Aus der Bewegung

Biodynamischer Landbau in der Ukraine

Ein Blick auf die Entwicklung und aktuelle Situation

Der Agrarsektor ist einer der wichtigsten Zweige der ukrainischen Wirtschaft. Etwa 43 Millionen Hektar Land sind landwirtschaftliche Nutz­fläche, das ist etwas doppelt so viel wie in Deutschland. Die Ukraine produziert Lebensmittel nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Export - das gilt gleichermaßen auch für den Bio-Sektor. Am 24.2.2022 griff Russland die Ukraine großflächig an. Seitdem gibt es fast täglich Raketen­alarm, unerbittliche Kämpfe im Osten, Menschen sterben und die Zerstörung ist unermesslich. Auch in der Landwirtschaft.

Bis zum Beginn des Krieges arbeiteten in der Ukraine etwa 400 Bio-Betriebe auf einer Fläche von rund 460.000 ha nach den Anforderungen der EU-Öko-Verordnung. Das entsprach etwa 1,3 % der gesamten landwirtschaftlichen Fläche. Darüber hinaus gab es etwa 100 zertifizierte ökologische Verarbeiter und Händler. Aktuelle Zahlen aus dem Projekt Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau (COA) belegen, dass trotz des Krieges erfreulicherweise rund 80 % der Ökobetriebe weiter bestehen und ihre Flächen bewirtschaften.

Seit einigen Jahren gibt es auch in der Ukraine eine wachsende Zahl biodynamischer Betriebe, aktuell etwa 30 bis 40, die unterschiedlich groß sind. Sie sind über das ganze Land verteilt und verkaufen ihre Produkte direkt, auf Märkten oder sie geben die Erzeugnisse aufgrund des Krieges an Flüchtlinge oder die Armee ab. Einige der biodynamischen Höfe wurden in den ersten Monaten des Angriffs von der russischen Armee besetzt und sind inzwischen wieder befreit, andere sind immer noch besetzt. So überraschend es klingen mag: Mit Beginn des russischen Angriffskrieges ist das Interesse an der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in der Ukraine gestiegen. Vielleicht ist es der Mangel an Betriebsmitteln, vielleicht das gesteigerte Interesse an Ganzheitlichkeit oder auch der Wunsch, über neue Ideen für die Landwirtschaft unter diesen schrecklichen Umständen nachzudenken und das Ökologische, das Soziale und das Spirituelle mitein­ander zu verbinden.

Die Vereinigung Biodynamika Ukraina

Die biodynamische Vereinigung der Ukraine wurde 2017 mit dem Ziel gegründet, alle zu vereinen, die die biodynamische Landwirtschaft im Land entwickeln wollen. Einen Monat nach Beginn der Arbeit der Vereinigung wurde auf Initiative von Maryna Bohdanok, einer ukrainischen biologisch-dynamischen Aktivistin, der erste Ausbildungskurs zu biodynamischen Grund­lagen organisiert. Bis 2018 wurden zwanzig Pilotbetriebe geschult und konnten erst praktische Erfahrungen sammeln. Die meisten Module fanden auf dem zertifizierten biodynamischen Betrieb Schiwa Semlja, was lebendige Erde bedeutet, in Potutory im Westen der Ukraine statt. Mit Unterstützung des deutschen COA-Projektes finden dort seit 2019 regelmäßig Kurse zu verschiedenen Themen der biodynamischen Landwirtschaft statt, der letzte Ende April 2023 mit 40 Teilnehmern. Auch auf anderen biodynamischen Höfen finden Fortbildungen statt, oder online. Trotz des Krieges reisen Interessierte aus dem ganzen Land an. Neben dem Hof in Potutory befinden sich Zentren für die Präparateherstellung nun auch im Süden auf dem Weingut von Tetyana Shmaglyuchenko und im Zentrum der Ukraine auf dem Hof Nuts'n'garden von Vitaly Vorontsov mit seinem Haselnussgarten.

Engagement und aktuelle Projekte

Mit finanzieller Hilfe des COA-Projektes war Biodynamika Ukraina in den letzten Jahren auch auf der Biofach vertreten und druckte in diesem Jahr den Kalender von Maria Thun auf Ukrainisch. Unterstützt wurde im März 2023 auch der online-Vortrag von Ute Rönnebeck, geschäftsführende Vorständin von Demeter im Westen, über die Organisation und die Aktivitäten des Demeter-Landesverbandes. Über 25 Personen von biologisch-dynamischen Höfen aus der Ukraine nahmen daran teil. Svitlana Shchokina, eine in Kyiv lebende Mitarbeiterin des COA-Projektes, übersetzt derzeit das im letzten Jahr bei INFO3 erschienene Buch „Anthroposophische Grundlagen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft“ von Peter Krause ins Ukrainische. Biodynamika Ukraina hat in den letzten Monaten auch Kontakte zu Demeter International geknüpft und hat begonnen, sich enger mit Demeter in Polen, Litauen und Deutschland zu vernetzen.

Anfang dieses Jahres war Biodynamika Ukraina auch im unbesetzten Teil des Ostens, nahe der Stadt Dnipro, auf dem Biohof Sokolovo aktiv. Dieser Hof ist nun das östlich gelegene Zentrum für die Herstellung von Präparaten, auch für Landwirte, deren Ländereien derzeit besetzt sind, wodurch sie gezwungen waren, an sicherere Orte zu ziehen. Einer von ihnen ist Oleksandr Orekhin, Landwirt von Kozak Organic. Er praktiziert derzeit die Biodynamik auf dem Hof, auf dem er lebt, träumt aber davon, auf sein Land zurückzukehren und das beste biodynamische Gemüse des Landes anzubauen.

Im Herbst 2023 plant Biodynamika Ukraina, Präparate im Norden der Ukraine auf der Veles-Farm von Mykhailo Travetskyi herzustellen. Auf seinem Hof züchtet der Besitzer und Tierarzt in dritter Generation die sehr alte Rinderrasse Ukrainisches Grauvieh. Die ukrainische Grauviehkuh ist sehr robust gegen Krankheiten und Mykhailo stellt aus ihrer Milch köstlichen Mozzarella-Käse her.

Betriebsvielfalt – von Bergziegen bis Fischzucht

Neben den genannten Höfen gibt es noch weitere biodynamische Betriebe. Dazu gehört zum Beispiel die Ziegenfarm Miryna Masternya Syru, die von Myra Voloshchuk geführt wird. Der Familienbetrieb befindet sich in einer bergigen Gegend im Südwesten der Ukraine. Derzeit werden auf dem Hof 40 Bergziegen gehalten, zehn Käsesorten produziert und es wird Brot nach dem traditionellen ukrainischen Sauerteigverfahren hergestellt. Myra verkauft ihre Produkte auf dem lokalen Markt.

Oder der Bauernhof von Taras Sukhodolskyi: Der Hof liegt im westlichen Teil der Ukraine und betreibt seit etwa 20 Jahren auf 18 Hektar Land biodynamische Landwirtschaft. Es handelt sich um einen ganzheitlichen Betrieb, auf dem Schweine, Ziegen, Hühner und Enten gehalten werden. Auf dem Gelände des Hofes werden auch Forellen gezüchtet. Knoblauch, Paprika, Meerrettich und Heilpflanzen werden das ganze Jahr über im Garten angebaut, und im Wald in der Nähe des Gartens werden Pilze gezüchtet. Derzeit entwickelt Taras ein Projekt für ein Rehabilitationszentrum für Kriegsgeschädigte. Die Besucher des Zentrums können an diesem gemütlichen biodynamischen Ort, an dem die Liebe regiert, neue Kraft schöpfen.

Erwähnenswert ist auch die Fischfarm Zabirye von Gennady Rudenko in der Region Kiew, die in einer Kaskade von Seen fünf Arten einheimischer Fische züchtet und die biodynamischen Prinzipien integriert. Gleichzeitig werden in Komposthaufen Würmer gezüchtet, die den gesamten Futterbedarf für die Ernährung der Fische decken. Oder eine Hirschfarm in der Region Sumy im Norden der Ukraine, wo Dmytro Rusanov, ein ehemaliger professioneller Stuntman, vier Arten von Rothirschen unter natürlichen Bedingungen züchtet. Solche Betriebe sind nicht typisch, aber sie sind sehr natürlich und sie versuchen, die biodynamischen Prinzipien schon bei der Gründung ihrer Betriebe anzuwenden.

Das Potenzial für die biodynamische Landwirtschaft, als eine Landwirtschaft, die der Ökologie, dem Klimaschutz, der regenerativen Landwirtschaft und den Folgen des menschlichen Handelns für zukünftige Generationen besondere Aufmerksamkeit schenkt, ist in der Ukraine groß. Trotz des Krieges. Biodynamika Ukraina arbeitet stetig daran, in diesem Sinne ihre jetzigen und zukünftigen Höfe zu bewirtschaften und weiterzuentwickeln.

 

Autorenteam:

Evgenya Yushchenko, Leiterin des Verbandes „Biodynamika Ukraine“
monadagroup(at)gmail.com; facebook: biodynamics.ua

Dr. Stefan Dreesmann, Leiter des Projektes „Deutsch-ukrainische Kooperation Ökolandbau“
stefan.dreesmann(at)afci.de; http://coa-ukraine.com/de/