Berichte & Initiativen

Demeter ist soziale Landwirtschaft

Eine Umfrage

von Heike Lorenz und Anna Keilbach

 

Soziale Aufgaben spielen bei vielen Demeter-Betrieben eine Rolle. Und viele soziale Einrichtungen haben eine biodynamische Landwirtschaft oder Gärtnerei. Aus diesem Grund führte der Demeter e.V., Fachbereich Landbau, Anfang Mai 2010 eine Fragebogenaktion zum sozialen Land- und Gartenbau durch. 130 Demeter-Betriebe, die uns als potenzielle Zielgruppe bekannt waren, wurden angeschrieben. Erfreulicherweise beteiligten sich trotz des etwas ungünstig liegenden Zeitpunktes etwa 40% der Betriebe an der Umfrage und ermöglichen so eine gute Status-Quo-Erhebung, eine wertvolle Anregung für die weitere Verbandsarbeit. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Rückmeldungen dargestellt – weitere Informationsquellen werden nicht berücksichtigt. Obwohl es sich nicht um eine repräsentative Studie handelt, lassen sich (Mindest-) Größenordnungen und Tendenzen abschätzen.

Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten zusammen

Fast 80 Betreuungsplätze werden im Durchschnitt pro Betrieb bzw. Institution angeboten. Fünf Betrieben ist es möglich, auch Betreuungsplätze ohne eine finanzielle Förderung anzubieten, meist stehen dann noch einmal dieselbe Anzahl oder mehr an geförderten Plätzen zur Verfügung. Bei den 47 antwortenden Betrieben, von denen die meisten zu sozialen Einrichtungen gehören, stehen derzeit bundesweit rund 3500 Betreuungsplätze zur Verfügung. Weitere 1.600 Menschen sind als Mitarbeiter im land- und gartenbaulichen sowie sozialen Bereich tätig. Das heißt, soziale Landwirtschaft mit Demeter-Betrieben bietet mehr als 5.000 Menschen mit und ohne Behinderungen eine sinn- und wertvolle Tätigkeit. So kommen auf einen Mitarbeiter in den 47 Betrieben etwa 2,2 Betreute. Die durchschnittlich 40 Mitarbeiter pro Betrieb bzw. Einrichtung arbeiten größten Teils im sozialpädagogischen Bereich, nur etwa 15% sind in der Landwirtschaft und im Gartenbau tätig.

Vielfältige, sinnvolle Tätigkeiten

Die Betreuung findet in vielfältigen Aufgabenfeldern statt: So zählen Landwirtschaft, Gärtnerei und Hauswirtschaft zu den drei häufigsten Arbeitsfeldern. Daneben stehen weitere Bereiche, wie die Arbeit in der Bäckerei oder der Käserei sowie in holzverarbeitenden Werkstätten, zur Wahl. Für zwei Betriebe ist die Arbeit mit Pferden eine der wichtigsten therapeutischen Maßnahmen. Sie bietet ihnen eine ideale Zugangsmöglichkeit zu Kindern und Jugendlichen, die sich in einer Lebenskrise befinden. Auch Malen und landschaftsgärtnerische Aufgaben gehören zum Angebot. Meist werden pro Betrieb fünf verschiedene Betätigungsfelder angeboten, welche die Fähigkeiten und Fertigkeiten fördern und den Einzelnen sinnvoll fordern. Die Intensität der Landwirtschaft und ihre Ausrichtung auf die Betreuten ist in den Betrieben unterschiedlich.

Anzahl der Betriebe und ihrer Zielgruppen

35

Erwachsene Menschen mit Behinderung

10

Kinder und Jugendliche mit Behinderung

8

zur Berufsvorbereitung

7

Schulkinder / Schulbauernhof

1

Arbeitslose

1

Suchtkranke

1

Obdachlose

1

Menschen im Strafvollzug

Anzahl der Häufigkeit der angebotenen Arbeitsbereiche für Betreute in den Betrieben

40

Landwirtschaft

36

Gartenbau

33

Hauswirtschaft

18

Bäckerei

14

Käserei

11

Tischlerei, Schreinerei ...

6

Hofladen / Café

5

Küche

5

Weberei

4

Landschaftspflege

4

Wäscherei

3

Forstwirtschaft

Alt und Jung

Die weitaus meisten Menschen mit Behinderung, die auf den Höfen leben, sind Erwachsene. Für Kinder und Jugendliche gibt es nur wenige Betriebe, auf denen sie betreut werden, mit ihren Aufgaben wachsen und selbstständig werden können. Soziale Landwirtschaft kann aber auch heißen, Menschen im Strafvollzug, Suchtkranken sowie Obdachlosen und Arbeitslosen einen sicheren Ort zu geben und ihnen zu helfen, sich wieder in der Gesellschaft zurecht zu finden. Angebote dazu gibt es nur auf vier der befragten Höfe. Mehr Möglichkeiten finden sich da in der Berufsvorbereitung für z. B. „schulmüde Kinder“ oder bei Schul- und Erlebnisbauernhöfen.

 

Zurzeit liegt das Durchschnittsalter der verantwortlichen Betriebs- und Bereichsleiter sowie der Mitarbeiter bei etwa 46 Jahren. Ein Drittel der Verantwortlichen ist über 40 Jahre. Immerhin 10% sind unter 30 Jahre. Nachwuchs wird also dringend benötigt. Viele Projekte bestehen bereits seit über 20 Jahren. Die älteste, im Rahmen der Befragung erfassten Einrichtung, das Heil- und Erziehungsheim Pineau, wurde bereits 1937 gegründet.

 

Die geographische Verteilung der Betriebe ist recht ausgewogen, so kommen 9 der Betriebe, die sich an der Umfrage beteiligt haben, aus Baden-Württemberg, jeweils 7 Betriebe aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Betriebe aus den östlichen Bundesländern haben sich wenig an der Befragung beteiligt.

Zusammen leben – sich gegenseitig stärken

Für den Großteil der befragten Betriebe ist das Zusammenleben wichtig. Sie sehen sich als eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, in der alle unter einem Dach leben, voneinander profitieren und sich weiterentwickeln. Wohngemeinschaften und Großfamilien stärken so Autonomie und gleichzeitig soziale Bindungen. Handicaps werden nicht als Defizit gesehen, sondern als Ausdruck der Persönlichkeit. So wird viel Wert auf eine „Begegnung auf einer Augenhöhe“ gelegt. Gleichberechtigung, Respekt und gegenseitige Wertschätzung sind grundlegend, denn jeder trägt seinen Teil zum Ganzen bei.

 

Auch eigene Aus- bzw. Fortbildungsaktivitäten gehören dazu: Die Leitung der Hofgemeinschaft Weide-Hardebek (Schleswig-Holstein) bietet eine überregionale dreijährige berufsbegleitende sonderpädagogische Zusatzqualifikation für Mitarbeiter in Arbeits-und Lebensgemeinschaften an, staatlich anerkannt. Auf dem Hof Steinich (Rheinland-Pfalz) werden Menschen mit Autismus in der eigenen Schule mit eigenem Lehrplan unterrichtet, bei einem breiten Angebot von Werkstätten und Therapien.

Anregungen der Betriebe an den Demeter Verband

Erstmalig erhielt der Demeter-Verband anhand der Rückmeldungen Anregungen für mögliche weitere Aktivitäten: Der Wunsch, einen Ort der Begegnung und des Austauschs für die Mitglieder im Verband zu schaffen, wurde häufig geäußert – ebenso das Bedürfnis nach Einrichtung von Fachgruppentreffen, wo viele Themen, wie Möglichkeiten zur finanziellen Förderung, die Wahl der geeigneten Rechtsform, Vorstellung verschiedener Therapiekonzepte und Arbeitsfelder für unterschiedliche Betreute, diskutiert werden können. Auch wird der Verband aufgefordert, die Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für soziale Landwirtschaft zu intensivieren. Dies fördert die gesellschaftliche Wahrnehmung und kann helfen, dass die Politik sich für eine stärkere finanzielle Unterstützung einsetzt. Vor dem Hintergrund des häufig anstehenden Generationswechsels könnten durch eine intensive Außendarstellung mehr junge Menschen für diese Art der Landwirtschaft begeistert werden.

 

„Durch den ganzheitlichen Gedanken des Hoforganismus unter Einbeziehen aller, möglichst vielfältiger Individuen ist die biologisch-dynamische Landwirtschaft prädestiniert – Demeter ist soziale Landwirtschaft“, so lautete ein Kommentar auf den Bögen.

Anzahl der Organisationsformen

e.V.

29

WfbM

19

Lebensgemeinschaft

17

Familienbetrieb

5

gGmbH

5

GbR

5

Camphill

2

Stiftung

1

Diakonie

1

AG

 

staatliche Einrichtung

 

Vernetzung und Teilhabe

Dass ein großes Interesse an sozialer Landwirtschaft besteht, zeigte sich auch im Mai 2010 auf der Fachtagung „Mensch und Natur als Entwicklungsaufgabe – Inklusion als Perspektive des Sozialen Land- und Gartenbaus“, welche vom Verband für anthroposophische Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit e.V. in Kooperation mit Petrarca, Blickwechsel und dem Demeter e.V. auf dem Hof Weide in Schleswig-Holstein veranstaltet wurde: 100 Teilnehmer bearbeiteten drei Tage lang intensiv in Kleingruppen unterschiedliche Themenschwerpunkte.

 

Darüber hinaus bestand ausreichend Zeit zum Austausch und zur Möglichkeit, Netzwerke zu knüpfen. Die Tagung wurde wissenschaftlich durch Petrarca e.V. unter der Leitung von Dipl.-Ing. Anne Jeanichen und Dr. Thomas van Elsen begleitet. Beide arbeiten im Projekt „Soziale Landwirtschaft auf Biobetrieben in Deutschland“, welches im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gefördert wird und das Ziel verfolgt, die Entwicklung und Vernetzung sozialer Landwirtschaft in Deutschland zu fördern. Eine Folgetagung für 2011 ist in Planung.

 

Gerade ökologisch wirtschaftende, bäuerliche Betriebe eignen sich dazu, soziale Landwirtschaft in ihren Betrieb einzubinden, da sie vielfältige Aufgabenbereiche bieten und meist übersichtlichen Strukturen aufweisen. Die zu betreuenden Menschen sollen nicht nur in Betriebsabläufe integriert, sondern wirklich einbezogen werden. Das heißt, sie gestalten und bestimmen mit. Inklusion, das aktuelle fachliche Leitziel aus der Heilpädagogik bedeutet, dass alle Mitglieder in allen Bereichen selbstverständlich teilnehmen können und die Bedürfnisse aller Mitglieder ebenso selbstverständlich berücksichtigt werden.

 

Wissenswertes zum Nachlesen

  • Broschüre „Zusammen schaffen wir was! Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft“ (Rebecca Kleinheitz, Robert Hermanowski) 2008, 48 Seiten, 6,00 €, Bestellung oder online-Version unter http://www.fibl-shop.de

  • Nachfolgeprojekt von „Social farming“: http://www.soziale-landwirtschaft.de : Projektbeschreibung, Tagungsberichte, Publikationen, Rundbriefe, links

  • Quartalszeitschrift „Punkt und Kreis“ des Verbands für anthroposophische Heilpädadogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit e.V., auch online: http://www.verband-anthro.de

  • Erfahrungsfeld Bauernhof: Infos über die Weiterbildung zum Erfahrungsfeld-Bauernhof-Begleiter: http://www.erfahrungsfeld-bauernhof.org

  • Die Auskunftsstelle im Demeter-Verband (http://www.demeter.de ) vermittelt u. a. auch Praktikums-, Ausbildungs- und Arbeitsplätze auf Betreuungshöfen.

Heike Lorenz Bereichsleiterin Landbau im Demeter e.V.

Anna Keilbach Önologin, 2010 ein halbes Jahr Mitarbeiterin beim Demeter e.V.