Summen, Tauschen, Gärtnern

Die Postwachstumsgesellschaft braucht Experimentierräume

 

Bienen auf dem Balkon? Kein Problem, wenn man die richtige Bienenbebehausung und verständnisvolle Nachbarn hat. Gemüse auf städtischem Grün? Geht auch, Beispiel Andernach, das sich Essbare Stadt nennt. Energiesparer-Selbsthilfegruppe? Gibt ´s wirklich, im Rahmen der Transition-Town–Bewegung. Es tut sich was in deutschen Städten, der Wandel zur Nachhaltigkeit wird, anders als im Agenda-21-Prozess, ins eigene Leben integriert. Tauschen und leihen statt kaufen, reparieren statt wegwerfen, selbst herstellen statt anonyme Arbeitsteilung – ein bisschen fühlt sich das an wie früher. Nur dass wir Altachtundsiebziger nicht so einflussreich waren, wie die zehn Jahre zuvor geborenen. Dafür ist jetzt auch das Geld an sich ein Thema: Regiowährung statt Sozialisierung des Privateigentums.

 

Diese gut vernetzte Eigenbewegung für einen nachhaltigen Wandel unseres Lebensstils ist das, worauf Systemkritiker wie z. B. der Soziologe Harald Welzer setzen. Transition-Town und Degrowth- Initiativen greifen auf, was noch entwickelt werden muss: Wandel zum Weniger. An Forschung zur Nachhaltigkeit fehlt es nicht, aber an Modellen nachhaltiger Lebensstile. Noch beschränkt auf studentische und junge städtische Milieus, gibt es auch Berührungspunkte mit der Landwirtschaft. Krumm gewachsenes Bio-Gemüse sammeln und kochen – die SlowFood Jugend kultiviert das öffentlich. Selbsternte – der Bauer sät und pflegt, die Nutzer ernten, oder Saisongärten – hier sorgt der Landwirt für Saat und Infrastruktur wie Wasser, den Rest machen die Hobbygärtner selbst, solche Schritte zur kooperativen Selbstversorgungselementen kommen in Mode. Natürlich ökologisch. Sogar Kommunen steigen ein, stellen Kantinen um und schreiben Ökolandbau in ihre Pachtverträge.

 

Im Trend liegt auch, dass sich Kunden zu Kapitalbeteiligten wandeln, für ein Jahr Mitunternehmer einer Landwirtschaft in ihrer Nähe werden: Zusammen die Ernte vorfinanzieren – das Konzept gemeinschaftsgetragener Höfe hat sich von zwei Demeter–Höfen, die das hierzulande seit Jahrzehnten praktizieren, gelöst: aktuell sind es fast 50 Betriebe (http://www.solidarische-landwirtschaft.org), zig weitere Initiativen sind in Gründung. Die Idee dazu kommt von Demeter-Bauer Trauger Groh: er löste mit seinem Buch vor zwanzig Jahren in den USA eine Welle aus. „Höfe der Zukunft“, übersetzt ins deutsche, ist gerade im Verlag Lebendige Erde erschienen. (Höfe der Zukunft).

 

Einen anderen Weg der Beteiligung gehen Initiativen wie die Genussgemeinschaft Städter&Bauern rund um München. SlowFood Mitglieder investieren mittels Genussscheinen in den neuen Hühnerstall ihres Lieblingsbauern: Rendite in Eiern und Suppenhühnern. Oder Ziegenkäse. Landwirte können so Investitionen früher tätigen, die Tier oder Pflanze und Verbrauchern zugute kommen.

 

Stadt und Land sind so zusammen unterwegs bei der notwenigen Suche nach einem Lebensstil, der unseren Planeten und unsere Enkel schont – eine Chance für viele Biobetriebe, zu überdenken, was sie eigentlich produzieren: Waren für Märkte, Versorgung für ihr Umfeld oder vielleicht sogar Bildung? Kompostkurse für moderne Kleingärtner, Einführung in den Baumschnitt, Käserdiplom – all das gibt es bereits. Viele Demeter-Höfe sind handwerkliche Bildungsstätten zur Nachhaltigkeit, inclusive Naturschutz : Der Demeter-Hof Grenzebach, letztjähriger bayrischer Wiesenmeister, lädt ein zum Erlebnis mit allen Sinnen, andere bieten naturkundliche Spaziergänge oder gemeinsames Heckenpflanzen, Demeter-Imker geben Kurse zur Bienenhaltung in der Stadt.

Letztlich geht es darum, selbst die Wende von der Rendite- zur Werte-getriebenen Wirtschaft in die Hand zunehmen, oder, um es mit Gandhi zu sagen: Du musst selbst die Veränderung sein, die Du in der Welt sehen willst.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, März 2014, http://www.info3.de