Menschheit im Glück oder im Konsum?
Weniger ist mehr – die Zukunft fordert neue Lebensstile
Das Neue Jahr beginnt meist mit guten Vorsätzen, bei Demeter-Landwirten auch mit Tagungen, welche die winterliche Ruhe zur Besinnung und zum Schöpfen neuer Ideen nutzen. Die biodynamischen Bauern im Norden widmeten sich einem ganz besonderen Zukunftsthema: „Glück ist der Weg – Wie werden unsere Höfe zu Glücksschmieden einer menschlichen Gesellschaft?“ Dabei ließen sie sich von Ha Vinh Tho, dem Koordinator des Zentrums für Bruttonationalglück in Bhutan inspirieren. Auch wenn die Zielfrage einen hohen Anspruch verdeutlicht: Demeter-Höfe sind Musterbeispiele der Nachhaltigkeit und offen für soziale Innovationen. Ohne beide Komponenten brauchen wir gar nicht weiter über Glück reden, schon gar nicht über das unserer Kinder und Enkel.
Zwei Erlebnisse zwischen den Jahren brachten mir das auch plastisch nahe: Ein Lichtbildvortrag des Fotografen, Umweltschützers und Ethnologen Bernd Römmelt über die Naturschätze der Arktis kam zum ernüchternden Resumeé, dass es 2050 keine Eisbären mehr geben wird – mangels Packeis. Zugleich waren die Nordalpen so schneefrei wie noch nie und der Januar bewarb sich als Frühlingsmonat. Und das neue Buch des Soziologen Harald Welzer (Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand) weckte meine verschüttete Phantasie einer ökologisch orientierten, achtsamen und freien Zukunftsgesellschaft, die Nachhaltigkeit lebt, nicht bloß beschreibt.
Denn wer, wenn nicht wir, soll die Welt verändern? Das von der Politik zu fordern, oder auf den gesellschaftlichen Mainstream oder einsichtige Konzerne zu warten, heißt erstens, viel Zeit zu verschwenden, und zweitens Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand zu geben und seien sie noch so klein. Welzer benutzt hierfür den Begriff Selbstwirksamkeit, unter anderem als Maß für Freiheit. Hätten beispielsweise die anthroposophischen Landwirte vor 90 Jahren auf die Politik, auf die Wissenschaft oder auf genauere Angaben Rudolf Steiners gewartet, statt umgehend einen Versuchsring zu gründen, um Steiners geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft auszuprobieren – es gäbe heute wohl keine Demeter-Lebensmittel und Ökolandbau wäre bei uns ein wenig verankerter Gedankenimport aus dem englischsprachigen Raum. Sogar die ökologische Diskussion wäre anders verlaufen, wäre Rachel Carson, Autorin von Silent Spring und Warnerin vor DDT nicht biodynamisch inspiriert gewesen. Welzer macht zu Recht darauf aufmerksam, dass man keine Mehrheiten braucht, um Gesellschaften zu verändern. Soziale Transformationen beginnen mit drei bis fünf Prozent der Menschen.
Also runter vom Sofa und ran an den reduzierten Lebensstil! Mit moralischer Phantasie. Denn, das ist eine weitere Erkenntnis Welzers, ohne tiefgreifenden Wandel unseres konsumistischen Verhaltens wird es nicht gehen. Vermeintlich korrekter Konsum von potenziell nachhaltigen Produkten wird durch das „Alles immer“ und das „immer mehr – immer größer“ überkompensiert: Zwar kaufen wir Ökostrom, doch das nächste Elektrospielzeug, das größere Auto oder die Flugreise warten schon. Es geht darum, unsere Werte zu leben, anstatt sie kaufen, darum, zu kooperieren, statt zu konkurrieren. Wie fragte Erich Fromm einst: Haben oder Sein? Welzer hat hier noch mal Holz nachgelegt. Denn der Kapitalismus sorgt nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung - der Rest hat eben Pech.
Michael Olbrich-Majer in Info3, Feburar 2014, http://www.info3.de