Ernährung

Will die EU die Bio-Branche vernichten?

Zur aktuellen Totalrevision der EU-Verordnung Ökologischer Landbau

Beck

 

Am 21. Dezember 2005 wurde ein Vorschlag für eine Neuformulierung der EU- Verordnung zum biologischen/ökologischen Landbau veröffentlicht. Die Kommission hat das Ziel, die nun fast 15 Jahre gültige EU-VO 2092/91 durch eine vereinfachte und entschlackte neue Verordnung zu ersetzen. Im Moment steht nur der erste, allgemeine Teil zur Debatte. Es ist vorgesehen, dass dieser 2009 in Kraft tritt und bis dahin alle Anhänge, die die Details regeln, überarbeitet und verabschiedet sind. Den Lobbyisten stehen arbeitsreiche Jahre bevor!

Welche Änderungen werden vorgeschlagen?

  • Der Text ist im Vergleich zur heute gültigen EU-Verordnung einfacher und deutlich kürzer.

  • Der Schutz von "Öko" ist neu gefasst.

  • Ziele und Grundsätze werden festgelegt für die ökologische Erzeugung, und abgeleitete Regeln für den Pflanzenbau, die Tierhaltung, Umstellung, Aquakultur und Futtermittelgewinnung ebenso wie für die Verarbeitung von Öko-Lebensmitteln.

  • Mögliche Abweichungen bei den Produktionsvorschriften werden beschrieben, um ein gewisses Maß an regionaler Flexibilität zu ermöglichen.

  • Neue Vorgaben hinsichtlich GVO enthaltender Erzeugnisse.

  • Ein stilisierter Hinweis "EU-ökologisch" bzw. "EU-biologisch" soll obligatorisch werden.

  • In der Kontrolle wird ein risikobasierter Ansatz gestärkt.

  • Das Kontrollsystem wird an das für sämtliche Lebens- und Futtermittel geltende EU-System angekoppelt.

  • Die Verbesserung des internationalen Warenverkehrs für Öko-Erzeugnisse, u.a. durch die gegenseitige Anerkennung gleichwertiger Standards, wird gefördert.

  • Die Auslobung von Unterschieden in Produktionsstandards wird eingeschränkt: Pauschale Aussagen sollen nicht mehr zu akzeptiert werden.

  • Der Umgang mit Zertifikaten wird erstmals geregelt.

  • Einfuhrregelungen werden gestrafft. Bei völliger Konformität besteht ein ständiger direkten Marktzugang für Erzeugnisse.

  • Und natürlich eine Fülle von kleineren Details ...

Die Aufregung über die neue Verordnung ist groß, obwohl diese Revision schon vor zwei Jahren angekündigt wurde. Damals wurde auch benannt, wo man wesentlichen Änderungsbedarf sieht. Eine ganze Reihe dieser Veränderungen wie z. B. Risikoorientierung, Flexibilisierung und Grundsatzorientierung sind Kernforderungen der Ökolandbau-Bewegung. In einigen Punkten steht die EU auch deutlich unter Druck, z. B. Kontrollverfahren, Entscheidungsverfahren (siehe siebenjähriges Drama um Ergänzung des Anhang VI) und muss endlich eine Lösung schaffen. Dazu gehören auch der Teil starke Marktprotektionismus in einigen EU-Ländern, der meist Landwirten und Verbrauchern schadet. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf das Kontrollverfahren. Die Generaldirektion Gesundheit hat 2004 neue Regeln für die Überwachung der Lebensmittel geschaffen. Denn zu Recht fordert die europäische Verbraucherschaft eine effizientere Lebensmittelüberwachung in der EU, da diese sich in den letzten Jahren nicht als leistungsfähig erwies (siehe Lebensmittelskandale). Nun will man von der Generaldirektion Gesundheit, dass auch die Bio-Kontrolle unter dieser neuen, einheitlichen Vorgehensweise gestaltet wird.

 

Es handelt sich also nicht um eine Brüsseler Verschwörung, sondern um eine teils willkommene, teils unwillkommene Aktivität. Der Bio-Sektor muss sich auch an die eigene Nase fassen: Wurde da nicht immer über die so laxe EU-Bio-Verordnung geschimpft? Lässt nicht die EU-Bio-Verordnung gerade Grundsätze und Prinzipien missen? Auch hat es genügend Warnungen gegeben in Hinblick auf die Behinderung innergemeinschaftlichen Warenverkehrs.

 

Es ist jedoch zutreffend, dass eine solche Totalrevision eine Menge Risiken birgt. Viele schon bewährte und durchgefochtene Rechtsauffassungen stehen plötzlich in Frage. Viele neue Regelungen müssen erst verstanden und weiter verbessert werden, bis man einer Verabschiedung zustimmen kann. Und bei der Überschau der neuen Verordnung wird schnell deutlich, dass an vielen Stellen Nachbesserungen oder sogar substanzielle Veränderungen dringend geboten sind!

 

Ich meine, deshalb muss sich die Branche zunächst stark dafür machen, dass genügend Zeit für Mitwirkung und Mitgestalten bleibt. Die "Warner" haben recht, wir dürfen uns nicht überfahren lassen. Unser erstes Ziel muss sein, genügend Zeit für ausführliche Konsultationen zwischen EU-Behörden und privatem Sektor zu erhalten. Im übrigen ist dies notwendig, um eine weitere große Schwäche des Revisionsentwurfs auszugleichen und von nun an zu verankern: Die Beteiligung des privaten Sektors im Rechtsetzungsverfahren. Denn im Gegensatz zu dem Vorschlag des EU-Aktionsplans ist eine solche im Revisionsentwurf nicht zu finden! Die Einbeziehung des privaten Sektors - also der Einbezug des Branchen-Know Hows - muss unbedingt und adäquat gewährleistet werden. Es muss im Rechtstext das in Aktion 11 des Aktionsplans vorgeschlagene "Sachverständigengremiums zur technischen Beratung" in einer Art verankert werden, die diesem Gremium echten Gestaltungsspielraum, einräumt. Und es muss weiter klar sein, dass diese Gremium aus Persönlichkeiten besetzt wird mit hoher Integrität und einer gute Verankerung in der Bio Branche. Sonst bestimmen künftig wirklich Bürokraten alleine, was Ökolandbau ist, was, wie die Erfahrung zeigt, nur schief gehen kann.