Kosmos, Evolution und Landwirtschaft

Ein Buch zur Biodynamik im Zeitalter des Anthropozän

 

Entwicklung ist eines der Lieblingsworte anthroposophischer Kreise, denn aufwärts zur Freiheit und näher zur Sonnenwesenheit soll es schon gehen mit der Menschheit. Und auch mit dem Planeten sowie der Natur, zumindest biodynamisch betrachtet. Ob die anthropogene Warmzeit schon ein Schritt dahin ist, kann man da kontrovers diskutieren. Auf jeden Fall macht sie klar: der Mensch hat auf und an der Erde, ganz biblisch, eine Aufgabe! Nämlich, sie mitzunehmen auf seiner Entwicklung. Diese folgt dabei nicht einfach seinem Belieben, sondern einem von kosmischer Intelligenz vorgezeichneten Weg.

 

Für den Menschen, der die Erde nutzt, heißt dass, dass er den Job des Evolutionshelfers hat. Landwirte erst recht, sind die doch Gestalter und Nutzer von Ökosystemen. Aber auch wir Konsumenten sind involviert: Käufer sind auftraggebende Co-Produzenten, Pro-Sumenten beteiligen sich gar an der Erzeugung von Biolebensmitteln.

 

Wenn wir nun schon Verantwortung für die Gestalt und Lebendigkeit unseres Planeten tragen, muss man nach der Richtung fragen: Zurück zum Naturzustand? Sicher nicht, weder wissen wir, was dieser wäre, noch wollen Menschenmassen zu Jägern und Sammlern werden. Also akzeptieren, dass wir, ob wir handeln oder nicht, in die Natur eingreifen, sie verändern. Aber mit welchem inneren Bild?

 

Hier setzt das neue Buch von Nikolai Fuchs, „Evolutive Agrarkultur“, an. Terraforming, massive Umgestaltung des Erdorganismus ist Realität, wir leben im Anthropozän – also sollten wir über das Ziel und das Wie reden. Als ehemaliger Leiter der Sektion Landwirtschaft am Goetheanum blickt Fuchs da vor allem auf die Landwirtschaft. Zunächst begründet er mit Rückgriffen auf moderne Denker wie Teilhard de Chardin, Lynn Margulis, Hans Jonas oder Thomas Nagel die Rolle des Menschen im Verhältnis zu Kosmos und Natur und findet Parallelen zu Rudolf Steiners Erkenntnis der gemeinsamen Evolution von Mensch und Kosmos: Im Menschen manifestiert sich das bewusste Leben, daraus resultiert Verantwortung für alles Leben. Die Erde als Keim im Makrokosmos, und der Mensch als Mikrokosmos darin, so hat es Steiner poetisch eindrücklich formuliert. Das gibt zugleich eine Orientierung, z.B. für die Landwirtschaft: „Der Mensch wird zur Grundlage gemacht“, so Steiner in seinem landwirtschaftlichen Kurs. Damit ist gemeint, dass die Begriffe „Organismus“ und „Individualität“ das Leitbild zur Gestaltung einer Landwirtschaft formen.

 

Daher ist für Fuchs das Motto der Agrarökologie, “die Natur nachahmen“, nicht ausreichend, auch wenn es einen Fortschritt gegenüber dem agrarindustriellen „die Natur manipulieren“ bedeutet. Was nun macht den Menschen aus? Und was lässt sich davon als Leitidee in die Landwirtschaft übertragen? Fuchs sieht die Biodynamik da auf gutem Weg und verordnet der Landwirtschaft einen Weg von der Vielfalt zu Komplexität: Dabei diskutiert er einerseits Gestaltungskriterien wie Struktur, Harmonisierung, Organe der Land(wirt)schaft, andererseits weist er auf wesentliche Prozesse hin, Kompostierungs- und Wärmevorgänge beispielsweise. Die Qualität solch komplexer Agrarkultur misst er u.a. an den Kriterien Identität, Multifunktionalität, Freiheit und stützt sich auf Ilya Prigogynes „dissipative Strukturen“, die nach Entwicklung streben. Somit ist Fuchs zufolge das Primat der Produktionsschlacht, die heute eher Märkte erobert als Hunger beseitigt, zu verändern in den Vorrang für eine evolutive Agrarkultur.

 

Letztlich wird mit der Lektüre klar, warum es möglichst biodynamisch zugehen sollte in der Landwirtschaft, warum Tiere halten, warum Präparate anwenden, warum Gemeinschaften in der Landwirtschaft bilden. Und es trifft sich der Apell des Autors mit dem Begriff der Resilienz, der aktuell in der gesellschaftlichen Diskussion Fehlerfreundlichkeit mit gesunder Nachhaltigkeit kombiniert und dessen lokales Entwicklungsmoment deutlicher herausgearbeitet werden sollte.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, Oktober 2014, http://www.info3.de

 


Nikolai Fuchs. Evolutive Agrarkultur. Landwirtschaft nach dem Bildeprinzip des Menschen. Eine Skizze. Verlag Lebendige Erde, Darmstadt 2014, 94 S., 16,00 €