Editorial

Gartenkult

Erst kam das Wandern wieder in Mode. Jetzt ist das Gärtnern en vogue. Mindestens in den Medien sind junge Städter, die den eigenen Gemüseanbau oder das Imkern im Hinterhof entdecken, seit letztem Jahr ein Thema. Auch Laubenpieper und Schrebergärten erfahren wieder Zulauf, vor allem junge Familien entdecken den Reiz des Stücks kultivierter Natur „jenseits“ der Stein- und Glasfassaden, abseits von W-Lan und Designersofa. Es tut sich was, Gärten legen Pfade unter- und zueinander als Netz von Regionalgärten, Bauern und auch ein Lebensmittelhändler (tegut...) richten gepflanzte Gärten ein, für eine Saison vom Verbraucher zu pachten und zu beernten, der Tütensuppenhersteller Knorr verlost Stadtgemüsegärten, es gibt Modefotos auf der Roof-Top-Farm und der Saatguthändler Aries verkauft Guerilla-Gardening Samenbomben. Österreich vergibt einen Preis für City-farmer. Inzwischen mindestens acht Autoren schreiben über den Mond beim Gärtnern.

 

Gärtnern hat Konjunktur.

 

Der revolutionäre, intellektuelle Gärtnerflügel wirbt für ökosozialen Wandel durch Gärtnern, propagiert „Urban Agriculture“, etabliert interkulturelle Gärten, entwickelt Konzepte für die grüne permakulturelle Stadt von morgen, sogenannte „transition towns“, und regt damit auch Forscher und Architekten, an, die dann z. B. Salatplantagen auf Supermarktdächern planen: gebäudeintegrierte Landwirtschaft heißt das – „inFarming“. Es ist also viel Phantasie im Spiel, doch der Trend ist real.

 

Gesucht wird natürlich auch „the real thing“: Gummistiefel an und Spaten raus, nach Büro, Computer und Kommunika-tionsgefummel mal mit den Händen im Boden Erfahrungen machen mit dem Echten, für das die Natur in erster Betrachtung steht: für das, was immer ist und immer sein wird. Noch.

Pflegen und Gedeihen erleben. Abenteuer gibt es ebenfalls echte, im Mikroformat: Raupenattacke statt Würgeschlangen, Läuse-siechen statt Zombie-Seuchen, und Wühlmaus statt Godzilla, auch Spannung kann im Garten gefunden werden.

 

Der Garten steht natürlich auch für den Rückzug hinter die eigene Hecke, zumal hierzulande. Doch reift aktuell hier auf andere Art ein ökologisches Bewusstsein, das unseren biodynamischen Aktivitäten nur eher zufällig begegnet. Wie viele dieser Neu-Gärtner wissen, dass es samenfestes Saatgut gibt? Dass biodynamische Kompostpräparate den Kompost reifen helfen? Dass es Lebensmittel gibt, die bereits mit Liebe und Sorgfalt angebaut werden? Dass es Bauern und Gärtner gibt, von denen man dies Handwerk lernen kann? Hier finden wir natürlich Begeisterte, mit denen wir uns vernetzen sollten.

 

Jeder Mensch ist ein Gärtner – noch ein weiterer Aspekt gehört zum Anbau im Kleinen. Denn es sind die Kleinbauern dieser Welt und die Gärtnerinnen in und um die Städte in den armen Ländern, die befähigt werden müssen, ertragreicher und nachhaltiger anzubauen, für den Bedarf vor Ort. Nur damit als erstem Schritt kann der Hunger auf der Welt weniger werden. Im Gärtnern liegt die Zukunft.

 

 

Ihr