Was ist Leben? Wie wirtschaften wir lebensgemäß?
Zwei Bücher bereiten einen Paradigmenwechsel vor.
Wer biologisch-dynamisch arbeitet, geht mit einem anderen Blick an die Natur heran, als dem allein durch die aktuelle Wissenschaft gefärbten. Lebendiges lässt sich nicht allein durch wiegen, zählen, messen beurteilen, nicht allein aus Vergangenem. Es wirkt mehr, als wir heute sehen, Kräfte und Wesenhaftes spielen eine Rolle im Lebensgeschehen. Die Wissenschaften des Lebens allerdings, z. B. die Biologie, führen indes immer noch alles auf Physik und Chemie zurück. Handlung ist, so ihre Modelle, stofflich programmiert.
Da tut es gut, das frisch und kunstvoll geschriebene Buch des Wissenschaftsjournalisten Andreas Weber zu lesen: „Alles fühlt“, erschienen vor gut einem Jahr.
Leben kommt nicht aus dem Labor und kann auch nicht im Labor verstanden werden – das ist die Botschaft, die der Biologe verkündet und auf neuestem Forschungsstand belegt. Er räumt auf mit den Klischees von Leben als Verdrängungskampf biochemischer Automaten und zeigt, dass die Wissenschaft inzwischen weiter ist als das materialistische Paradigma.
Das ist noch nicht direkt bio-dynamisch, aber viele Aspekte schlagen eine Brücke zu den goetheanistisch-phänomenologischen Ansätzen anthroposophischer Forscher und dem Hintergrund von Demeter.
Auch Weber erweitert die Biologie. Und zwar um den Begriff der Bedeutung - für das Subjekt, nicht für die Gattung! Ein Organismus, der fühlt, gibt einer Wahrnehmung Bedeutung, auch im biologisch-physischen Sinne. Und da alles Leben Entscheidungen treffen muss, gehört Bewertung unmittelbar zum Lebensprozess. Alles fühlt - so der Schluss daraus und der Titel des Buches. Eine Umdeutung der reinen Reiz-Reaktionsschemata eines nur auf Selektion reduzierten Darwinismus.
Für Weber ist Leben immer auch Psyche im weitesten Sinne, Geist ist Körper in seiner Bedeutung für den Fortgang der Lebensprozesse. Ausgehend von diesem Kerngedanken wird die Welt zugleich Weltinnenraum – es gibt weder eine Trennung von Innen und Außen noch eine unüberwindliche Grenze zwischen den Existenzformen: Wir kennen die Gesten der Natur von innen her, sind damit fühlend verbunden. Bio-dynamisch ergänzt: wir können dieses Alphabet mit bewusster Übung erlernen. Weber spricht auch von Pflanzenseele, Metamorphose, erklärt uns den Grund für unsere besondere Beziehung zum Tier und schildert seine Begegnungen mit Lebewesen und Forschern.
„Leben ist keine Kaskade von Reaktionen, sondern ihr Gegenteil: Autonomie.“ Weber führt uns von einem wissenschaftlichen Blickwinkel aus zu den Gedanken der Natur, entwirft die Skizze einer Schöpferischen Ökologie, die anders, als manche Darwin interpretieren, mehr von Vielfalt und Überschwang lebt als von strammer Selektion und eliminierender Konkurrenz.
Doch lesen wir den Satz: „Mit dem Schwinden der Natur droht uns damit eine ganz besondere Gefahr: der Verlust der Liebe.“, wissen wir: Wir müssen handeln. Wohl der Grund für sein zweites Buch – „Biokapital“. Pünktlich zur Finanzkrise macht der Autor klar, dass wir einen Fehler im System haben, nicht nur in dessen Kontrolle: Wirtschaft ist kein Perpetuum mobile mit immer neuen Zertifikaten, sondern findet in einem endlichen Rahmen statt, in der Bio- und Geosphäre unserer Erde. Und, es gibt weit Wichtigeres als die Ökonomie, die heute unser aller Bewusstsein dominiert. Weber entwickelt Grundzüge einer ökologischen Ökonomie, plädiert mit einem Bild vom humanistischen Wirtschaften für das Umprogrammieren des Kapitalismus.
Die Lektüre ermutigt, gibt Kraft und Argumente gegen die verbreitete Kurzsichtigkeit in Biologie und Ökonomie – geistiges Futter nicht nur für Biodynamiker.
Andreas Weber: Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaft, Berlin Verlag 2007,
Andreas Weber: Biokapital: Die Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit, Berlin-Verlag 2008.
Michael Olbrich-Majer in Info3, Februar 09