Editorial

Respekt und Lebenswissenschaften

Es tut sich was in der Welt der Biologie. Pflanzen können „sich verhalten”, Tiefengestein ist durchlebt von Mikroben, Tiere zeigen soziales Lernen, die statisch-materialistische Vorstellung der alles regelnden Gene erklärt immer weniger.

 

Im „Jahrhundert der Biologie” erlebt diese Wissenschaft eine Befreiung: Schluss mit der Mechanik, das gilt nicht mehr nur für die Physik. Diese Erkenntnis ergreift jetzt die Lebenswissenschaften, die zuletzt allzu oft von der Halbleiterelektronik auf Lebendiges schlossen. Doch ist Lebendiges etwas prinzipiell und wesenhaft anderes als ein noch so komplizierter Roboter mit Fell. Es ist auch keine höhere Potenz von etwas Physischem, keine quantenmechanische Konstruktion höherer Ordnung, aus der plötzlich Leben emergiert, keine komplexe systembiologische Rechenvorschrift, sondern: eine andere Dimension.

 

Die belebte Welt ist weitaus lebendiger, als wir glauben. So wie Pflanzen und Tiere sich mit der Materie verbinden, so tauschen sie sich auch mit ihnen übergeordneten Sphären aus. Und zeichnen sich durch Innerlichkeit aus - „Alles fühlt”, wie es der Biologe und Buchautor Andreas Weber formuliert. Lebewesen sind Wesen, keine Automaten, wer kam nur auf diesen Gedanken?

 

Respekt anstelle von Hybris und selbstbezogenem Nutzendenken sollte daraus folgen. Und, ein anderer Blick, ist doch die Natur sowohl Subjekt, das unsere Existenz spiegelt, als auch Teil von uns. Denn unser Bild vom Leben wirkt tief gestaltend in die Gesellschaft, ob Wirtschaft als sozialdarwinistischer Kampf oder Endlösungsphantasien rassistischer oder technischer Art gedacht werden, die Folgen waren zu erleben.

 

Was bedeutet dieser Wandel der Lebenswissenschaften für die Landwirtschaft? Sie wird wählen müssen. Entscheiden wir uns zum Beispiel für Cis-Genetik (Implantat arteigener Gene) oder doch lieber für Zucht mit und für den Standort bzw. biologisch-dynamisches Saatgut? Auch eine politische Frage, denn die „bodenständigen” Lehrstühle werden weniger, die modellierenden und im Labor entwickelnden mehr. Das verspricht schnelle Patente, dagegen bringen Langzeitversuche und Systemansätze „nur” sicheres Wissen. Statt zu erforschen, wie man Kühen und Böden das Letzte abpresst, täte es Not, Ressourcen zu erhalten und gerecht zu verteilen.

 

Alles sei sowieso biologisch - so argumentierten vor 20 Jahren die meisten Professoren, die mit Bio nichts am Hut hatten. Denn ohne das gewaltige Wirken der Natur, ohne das Geschenk der Pflanzen, die Photosynthese, ohne immer noch lebendige Böden wäre die Mühe der Landwirte vergebens. Insoweit hatten sie Recht. Aber warum bitte soll immer noch, teuer beforscht, mit einem Arsenal von Giften, Schwerstmaschinen und programmierten Wuchsautomaten die Natur malträtiert, ja ersetzt werden, wenn es auch anders geht, man mit ihr kooperieren und sie fördern kann? Und dabei ein Bündel an Nebenwirkungen von vornherein ausschließt? Die heutige Landwirtschaftswissenschaft hinkt der modernen Forschung auch wegen ihrer Fixiertheit auf materialistische, u.a. gentechnische Konzepte hinterher. Das verdeutlichte auf peinliche Weise der Weltagrarbericht im letzten Jahr. Andrerseits ist die Landwirtschaft das letzte Bild für nachhaltiges Wirtschaften, das wir als Gesellschaft noch haben. In Eisenberg schickt die Volksbank deswegen Banklehrlinge für einen Monat auf den Bauernhof. Die Agrarforschung braucht eine neue Ausrichtung, gerade weil die ökonomischen Trends scheinbar die immer intensivere Industrialisierung fordern.

 

Auch beim Öko-Landbau stand die Biologie Pate: die des Bodens und bei den Biodynamikern auch das Bild der Landwirtschaft als Organismus, als Wesen. Forscher sprechen über Integrität als Kriterium für den nachhaltigen Umgang mit der von uns genutzten Natur. Dass in der Biologie 0,1 % heute einen kleinen, morgen den entscheidenden Unterschied macht, gehört zu ihrem Wesen. Das praktizierte neue Denken - ein Ökolandbau, der sich weiterentwickeln will - hat diese Marke schon überschritten.

 

Ihr