Mehrwert durch weniger

Der Trend zu „ohne“-Produkten nutzt vor allem der Industrie

 

Als ich neulich die Kaffeebar im Rahmen einer Veranstaltung machte, musste ich nachkaufen: laktosefreie Milch und Sojamilch. Zwei Produkte „ohne“. Fettarme Milch hatte ich natürlich auch nicht dabei, bei der Milch im Kaffee kommt es doch gerade auf den Rahm an, und wer sie nicht will, nimmt halt nur halbsoviel. Die Zeiten wandeln sich, und viele ernähren sich immer spezieller, und das nicht aus körperlicher Not. Neben ethischen Erwägungen - Sojadrink statt Milch – ist es zugleich auch trendy, dies und das wegzulassen, so wie Fasten in diesem Frühjahr eine Renaissance erfuhr, jedenfalls medial. Die dazugehörenden Produkte und ein entsprechendes Marketing gibt es, seit es Margarine gibt, aber heute in bemerkenswerter Vielfalt und Durchdringung. Ganze Regale bieten Lebensmittel „ohne“ bzw. „frei von …“, „xy- reduziert“, „light“ oder „zero“.

 

Darunter sind noch nicht die Pseudo-Produkte wie Feta ohne Schafsmilch, oder Kunstkäse ganz ohne Käse, der erst für Skandale, nun aber für Begeisterung bei den Veganern sorgt – übrigens auch in Bioqualität zu bekommen.

 

Der Trend ufert allerdings aus. Ist „ohne Fleisch“ noch ein Statement „und zeigt ohne Zwiebel“ von Körper- bzw. „ohne Alkohol“ von Geist-Bewusstsein, so ist das Bekenntnis zu den meisten Frei-von-Produkten in einer bestimmten Szene gerade „in“ , aber in den meisten Fällen nicht gesundheitlich oder ethisch begründet. Eine Hamburger Kita schließt schon mal vorsorglich Nüsse, Joghurt und Nudeln aus, wie Die Zeit schreibt, es könnte irgendwo ein Allergen lauern. Und wenn Menschen mit Laktoseintoleranz auf jeglichen Käse verzichten, sind sie schlecht informiert: Laktose schwindet beim Käse- oder Säuerungsvorgang. 18 % aller Haushalte kauften 2012 solche Produkte ohne Laktose oder Gluten mit Bezug auf vermeintliche Lebensmittelunverträglichkeit. Gluten aber vertragen nur 1- 3 Prozent der Menschen nicht. Wie kommt das? Gesundheitsparanoia? Top Marketing? Exponenzielle Zunahme von Empfindlichkeit oder von Mäkeligkeit? Wohlstandsdistinktion? Denn teuerer ist das Zeugs allemal. Und lecker auch nicht – wie jeder weiß, der einmal einen Saitanbraten auf dem Tisch hatte.

 

Die Chinesen dagegen verstehen Essen auch als Medizin und essen alles. Entenzungen, Seidenraupen, Lotoswurzel, die Speisekarte ist beliebig ergänzbar. Nur von Käse lassen sie die Finger. Am Geruch kann es nicht liegen, denn ihr blaugeäderter Stinketofu stellt geruchlich den reifesten Roquefort in den Schatten. In der westlichen Welt dagegen geht der Trend zur Vereinfachung der Lebensmittel. Zwar kommen jährlich zehntausende Neuprodukte auf den Markt, aber wirklich neu ist meist nur die Verpackung, das Marketing oder der eingebaute Bequemlichkeitsfaktor. Auch das Weglassen ein erfolgreicher und vor allem einfacher Weg zu Neuprodukten. Die meisten solcher Produkte sind übrigens frei von Natürlichem: hoch verarbeitet und mit künstlichen Aromen aufgefüllt. Der Marktführer bei Aromen für Vegetarier, bietet u.a. Typ Rinderbraten oder Typ Suppenhuhn. Und manches ist einfach Frei-von-Nachgedacht: laktosefreie Nudeln beispielsweise. Milch gehört da eh nicht rein.

 

Diese neu erwachende Körperlichkeit scheint mir unvollständig und unbewusst puritanisch: Sich ernähren, sich mit der Welt intensiv verbinden, das sollte ja eigentlich ein positives Erlebnis sein und nicht eine negativ dominierte permanente Abgrenzungskultur. Ich jedenfalls liebe „Lebensmittel für ...“ – die gibt es aber als solche markiert nicht zu kaufen. Sie heißen Möhren, Lauch, Kohl, Couscous, Butter, Joghurt und so weiter. Sie sind einfach, unverfälscht, in chinesischer Vielfalt kombinierbar, ich spüre, was ich esse, und sie schmecken besonders gut, wenn sie biodynamisch kultiviert wurden.

 

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, Juli 2014, http://www.info3.de