Hintergrund

Eigene Züchtung für Ökogeflügel

Ein Ausstieg aus dem konventionellen System ist nötig und möglich

von Sebastian Fuchs

 

Die weltweite Zucht von Geflügel für die intensive Produktion von Fleisch und Eiern unterliegt seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einem rasanten und unvergleichlichen Rationalisierungs- und Konzentrationsprozess. Als Folge dieser Entwicklung befindet sich die Zucht in der Hand von wenigen weltweit operierender Unternehmen, die nicht nur die Geflügelzucht, sondern auch die Elterntierherden, Brütereien, Aufzucht und Legehennenhaltung sowie meist auch Mast und Schlachtung in einem Oligopol kontrollieren und Landwirten weltweit keine Alternative zu diesem System bleibt. Ein sich selbst erhaltendes System auf dem landwirtschaftlichen Betrieb, auch dem ökologisch bewirtschafteten, ist im Geflügelbereich dadurch zurzeit unmöglich bzw. nur mit Rassegeflügel und nur in sehr kleinem Maßstab und jenseits von betriebswirtschaftlichen Überlegungen möglich. Zum einen eignen sich die in der Produktion eingesetzten Tiere nur bedingt zur Fortpflanzung, sind Hybride, und zum anderen macht sich dann der Landwirt, da er nur Lizenznehmer, aber nicht Eigentümer der genetischen Ressource ist, ähnlich wie beim Nachbau von patentierten Getreide oder Sojasorten im Zweifelsfall sogar strafbar.

Eckdaten zur Domäne-Genetik

  • Standort der Elterntierherden: Bioland-Betrieb Jens und Andrea Bodden in der Nähe von Kleve/Goch
    Kontaktdaten: Bioland Geflügelhof Bodden, Andrea und Jens Bodden, Moelscher Weg 16, 47574 Goch
    Tel.: 02827-5221, Fax: 02827-925639, eMail: BiolandBodden(at)googlemail.com

  • Reinrassige Herden: New Hampshire, White Rock, Bresse Gauloises

  • Kreuzungsprodukte: Domäne Gold und Domäne Silber,

  • Küken auf Anfrage: Jens Bodden , Bezug Bresse Gauloises frühestens ab Mitte 2015

  • Junghennen auf Anfrage: Geflügelhof Schubert (Demeter) und Norbert Südbrock :
    • Geflügelhof Schubert , Ebacher Straße 1, 91338 Igensdorf, Tel: 9192/8303, info(at)gefluegelhof-schubert.de
    • Geflügelhof Südbrock, Röckinghausener Straße 36 ,33378 Rheda-Wiedenbrück, Tel: 05242/8955, info(at)suedbrock-gefluegel.de

  • Leistungsdaten: derzeit keine Erfahrungen auf den Betrieben, da die ersten Kreuzungen noch in der Aufzuchtphase sind.

Legehennenzucht: Monopolisierung und einseitige genetische Basis

Die zweite, fast noch gravierendere Folge dieser Entwicklung ist die einseitige genetische Ausstattung der heute in der weltweiten Landwirtschaft üblichen Geflügelhybrid-Linien. Einziges Ziel jahrzehntelanger Selektion war und ist die Mast- bzw. Legeleistung bei gleichzeitig idealer Futterverwertung. Um den unglaublichen Fett-, Vitamin-, und vor allem Aminosäurebedarf bei einer im konventionellen Bereich üblichen Legeleistung von 330 und mehr Eiern pro Jahr zu decken, ist ein ausgeklügeltes System von Grundfutter, synthetischen Aminosäuren, Vitaminpräparaten und proteinreichen Komponenten bis hin zu gentechnisch verändertem Soja nötig. Ähnlich wie moderne Hochleistungskühe, die an eine hohe Zufuhr von Kraftfutter gewohnt sind, nach wenigen Tagen kollabieren, wenn sie nur noch Gras bekommen, sind moderne Legehennen nur auf der Basis von beispielsweise Getreide gefüttert, nicht überlebensfähig. Ihre enorme, durch Zucht und Heterosis-Effekt im Vergleich zur Natur fast verfünfzehntfache Legeleistung wird ihnen hier zum Verhängnis, der Organismus zerstört sich durch den gewaltigen Output an Mikro- und Makronährstoffen zur Produktion von Eiern bei fehlendem Input durch die entsprechenden Komponenten selbst. Reproduktion geht in diesem Fall vor Selbsterhaltung.

 

Selektionsziele wie Verträglichkeit von Krankheiten, Toleranz gegenüber schlechtem Futter, Geschmack und gruppen- bzw. wesensgemäßes Verhalten wurden dem übergeordneten Zuchtziel „Hochleistung“ in den letzten Jahrzehnten untergeordnet bzw. ignoriert, sobald sie dem idealen Verhältnis Leistung zu Futter(kosten) im Wege standen. Die Anfälligkeit für Krankheiten wird durch abgeschottete Umwelt, Seuchenkontrolle und obligatorische Antibiotikagabe kompensiert und asoziales Verhalten wird toleriert, solange sich die Tierverluste in Grenzen halten. Der Geschmack von Ei und Fleisch nahm und nimmt proportional mit dem Kilo- oder Stückpreis ab.

 

Eine weitere Auswirkung dieses Systems ist, dass die einseitige Hochleistungszucht zur geschlechterspezifischen Nutzung führt: die männlichen Küken bei der Zucht von Legehennen werden direkt nach der Geburt aus Effizienzgründen getötet. Ebenso ergibt sich aus dem schon fast unglaublichen Zeitraum von Geburt bis Schlachtung von gerade einmal dreißig Tagen, ein hohes Auftreten leistungsbedingt chronischer Erkrankungen an Skelett und Muskulatur. Abgesehen davon, dass die Schlachtung in der Regel lange vor der Adoleszenz stattfindet, ist eine Fortpflanzung im Geflügelbereich oft nur durch künstliche Besamung möglich.

Was können die Ökobauern tun?

Nur in wenigen Bereichen leidet der Öko-Sektor so stark unter den konventionellen Rahmenbedingungen wie im Geflügelbereich, in kaum einer Produktgruppe ist der Preisunterschied zwischen konventioneller und Verbandsware größer und in keinem Bereich entstehen aus dieser Zwickmühle derzeit größere Qualitätsprobleme. Viele, wenn nicht gar der Großteil der medialen Bio-Skandale in den letzten Jahren hatten den Fokus auf Geflügelhaltung und Futtermittel mit dem traurigen Höhepunkt um Fürstenhof und Konsorten, der mit Bildern von nackten Legehennen begann und mit zu kleinen Ausläufen endete.

 

Es ist natürlich vereinfacht, alle Probleme in der Öko-Geflügelhaltung auf die zur Verfügung stehende Genetik zurück zu führen, sie ist eine von sehr wenigen Wurzeln. Die beschriebenen Maßnahmen zum Ausgleich der einseitigen Selektion wie synthetische Aminosäuren oder gentechnisch veränderter Soja sind im Öko-Landbau nicht möglich. Ähnlich wie ein Flugzeug nur mit Kerosin fliegt, funktionieren moderne Hybridlinien nur im angepassten Gesamtsystem und auch dann, selbst in konventionellen Maßstäben und Wertesystemen, nur völlig unzureichend. Dem Ökolandbau steht aber, was die Fütterung betrifft, nur Diesel zur Verfügung und für Start und Landung lediglich ein Feldweg.

 

Verschärft wird die Situation durch den ständigen Mangel wichtiger Proteinkomponenten, ganz zu schweigen von dem an heimischen Proteinkomponenten, und vor allem durch die Forderung eines Grünauslaufs. Was vom Grundsatz eine wünschenswerte Maßnahme ist, nämlich die Tiere zumindest teilweise an der Sonne und der frischen Luft zu halten, sowie ihnen ein arttypisches Verhalten zu ermöglichen, wird an dieser Stelle zum Verhängnis. Die bereits erwähnte Krankheitsanfälligkeit der Tiere kann durch obligatorische Antibiotikagabe und isolierte Umweltkontrolle unter Umständen in Schach gehalten werden, beide Möglichkeiten sind dem Ökolandbau sowohl im Rahmen seines Selbstverständnisses als auch durch die Reglements verwehrt.

 

Die genetisch erzeugte Fixierung auf wenige essenzielle Aminosäuren führt dazu, dass Bestände schon nach wenigen Tagen latenter Unterversorgung massive Auflösungserscheinungen, starken Federverlust und Verhaltensanomalien bis hin zum Kannibalismus zeigen. Abgesehen von der Tragik hinsichtlich des Tierwohls ist gerade im Ökosektor die Fallhöhe bezüglich der Verbrauchererwartung hinsichtlich der daraus entstehenden Bilder besonders hoch. Ebenso ist die Enttäuschung ungleich höher. Bei einem Kilopreis von 2,99 € für die Discounter-Hähnchenbrust muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, die Konsequenz nicht tageslichttauglicher Bestände zumindest billigend in Kauf genommen zu haben, bei 15 € für das Kilo ist die Enttäuschung definitiv noch größer als die Preisdifferenz.

 

Kaum ein Produkt hat einen so hohen Preisunterschied zwischen der konventionellen und der ökologisch erzeugten Variante wie Geflügelfleisch oder Eier. Ein Resultat der beschriebenen Schwierigkeiten und vor allem auch der Bestandsgrößen, die eine sehr unterschiedliche arbeitswirtschaftliche Bewertung generieren.

 

Im gleichen Zug sind die Faktoren Tierwohl und unabhängige dezentrale genetische Ressourcen in gemeinnütziger Trägerschaft Schlüsselreize für ökologisch motivierte Konsumenten. In der Befreiung aus der von konventionellen Zuchtkonzernen diktierten Zwickmühle liegt eine der größten Herausforderungen des modernen Ökolandbaus.

Ökogeflügel muss raus aus dem System!

„Bei der Wahl der Rassen oder Linien ist der Fähigkeit der Tiere zur Anpassung an die Umweltbedingungen, ihrer Vitalität und ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten Rechnung zu tragen. Darüber hinaus müssen die Rassen oder Linien so ausgewählt werden, dass bestimmte Krankheiten oder Gesundheitsprobleme, die für einige intensiv gehaltene Rassen oder Linien typisch sind, wie PSE, plötzlicher Herztod usf. vermieden werden. Einheimischen Rassen oder Linien ist der Vorzug zu geben.“ So verlangt es die EG-Öko-Verordnung 889/2008. Abgesehen davon, dass die EU-Verordnung bereits eine entsprechende Veränderung fordert, gilt als einziger Ausweg aus dem beschriebenen Dilemma eine eigenständige Zucht, die sich an den Umweltbedingungen des ökologischen Landbaus orientiert. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der Produktivität, aber nicht nur auf die reine Leistungsfähigkeit fixiert. Im Klartext: Selektion unter Berücksichtigung der Parameter Auslauf, 100 %iger-Öko-Fütterung, Anpassung an heimische Leguminosen und Proteinkomponenten sowie Resistenz gegen Krankheiten und Robustheit im Erkrankungsfall bei gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreicher Lege- und Mastleistung.

 

Ökologische Geflügelhaltung kann aber nur dann unter Ökobedingungen effiziente Leistungen erbringen, wenn die Zuchttiere über Generationen unter realistischen, systemtypischen Futter- und Haltungsbedingungen leben können und entsprechend ihrer Leistung im Vergleich zur Verfügung stehenden Futtergrundlage selektiert werden. Diesbezüglich wird vor allem auch im Hinblick auf heimische Proteinkomponenten die Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Initiativen in der ökologischen Pflanzenzüchtung eine gesonderte Bedeutung beigemessen. Hier ergibt sich die Möglichkeit, zum einen den Kreislaufgedanken um eine Dimension zu erweitern, als auch hinsichtlich der Themenfelder Glaubwürdigkeit durch konsequentes Handeln und Unabhängigkeit von Konzernstrukturen bei den Konsumenten zu punkten.

Zweinutzungshuhn als Ausweg

Fast schon untergeordnet erscheint hier die zusätzliche Option, auf diesem Weg wieder eine Zweinutzung im Legehennen-Bereich zu etablieren und damit das für den Öko-Sektor zwar getestete, aber mit wenig Marktpotenzial versehene Thema der Junghahnaussortierung zu beenden. Das scheint der einzige gangbare Weg aus dem Dilemma der heutigen Geflügelzucht zu sein, ohne die Verdienste herausragender Initiativen wie der Bruderhahn-Initiative schmälern zu wollen. Das geht nur über eine eigene Ökozüchtung – das ist zumindest in der Facharbeitsgruppe der Demeter-Geflügelhalter selten erlebter Konsens. Das Thema wird seit Jahren auf allen Tagungen von allen Seiten beleuchtet und wurde auch bei der letzten Wintertagung im Januar in Delbrück als angestrebtes Ziel identifiziert und als vorrangiger Arbeitsauftrag an die Sprechergruppe formuliert.

 

Auch der BÖLW als Dachverband des deutschen Ökolandbaus fordert in der aktuellen Position zur ökologischen Geflügelhaltung als Weiterentwicklung der EG-Öko-Geflügelhaltung, dass ab 2021 nur noch Tiere eingestallt werden dürfen, die mindestens drei Generationen unter Öko-Bedingungen gehalten wurden. Um dies zu erreichen, müsste innerhalb der nächsten sieben Jahre eine funktionierende Bio-Geflügelzucht aufgebaut werden, nicht nur für die Legehennen, sondern für alle ökologisch gehaltenen Geflügelarten.

Züchtungsalternativen konkret

Für dieses Ziel bieten sich drei unterschiedlich gangbare Wege an: zum einen Reinzucht mit verschiedenen Rassen wie Bresses Gauloises, Marans, Italienern, Sulmtalern, New Hampshire, Sussex und zweitens, daraus möglichen Kreuzungen, sowie Rasseputen, wie die Bronzepute, Kröllwitzer oder Ronquièrepute. Zum anderen wäre eine eigenständige, verbandsgestützte Öko-Zucht mit vorhandenen leistungsgeprüften Lege- und Mastlinien oder auch Öko-Zucht durch strategische Partnerschaften mit bestehenden Zuchtunternehmen für Legehennen, Masthühner und Puten eine Option.

 

Von den drei genannten Varianten verspricht die eigenständige verbandsgestützte Zucht mit vorhandenen Linien den größten, zumindest aber den schnellsten und wirtschaftlich wahrscheinlichsten Erfolg. Eine Züchtungsinitiative in verbandsähnlichen oder von Verbänden ins Leben gerufenen Strukturen zu gründen, mit dem Zweck, eine auf bereits vorhandenen leistungsgeprüften Beständen aufbauende Zucht zu finanzieren und zu koordinieren, überzeugt aus zwei Überlegungen. Zum einen gibt es derzeit keine wirtschaftlich motivierten Akteure, die ein Projekt mit dem zu erwartenden wirtschaftlichen Volumen und entsprechenden Risiko bereit wären zu tragen. Zum anderen ergäbe sich früher oder später wieder eine Situation der abhängigen genetischen Ressourcen im Besitz Einzelner oder einzelner Unternehmen. Bei einem zu erwartenden Investitionsvolumen von 20 Millionen € für eine solche Zucht (Prognose Prof. Dr. Preisinger/Lohmann und Braun) ein verständliches und nahe liegendes Szenario.

 

Allein, es mangelt an züchterisch behandelten Herden, die als Großeltern für die ökologisch gezüchteten Elterntiere fungieren könnten. Im Gemüse- und Getreidebereich gibt es europaweit bereits viele verschiedene Initiativen alternativer, ökologisch motivierter Züchtung. Im Rinder- und Milchviehbereich existieren schon erste Ansätze, im Gegensatz zum Geflügelbereich ist hier aber die genetische Variabilität noch nicht völlig zerstört und Zucht mit vielen Einzelbetrieben weiterhin realistisch. Es existieren zwar einige Initiativen rund um das Thema, wie die Züchtungsarbeit zur Zweinutzung von Inga Günther in Rengoldshausen oder das von Verbrauchern finanzierte Zweinutzungshuhn der Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Zusammenarbeit mit der Lehranstalt in Triesdorf. Aber den bald zu erwartenden Bedarf von vier Millionen Öko­legehennen pro Jahr (wenn man BÖLW und Öko-Verordnung Ernst nehmen will) zu decken, davon ist man noch weit entfernt.

Überverbandliche Weiterzüchtung des Bestands Mechthildshausen

Eine der wenigen konzernunabhängigen genetischen Ressourcen ist derzeit im Besitz der Domäne Mechthildshausen, dem größten hessischen Bioland-Betrieb in der Nähe von Wiesbaden. Seit vielen Jahren werden unter Führung der Geschäftsleitung der Domäne Mechthildshausen in Merbitz in Zusammenarbeit mit der Universität Halle verschiedene Lege- und Mastlinien züchterisch bearbeitet. Ursprünglich stammt das genetische Material aus alten Beständen der staatseigenen Zucht der DDR, die größtenteils unbeeindruckt von den beschriebenen Auswüchsen der weltweit operierenden westlichen Konzerne nach traditionellem Zuchtmodell an den regionalen Gegebenheiten und klassischen Parametern der Selektion gearbeitet hat. Die drei bestehenden Zuchtherden der Rassen New Hampshire, White Rock und Bresses Gauloises sind hinsichtlich ihrer Größe und der jahrelangen züchterischen Bearbeitung europaweit, wenn nicht sogar weltweit einmalig.

 

Aus diesem Grund fand auch die letzte Sommertagung der FAG-Geflügel ungewöhnlicher Weise nicht auf einem Demeter-Betrieb statt, sondern auf der Domäne Mechthildshausen: Dieser Ausflug war verbunden mit dem Angebot und der Bitte, hinsichtlich dieses Themas die Zusammenarbeit zu intensivieren. Aus dieser Geste entstand ein reger Austausch von Demeter mit Bioland, der in die Vereinbarung mündete, eine gemeinsame Organisation zu gründen, die in Zukunft bestehende Initiativen rund um das Thema Geflügelzüchtung koordinieren und unterstützen soll. Um diesem Vorhaben eine erste Grundfinanzierung zu ermöglichen, haben die Sprecher der Geflügelgruppe einen Antrag an die Demeter Delegiertenversammlung im April 2015 gestellt.

Autorennotiz

Sebastian Fuchs leitet die Abteilung Qualität des Demeter e.V.