Farmen auf dem Dach?

Technikvisionen wollen Landwirtschaft ersetzen

 

Einst entwickelten ein paar Außenseiter ein innovatives, Ressourcen sparendes, Biodiversität und Arbeitsplätze förderndes, zukunftsfähiges Landwirtschaftssystem: den Ökolandbau. Doch muss der sich heute politisch engagieren, um die einfachsten Errungenschaften der allgemeinen Agrarkultur zu verteidigen, wie Saatgutvielfalt, Bodenfruchtbarkeit, natürliche Düngung durch Leguminosenanbau und Raufutterfresser, selbst erzeugtes Futter oder fairen Umgang mit Tier, Natur und Geschäftspartnern. Aber wo ruft die Gesellschaft nach mehr Kontrolle? Bei Ökobauern!. Auch die EU-Kommission diskutiert das gerade in ihren neuen Gesetzesentwürfen. Verkehrte Welt - sind doch bereits jetzt Ökobauern die einzigen Landwirte, deren Betriebe auf Gesetzesbasis komplett durchleuchtet werden. Wie sauber und transparent mutet dagegen die Vision vom Gemüseanbau auf dem Dach oder im Hochsicherheitsgewächshaus an: das können auch Architekten, Städteplaner und Biotechniker, ganz ohne Landwirte.

 

Unsere städtische, aus Laboren und Laptops gesteuerte Zivilisation schüttet zunehmend das Kind mit dem Bade aus: Statt sich für Fortschritt in der real existierenden Landwirtschaft einzusetzen, träumen Planungseliten von deren Ersatz durch technische Systeme, am besten verschmolzen zum agroindustriellen Komplex, in den auch Anleger investieren können. Mit Lebensmittelversorgung oder Hungerbekämpfung hat das nichts zu tun. Und wohl nur in diesem Denkklima kann man auf die Idee kommen, der Salat müsse auf dem Supermarkt wachsen, Hühner auf Industriedächern gehalten werden. Natur? Nein danke! Boden? Igitt! Ich sehe schon Kolonnen von Salatpflückern in frisch gereinigten Arbeitskitteln und Hauben auf den Dächern der Einkaufscenter, die so das baubedingte Zerstören bester Böden mit Ökopunktsubventionen kompensieren. Ein Irrlicht wie Terra Preta, die mit teurer Holzkohle veredelte Gartenerde, die es geschafft hat, zum Ablasshandelinstrument der CO2 emittierenden Industrie zu werden.

 

Glaubt denn jemand im Ernst daran, dass ein Schwein auf dem Balkon eines Stallhochhauses im Hafen, wo sein Futter anlandet, wirklich artgerecht gehalten wird? Oder Kühe auf einer Grünfläche inmitten einer Shopping Mall weiden, wie neulich ein Zeitschriftencover vermeintlich fortschrittlich illustrierte, ohne abzuschätzen, was eine Kuh frisst? Das ist doch das eindimensionale Denken der sechziger Jahre, das uns Satellitenstädte ohne Bäcker und Stadtautobahnen ohne Stadtleben beschert hat. Top down - nur mit grünem Anstrich!

 

In Japan laufen bereits die ersten Salatfabriken: Gemüse auf bis zu 20 Flachetagen, mit Kunstlicht, ohne Boden, luftdicht isoliert. Aber hygienisch! So bejubelt der unvermeidliche Udo Pollmer, selbsternannter Ökokritiker, seine Vision von Öko. Materialismus als Grundlage der Gedankenbildung wird sicher zu weiteren Extremen führen: denn es ist doch messbar alles drin im Salat – oder? Nur dass die Fruchtbarkeit von erdelos gezogenen Kulturen stark nachlässt, wie Hiß und Buchmann vor Jahren zeigten. Gerade war ich auf dem Demeter Gärtnerhof Röllingsen: da er-lebt man, was im Salat nährt, der Biss hinein ist da nur die letzte Stufe der Ernährung.

 

Sicher, es gibt interessante Nischen wie Fischcontainer kombiniert mit Tomatenanbau oder Algenproduktion im Fotovoltaikgewächshaus. Stadtgärtnern ist pädagogisch wertvoll und für die Armutsviertel der Megastädte eine gute Möglichkeit. Aber hat eigentlich jemand mal an all die Schadstoffe in den Stadtböden gedacht? Damit schlagen sich Stadtteilinitiativen, Gemeinschaftsgärten oder Essbaren Städte herum. Also nichts gegen Urban Gardening, solange man nicht meint, das sei die Lösung für die Ernährung der Zukunft und andererseits auf der meisten Fläche des Landes das Grün mit Glyphosat abtötet.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, November 2013, http://www.info3.de