Schwerpunkt

Den regionalen Mehrwert beziffern

Bio stärkt die Region

von Birgit Will

Die Vorteile einer ökologischen Lebensmittelproduktion sind der Branche klar – aber damit noch lange nicht beim Gros der Verbraucher angekommen. Auf welche Weise können Biounternehmen verdeutlichen, wie stark eine Region von den regionalen Wertschätzungsketten im Biosegment profitiert? Der FairBio Verein hat dafür in Zusammenarbeit mit Experten vom Umweltcampus Birkenfeld der Uni Trier den Regionalwert von vier Beispielbetrieben berechnen lassen.

Die weltweiten Auswirkungen des modernen Lebensstils werden immer mehr Konsumenten bewusst. Themen wie Klimawandel, Bienensterben und Globalisierung steigern die Sehnsucht nach Sicherheit. Marktforscher prognostizieren daher, dass die Nachfrage nach biologisch und regional erzeugten Lebensmitteln weiter steigen wird. Auch Entscheider in Politik und Verwaltung erkennen regionale Wertbeiträge zunehmend als wichtigen Parameter bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen. „Während die Globalisierung Produktionsstrukturen systematisch verlagert, sichern regional aufgestellte Unternehmen die Wirtschaftskraft in der Heimatregion. Damit halten sie die Kompetenz zur Herstellung von Lebensmitteln langfristig in der Region und tragen zur regionalen Wertschöpfung bei“, sagt Professor Christian Kammlott vom Umweltcampus Birkenfeld der Universität Trier.

Doch wie hoch ist der regionale Wertschöpfungsbeitrag eines Unternehmens konkret? Um diesen Nutzen zahlenmäßig auszudrücken, haben die Experten des Umweltcampus eine neue Berechnungsmethode entwickelt. Dieser sogenannte Regionalwert spiegelt nicht den Wert des Unternehmens für die Eigentümer oder Gesellschafter wider, sondern bildet die vom Unternehmen geschaffenen Wertbeiträge für die Gemeinschaft ab. Damit können Verbraucher nachvollziehen, welchen ökonomischen Vorteil das Unternehmen für seine Region und die dort lebenden Menschen bringt. Der ermittelte Regionalwert ist also der Geldwert, den ein Unternehmen seiner Region sichert. Er berechnet sich aus dem Anteil des Personal- und Materialaufwandes, der Zinsen, Gewinne, Steuern und Abgaben, die tatsächlich in der Region verbleiben.

Die ersten Unternehmen, für die ein solcher Regionalwert berechnet wurde, waren Bauckhof Naturkost Rosche, die Vollkorn-Biobäckerei Cibaria, der Gemüsehandel des Biolandhofes Engemann sowie die Upländer Bauernmolkerei. Die vier Praxisbeispiele zeigen auf, welche konkreten Regionalwerte ermittelt wurden.

Bauckhof: Hier zählt jedes Korn

Bauckhof Naturkost Rosche ist seit 50 Jahren Demeter-Verarbeiter. Das Unternehmen ist hervorgegangen aus einem Betrieb, der seit 1932 biologisch-dynamische Landwirtschaft betreibt. Hergestellt werden unter anderem Mehle, Müslis und Backmischungen. Heute sind bei Bauckhof rund 140 Mitarbeiter beschäftigt, davon arbeitet ein großer Teil in familienfreundlichen, flexiblen Teilzeit-Modellen. Welchen Mehrwert sichert die Mühle in ihrer Region?

Nach den Berechnungen der Wissenschaftler verbleiben im Unternehmen rund 35 Prozent der Umsatzerlöse im Umkreis von 100 Kilometern: bei Öko-Landwirten, die die Rohstoffe liefern, beim Personal, bei der Gemeinde oder anderen Unternehmern, die vom Bauckhof Aufträge erhalten. Im Umkreis von 300 Kilometern sind es bereits 50 Prozent. „Als Spezialist verarbeiten wir besonders viele Rohstoffe in Demeter-Qualität. Dadurch ist der Einkaufsradius bei Weizen, Roggen, Dinkel, Gerste und Hafer zwangsläufig etwas größer, denn in der näheren Umgebung gibt es gar nicht genug Landwirte, die nach dieser anspruchsvollen Anbaumethode arbeiten“, erläutert Jan-Peter Bauck. Insgesamt erwirtschaftet Bauckhof Naturkost Rosche in einem Umkreis vom 300 Kilometern einen Regionalwert von rund 127 Millionen Euro.

Biovollkornbäckerei Cibaria: Das Nächste, nicht das Billigste

Die ökologische Vollkornbäckerei Cibaria wurde 1990 in Münster gegründet. Gründerin und Geschäftsführerin ist Rike Kappler. Das Sortiment umfasst rund 50 Brotsorten und 28 Brötchen­sorten sowie 20 verschiedene Kuchen. Die Backwaren werden im eigenen Laden, auf den Wochenmärkten sowie in den Naturkostfachgeschäften und Superbiomärkten in der Region verkauft. 65 Mitarbeiter sind in dem Unternehmen beschäftigt, dazu zählen sechs Auszubildende.

Bäckermeisterin und Geschäftsführerin Rike Kappler steht für eine klare regionale Ausrichtung. „Wir kaufen nicht das Billigste, sondern das Nächste. Deshalb beziehen wir unser Getreide direkt aus dem nahen Umland. Das gilt übrigens auch für das meiste Obst und Gemüse, das wir in unserer Bäckerei verarbeiten. Erdbeerkuchen gibt es zum Beispiel nur in der Saison. Auch andere Aufträge vergeben wir in Münster oder in die Region: Die Getreidereinigung übernimmt ein Ökobetrieb im Münsterland, die Arbeitskleidung aus der Bäckerei lassen wir von einer sozialen Einrichtung in Münster waschen.“

Der Ansatz, möglichst Rohstoffe aus der unmittelbaren Region zu verarbeiten, ist für die Bäckerei eine Herausforderung. Denn die Qualität von Getreide kann von Ernte zu Ernte schwanken. Das gilt vor allem für die Backfähigkeit. „Um mit solchen Schwankungen umgehen zu können und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen guter Backfähigkeit und gutem Aroma herzustellen, braucht es viel berufliche Erfahrung und handwerkliches Können.“

Ihr regionales Engagement kann die Vollkornbäckerei nun mit Zahlen belegen. Wie die Berechnungen der Wissenschaftler belegen, wird ein sehr hoher Anteil des jährlichen Umsatzes in einem 100 km-Umkreis um das Unternehmen ausgezahlt. Der regionale Wertschöpfungsbeitrag von Cibaria ist mit 84 Prozent sehr hoch und erreicht in diesem Radius einen Regionalwert in Höhe von rund 21 Millionen Euro.

Biogemüsehandel Engemann: Kooperationen fördern regionalen Öko-Anbau

Seit drei Jahrzehnten bewirtschaften die beiden Brüder Klaus und Andreas Engemann ihren Bioland-Hof. Hier werden auf insgesamt 65 Hektar Obst, Gemüse und Getreide angebaut. Die Biopioniere in Ostwestfalen sind kontinuierlich auf Expansionskurs. Statt kapitalintensiv über Pacht oder Kauf zu wachsen, wählten Engemanns den Weg der Kooperation mit umstellungswilligen Betrieben. Klaus Engemann hat für sein regionales Engagement drei Ziele vor Augen: „Kooperationen mit anderen Biobetrieben, Schaffung von Arbeitsplätzen und Erhöhung der Öko-Anbaufläche.“

Die Bilanz kann sich sehen lassen. Durch Kooperationen mit anderen Bio-Betrieben aus der Region konnte vielen Betrieben eine Umstellung auf ökologischen Landbau ermöglicht werden. Auf diese Weise entstanden ein Bio-Pilzzuchtbetrieb, eine Bioland-Gärtnerei und der Bio-Obst-Hof Hegge als Demeter-zertifizierter Betrieb. Insgesamt bündelt das Leuchtturm-Unternehmen in der Region 125 ha Freilandgemüse, 50 ha Obst und 1,5 ha Gewächshäuser. Der Anbau von Pilzen, Erdbeeren, Himbeeren oder Chicoree erfordert einen hohen Arbeitskräfteeinsatz. Auch davon profitiert die Region, denn Arbeitsplätze sind auf dem Land rar. „Heute werden in der Gemarkung Eissen rund 40 Prozent der Fläche ökologisch bewirtschaftet und damit auch die Artenvielfalt in der Region gefördert“, freut sich Klaus Engemann. Zusätzlich betreiben die beiden Brüder seit 1991 einen eigenständigen Gemüsehandel, die A&K Engemann GbR, für diesen Betriebszweig wurde der Regionalwert ermittelt.

Bereits in einem Umkreis von 100 Kilometern erzielt der Bioland­hof Engemann mit seinem Obst- und Gemüsehandel einen hohen Wertschöpfungsanteil – fast 83 Prozent, da die meisten Bio-Rohstoffe hier bezogen werden. Der regionale Wertschöpfungs­beitrag erhöht sich in einem 200 Kilometer-Umkreis auf knapp 90 Prozent. Die Wissenschaftler berechneten für den Betriebszweig Gemüsehandel des Biolandhofes Engemann insgesamt einen Re­gionalwert in Höhe von mindestens 20 Millionen Euro bezogen auf einen Umkreis von 100 Kilometern.

Upländer Bauernmolkerei: Bio-Milch stärkt die Region

„Die Upländer Bauernmolkerei ist auf einem starken regionalen Fundament errichtet“, beschreibt Geschäftsführerin Karin Artzt-Steinbrink die Verankerung des Unternehmens in Hessen. Bio-Bauern aus der Region haben zusammen mit anderen Privat- und Geschäftsleuten sowie Umweltschützern eine stillgelegte Molkerei aufgekauft und zu einer Bio-Molkerei entwickelt. Die inzwischen einzige Bio-Molkerei in Hessen verarbeitet jährlich rund 35 Millionen Liter Biomilch. Die Milchbauern haben die Mehrheitsanteile an der Molkerei: Sie bestimmen die Milchpreise, die Vermarktung der Molkereiprodukte oder betriebliche Entwicklungen der Molkerei. Die meisten der 110 Milchbetriebe liegen in einem Umkreis von 100 Kilometern um die Molkerei. Das Unternehmen ist mit etwa 50 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in der Tourismusregion Upland. Hier sorgen die Weiden der Kühe für ein abwechslungsreiches Landschaftsbild, wovon wiederum der Fremdenverkehr profitiert.

Der Nutzen der Molkerei für die Region lässt sich nun auch durch Zahlen belegen: Vom Jahresumsatz fließen rund 67 Prozent wieder in die Region in einem Umkreis von 100 Kilometern. Dieser Anteil steigt bei einem 200 Kilometer-Radius auf mehr als 90 Prozent.

Davon geht mit über 85 Prozent der weitaus größte Anteil wieder zurück an die Milchbauern. Und das ist ganz im Sinne der Bauernmolkerei. Die Steuern, die an die Gemeinde fließen, machen prozentual vom Jahresumsatz nur einen kleinen Anteil, rund 1,5 Prozent aus. In Euro umgerechnet kann damit aber die Gemeinde in etwa einen Arbeitsplatz im Kindergarten finanzieren. Auch das entspricht der Geschäftsphilosophie der Bauernmolkerei: „Wir wollen auch in Zukunft lebendige Dörfer, eine vielfältige Landschaft und nachhaltig wirtschaftende Bauern erhalten, um eine hohe Lebensqualität zu sichern“, betont Karin Artzt-Steinbrink. Für die Upländer Bauernmolkerei haben die Wissenschaftler einen Regionalwert von rund 103 Millionen Euro bezogen auf einen Umkreis von 100 Kilometern errechnet. Im Umkreis von 200 Kilometern sind es bereits 132 Millionen Euro.

Wertschöpfung für die Region

Die vier zertifizierten FairBio-Mitglieder haben das Projekt Regionalwert unterstützt, weil sie wissen wollten, wie sich ihr regionales Engagement ökonomisch niederschlägt. Das Fazit der Berechnung: Kleinere Unternehmen mit einem ausgeprägten regionalen Bezug können in einem kleinen Radius hohe regionale Wertbeiträge erzielen. Somit können mehrere kleine Unternehmen in einer begrenzten Region durchaus viel bewirken. Bei einem größeren Unternehmen ist der regionale Einzugsbereich naturgemäß größer, da mehr Rohstoffe benötigt werden. Durch die Betriebsgröße fällt dort der absolute Wertschöpfungsbeitrag dann jedoch höher aus als bei einem kleineren Unternehmen.

Ob nun kleinere oder größere Unternehmen – in jedem Fall hilft der errechnete Regionalwert in der Kommunikation. „Immer mehr Konsumenten werden für das Thema Lebensmittelversorgung sensibilisiert. Es findet eine kollektive Umorientierung statt“, erklärt Wilfried Bommert, Sachbuchautor und Sprecher des Institutes für Welternährung e. V. in Berlin. „Die Bauern, die hier in unserer Region wirtschaften, bieten ein enormes Potenzial. Sie schaffen Einkommen in der Region und sichern den sozialen Background, von dem wir alle am Ende leben“, argumentiert Bommert und prognostiziert eine Rückkehr zu alternativen Konzepten in regionalen Wertschöpfungsräumen.

Autorin: Birgit Will, Geschäftsführerin FairBio Verein, www.fairbio.bio


 

FairBio – Fairness für heimisches Bio

Die Kunden entscheiden tagtäglich mit ihrem Einkauf, wie stark sie die Ökolandwirtschaft in ihrer Heimat wertschätzen. Kaufen sie heimische Bioprodukte, verbleibt ein großer Teil der Wertschöpfung in den Regionen. Seit mehr als zehn Jahren engagiert sich der FairBio Verein daher für „Mehr Fairness für heimisches Bio“. Die Strukturen in der Biobranche stehen derzeit vor einem massiven Umbruch: Der Anspruch des alternativen Wirtschaftens ist auf dem Weg zum globalisierten Big Business. FairBio will hier gegensteuern und weiterhin einen gemeinsamen sozialen Prozess in der Wertschöpfungskette gestalten. Mit langfristigen und fairen Partnerschaften, in denen Bio-Landwirte angemessene Preise für Produkte erhalten, und transparenten Firmenstrukturen treten die Vereinsmitglieder für ein anderes Wirtschaften ein. Für sie ist regionale Vernetzung kein Fremdwort und ein fairer Umgang mit Partnern selbstverständlich. www.fairbio.bio