Bildung und Boden
Nahrungsmittelknappheit braucht mehr als technische Antworten
Warum ist der Hunger in der Welt auf einmal Medienthema? Schon seit Jahren haben mehr als 800 Mio. Menschen zuwenig zu essen und es hat kein Aufsehen erregt. Vielleicht, weil auch bei uns die Lebensmittelpreise ein bisschen gestiegen sind? Oder weil wir uns - seit neuestem - mitverantwortlich fühlen: AgroSprit in unseren Tanks und leere Teller bei den Armen?
Weltweit sind die Lebensmittelpreise stark gestiegen: wegen Knappheit, doch die ist relativ. Aktuell heißt das: nicht erschwinglich für viele Menschen in armen Ländern. So rationieren Regierungen in Ostasien und sogar US- Supermärkte Reis, während u.a. US-Pensionsfonds mit Großeinkäufen an der Chicagoer Warenterminbörse auf weiter steigende Preise setzen und diese treiben. In der Welt des Kapitals genügen wenige Prozent Veränderung der Welternte oder der virtuellen Nachfrage, um heftige Preisausschläge hervorzurufen. Der Weizenpreis hat sich binnen eines Jahres verdreifacht, ähnliches gilt für Reis.
Am stärksten trifft es die Landbevölkerung in Ländern der dritten Welt. Denn die ist es in der Regel, die hungert. Meist sind es Kleinbauern, oft ohne eigenes Land, meist ohne Ausbildung, mehr oder weniger Selbstversorger. Sie leben fernab der Städte und Straßen, Hilfe ereicht sie schwer.
Hier rächt sich, dass der Agrarbereich seit Jahrzehnten von vielen Regierungen und Institutionen vernachlässigt wurde: keine Investitionen in Straßen, Lager, Absatzförderung, keine Investitionen in Ausbildung. Wenn, meist nur da, wo der Weltmarkt lockt. Man verließ sich auf die Multis, und ergänzte den Rest durch Subventionen und Lebensmittelhilfe. Drei Viertel der Entwicklungsländer sind Nettoimporteure von Lebensmitteln.
Da kommt der erste Weltlandwirtschaftsbericht des IAASTD, einem von der UN beauftragten Wissenschaftlerkongress vergleichbar dem UN-Klimarat, zur rechten Zeit: Er fordert ein Umdenken in der Landwirtschaft: Vor allem seien die Rahmenbedingungen für Landbewirtschafter deutlich zu verbessern. Weniger Subventionen in Europa und USA, Förderung der Frauen, Vielfalt statt Monokultur und anderes mehr. Landreform ist ein weiteres Thema: Unsichere Eigentumsrechte und miese Verwaltung sind vielen Staaten ein Produktionshemmnis und produzieren Armut.
Der IAASTD hat sich auch zur Gentechnik geäußert. Fazit: es gibt Wichtigeres, in das es zu investieren lohne. Verständlich, denn Gentechnik ist nur ein kleiner Arbeitsschritt in der Züchtung einer Pflanze. Mit Kultur-Verfahren, die mehrere Faktoren berücksichtigen und erst recht mit agrarökologisch angepassten Anbau-Systemen können Erträge nachhaltig gesteigert und gesichert werden. Aber dafür muss deutlich mehr Geld in diese Art Forschung fließen und in die Bildung der Landbevölkerung. Das allerdings steht im Widerspruch zu patentierbaren Lösungen wie Gentechnik, Düngern oder Agrargiften: die werfen als Handelsware Kapitalrendite ab und stehen so im Focus der Regierungsinteressen. Auch weil diese dann nichts tun müssen. Es käme aber auf eine andere Art Gewinn an, eine soziale Rendite, letztlich preiswerter: Menschen so ausbilden und strukturell fördern, dass sie sich selbst ernähren können, dass sie lernen, Böden fruchtbar und den Anbau nachhaltig zu machen. Das Modell dazu gibt es schon, in renommierten Studien bestätigt: Mit Ökolandbau könnten die Erträge um bis zu 50% ansteigen. Das tut bitter Not, denn seit Ende der 90er Jahre steigt die Weltnahrungsmittelproduktion kaum noch und jährlich schwindet ein halbes Prozent der Äcker der Welt irreversibel durch falsche Nutzung. Im Jahr 2050 werden wir neun Milliarden sein, die sich den Planeten teilen. Wie gerecht?
Michael Olbrich-Majer in Info3, Juni 2008