Der Blick fürs große Ganze
Landwirtschaft als Organismus ist mehr als ein Produktionssystem
Der Mensch wird zur Grundlage gemacht - anders als heute im Agrobusiness üblich, denken Biodynamiker die Landwirtschaft in erster Linie nicht als Produktionsunternehmen. Den Kopf in der Erde, der Boden als Zwerchfell, Verdauung und Glieder im luftig Belebten, in dem wir Menschen und ein Großteil der Natur wandeln, dieses Bild stellt Steiner an den Anfang seines Landwirtekurses: Landwirtschaft als Organismus gedacht. Das umfasst folgerichtig die Vielfalt der Lebewesen, der Bereiche und Funktionen einer Land(wirt)schaft, eine Bodenbelebung durch Abwechslung im Bewuchs, Biodiversität der Arten und Sorten, sich ergänzende Nutztierarten, Äcker und Auen, Wald, Obst und wilde Ecken, kurzum Organe, die miteinander in Beziehung stehen, das, was einen Organismus auszeichnet.
Die Kunst des Bauern besteht zunächst darin, diese Wechselbeziehungen zu einer Gesamtheit gestalten, Regenwurm und Kuh, Biene und Hirsch unter einen Hut zu bekommen und dem Organismus einen gewissen Abschluss zu geben, den dieser braucht. Nicht so einfach bei einem offenen System wie der Landwirtschaft. Das biodynamische Pflanzen von Hecken, aber auch der zur Humusbildung statt zur reinen Nährstofflieferung umgestimmte Boden dienen diesem Zweck, ebenso wie eigene Züchtungsbemühungen bei Herde oder (Hof-)Sorten und natürlich das Ausbringen von Kompost- und Spritzpräparaten. Und selbstverständlich trägt ein Hof die Handschrift des Bauern. Doch spielt in die Organen und Glieder der Landwirtschaft immer auch die Umgebung mit hinein, Landschaft, Gesellschaft, aber auch die Einflüsse von Sonne, Mond, Planeten.
Wie der Mensch, so zeichnet sich ein Organismus Landwirtschaft durch Entwicklung aus. Züchtung durch Gestalten von Futter, Düngung und Umgebung, Bodenentwicklung durch einen Futter-Mist-Kreislauf: für Biodynamiker entsteht so „eine Art Individualität“. Das praktische am biodynamischen Organismuskonzept: es ist an jedem Ort der Erde anwendbar aber jeweils anders, weil standortangepasst.
Ganz anders das heutige Leitbild der Landwirtschaft: Maß genommen am industriellen Fertigungsprozess, geht es hier um die weltweite Standardisierung von Böden, Pflanzen, Tieren und Landschaften. Landwirtschaft wird hier linear, eindimensional gedacht, das Input-Output-Denken regiert: Komplexes wird auf wenige Produktionsfaktoren reduziert, analysiert und neu zusammengefügt. Aber: kommt ein Apfel dabei heraus, wenn ich alle Inhaltstoffe zusammenrühre? In der Folge breiten sich Monokultur und Monotonie aus, Landwirtschaft als Rohstoff-Fabrik ohne Bezug zur Umwelt. Da kann man auch Weizen zu Sprit machen.
Ein Organismus dagegen entwickelt dagegen Kräfte und seine Gesundheit weitgehend aus sich selbst, ist mehr oder weniger geschlossen. So hält sich der Raubbau an Kräften und Ressourcen weitgehend in Grenzen. Das meint übrigens auch mehr als die eine rein ökosystemare Betrachtung des organischen Landbaus –denn es wird dynamisch: Natur ist nicht nur komplex, sondern ein geistig-wesenhaftes Gegenüber. Mit Wesen kann ich kommunizieren, da teilen wir gemeinsame Ebenen, also Verantwortung. Genau genommen für die ganze Erde. Letztlich geht es um Kultur, nicht nur um Produktion, mehr um Kulturkost als um Naturkost.
Michael Olbrich-Majer in Info3, Mai 2011, http://www.info3.de