfügung.

Der Nützlingseinsatz folgt einem prophylaktischen Einsatzplan, den die Röllingser jährlich nach Rücksprache mit dem Nützlingsanbieter anpassen. „Nützlinge setzen wir gegen Weiße Fliege, Spinnmilbe, Läuse und Tripse ein, situativ bestellen wir sie nach und bei Bedarf wechseln wir von parasitierenden zu räuberischen Nützlingen.“ so Kai. In der Jungpflanzenanzucht werden Nützlinge durch eine offene Zucht gefördert. Der Nützlingseinsatz eignet sich auch hervorragend, um die Lehrlinge an die genaue Beobachtung der Kulturen heranzuführen und zu schulen: Welche Mengen bspw. an Schädlingen sind tolerabel, ab wann muss gehandelt werden?

Zur Pflanzengesundheit gehört auch der Einsatz biodynamischer Präparate: Hier ist „So oft wie möglich“ die Devise – alle Präparate werden immer frisch im Fass gerührt und per Rückenspritze ausgebracht, auch im Freiland. Hornmist wird zur Einarbeitung der Untersaaten und Gründüngung sowie der Pflanzung gegeben und auch bei den Jungpflanzen eingesetzt. Das Fruchtgemüse bekommt Spritzungen mit Hornkiesel ab der Blütenbildung. Bei Pilzproblemen hat sich die Hornkieselgabe an drei aufeinanderfolgenden Tagen bewährt, ergänzt durch Ackerschachtelhalm.

Herzstück der Vermarktung

Die Abokisten machen mit 55 % den größten Umsatzanteil aus. Zu 70 % sind sie mit eigenen Produkten vom Hof gefüllt, wenn Zukauf nötig ist, erfolgt er möglichst regional, von Demeter-Betrieben und größtenteils saisonal. Das Besondere bei der Abokiste ist, dass es kein Bestell-Abo mit exotischen Früchten und Trockenprodukten ist, sondern ein Gemüseabo mit dem, was es saisonal ab Hof gibt. „Natürlich dürfen unsere Kunden auch mal etwas abwählen, aber was sie dann als Ersatz bekommen, das entscheiden wir je nachdem, was der Anbau gerade bietet“, erklärt Maike das Abosystem. „Es ist bemerkenswert, dass dieses innovative Vermarktungssystem, was sich die Gründer vor 30 Jahren erdacht haben, heute immer noch so gut funktioniert“, so Maike weiter. So lassen sich die Kisteninhalte und Abläufe gut planen und das Packen geht verhältnismäßig schnell, da die Inhalte standardisiert sind. Dadurch ist sichergestellt, dass das vorhandene Gemüse auf jeden Fall Absatz findet. „Es ist auch ein Stück weit Kundenerziehung, da sie so lernen, was Saison hat, dass Gemüse auch mal verformt, krumm oder klein sein kann“, ergänzt Kai das Vorgehen. Eine gute Kommunikation ist dabei sehr wichtig, haben Maike und Kai gelernt, denn wenn die Kund:innen wissen, wieso und warum etwas klein oder krumm ist, akzeptieren sie das „andersartige Gemüse“ viel mehr. Vielfältige Rezeptideen finden die Kund:innen übrigens im Röllingser Kochbuch „Jahreszeiten schmecken“, das per Mail bestellt werden kann.

Aktuell haben die Röllingser Gärtner:innen 650 Abokisten-Bezieher. 60 bis 70 % der Kisten werden wöchentlich, der Rest zweiwöchentlich an Ablageorte für acht bis 45 Kisten ausgeliefert. Vier verschiedenen Größen gibt es, für zwei bis mehr als fünf Personen. Der Absatz der Kisten ist recht stabil, natürlich gab es einen Corona-Peak, momentan ist noch etwas Luft nach oben – 700 Kisten wären optimal für den Anbau, die Auslastung der Lager, Packräume und Lieferfahrzeuge. Auch der Umsatz am Marktstand ist stabil bis leicht steigend, was eventuell auch an der Markttreue der Sauerländer liegt. Ebenso gut steht der Ab-Hof-Verkauf da, der ebenfalls zweimal wöchentlich stattfindet.

Wissen vermitteln und fördern

Die Röllingser sind seit Gründung sehr aktiv in der Ausbildung junger Gärtner:innen. Bisher wurden 40 Lehrlinge erfolgreich ausgebildet, die zwei Stellen sind immer besetzt. Kai und Burkhard sind im Initiativkreis der Ausbildung und selbst als Dozenten und Prüfer aktiv, auch finden immer wieder Seminare am Hof statt. Andererseits lockt viele Lehrlinge das Komplettpaket, das der Hof bietet: Gärtnerwissen, vom Samenkorn über die Aussaat, Anzucht, Pflege und Ernte bis hin zur Vermarktung. Die Azubis werden in alle Bereiche einbezogen und in die Verantwortung gebracht. So lernen sie, die einer Aufgabe vor- und nachgelagerten Bereiche auch im Blick zu behalten, die Pflanzen ganz genau zu beobachten und vorausschauend zu planen. „Jede:r am Hof ist wichtig, als Teil des Betriebsorganismus“ sagt Kai und berichtet auch von der Jahresarbeit eines Auszubildenden, der sich der perfekten Mischung an Schnittsalaten widmete: Welche Sorten, Mengen, Pflanzabstände, wie viele Sätze? Das Ergebnis hat sich im Anbau bewährt und so gedeiht der Mix aus Asia-Salaten, Postelein, Barbarakresse u. a. auch aktuell im Kalthaus.

Das Engagement in der Ausbildung junger Menschen, die Förderung biodynamischer Qualität und das lebendig halten einer Hofgemeinschaft, nicht nur durch gemeinsame Mahlzeiten, zeichnet den Gärtnerhof Röllingsen aus. Es gibt noch viele Bereiche, über die berichtet werden könnte: Die Übergabeprozesse, die Saatgutvermehrung, den Förderverein, Experimente mit Silage als Dünger, Kundenkommunikation, Perspektiven für die Energieversorgung des Hofes, die Blumenbeete von Maike, etc. – eins ist klar: Die Röllingser Gärtner:innen sind innovativ, reflektiert, bodenständig und voller Zuversicht. Ein tolles Team, das tagtäglich für beste Demeter-Qualität arbeitet.

 

Katrin Bader
Redaktion Lebendige Erde

Betriebsinfo

  • Vermarktung: Abokisten, ab-Hof-Verkauf, 2 Wochenmärkte, Verkauf an Einzelhändler, 2 Großküchen und Kindergärten
  • Produkte: Sommer- und Wintergemüse, bis 200 Sorten in 45 Kulturen; Topfpflanzen im Frühjahr
  • 4 Betriebsleitende, 5 Gärtner:innen, 2 Azubis, 5 Teilzeitkräfte, Hauswirtschaft, Kundenbetreuung, Praktikanten
  • 20 ha: ca. 7 ha Grünland, 5 ha Gemüsebau, 3 ha Kleegras, 1,5 ha Weiden mit Obstbäumen, Rest: Blühstreifen, Wege, Hoffläche
  • Tierbestand in Kooperation mit Eschenhof: Limousin-Mutterkuhherde, 12 Tiere im Winterstall am Gärtnerhof
  • https://www.gaertnerhof-roellingsen.de