Editorial

Noch viel zu tun

„Nachholbedarf“, so hieß die Überschrift in der letzten Ausgabe von Lebendige Erde, in der es um Tierzucht ging, 2003.

 

Ein bisschen was hat sich getan, die Zukunftsstiftung Landwirtschaft machte Bestandsaufnahme, Landwirte verschiedener Verbände experimentierten mit Zweinutzungshühnern und alternativer Putenaufzucht, der ökologische Gesamtzuchtwert, eine Öko-Zuchtwertschätzung, hat sich für Fleck-, Braun- und Gelbvieh etabliert. Eine Reihe Demeter-Landwirte nutzt wieder mehr den Stier statt künstlicher Besamung, Gruppen biodynamischer Rindviehzüchtern tauschen regelmäßig Erfahrungen und Tiere aus, und beim Demeter-Geflügel wurde ein echter Durchbruch erzielt: männliche Küken mästen statt meucheln, wenn sich denn die Legehähnchenmast finanziell durchhalten lässt.

 

Soweit so gut, doch das sind nur die Vorreiter. Es zeigen sich eben auch die Grenzen einer kleinen Bewegung, wie der des Ökolandbaus, zumal wenn nicht alle am gleichen Strang ziehen, und das beim komplizierten Thema Züchtung, wo es gilt, aus der Abhängigkeit von konventionellen Strukturen herauszukommen.

 

Besonders deutlich ist das beim Thema Hörner. Man sollte meinen, da herrscht Einigkeit bei den Ökos. Doch viele Kollegen in den organischen Bioverbänden hoffen auf hornlose Vererber. So lässt sich der kleinste gemeinsame Nenner zum Thema Kühe mit oder ohne Hörnern zusammenfassen. Die EU ÖKO-VO untersagt aus gutem Grund die prophylaktische Enthornung. Doch mit reihenweise Ausnahmegenehmigungen wird sie weiter praktiziert, mit Argumenten, die wir bei Demeter vor zwanzig Jahren intensiv diskutiert haben. Allerdings war damals die Bereitschaft da, etwas zu ändern. Heute führt das zu Wettbewerbsverzerrungen, denn mit ein, zwei Cent mehr für Hörner-Milch ist es nicht getan.

 

Ärgerlich aber ist eigentlich, dass trotz aller Wertediskussion im Ökolandbau das Bewusstsein dafür, dass zur Kuh das Horn gehört, nicht da ist. Das Horn ist ein Organ und nicht ein überflüssiger Kopfschmuck. Ökonomie, so scheint es, geht auch hier wieder vor. So steht zu befürchten, dass Demeter-Kühe bald die einzigen mit Hörnern sind – was züchterische Probleme für Demeter-Bauern aufwerfen wird. Schon jetzt werden deren Tiere als be-hornt bezeichnet, als ob die Hörner etwas hinzu gefügtes wären, der verformt wachsende enthornte Kuhschädel aber die natürliche Variante. Die Demeter-Delegierten bezeichneten dies als Unwort des Jahres.

 

Aber vielleicht bin ich ja befangen: Ich finde Kühe mit Hörnern einfach schön, die anderen seltsam. Wieso Ästhetik unter Landwirten kein Kriterium mehr ist, wundert mich. Es hat wohl was mit Kultur zu tun.

 

Umso mehr bedarf es eigener Züchtungsbemühungen der biodynamischen Tierhalter! Vorbilder gibt es gute. Und Gründe zuhauf. Und es braucht auf jeden Fall mehr Zusammenarbeit zwischen den Öko-Landwirten. Denn mehr Effizienz heißt das neue Ziel im Ökolandbau. Da sind wir auch in der Tierhaltung noch längst nicht, misst sich Effizienz doch auch an der Grundfutterverwertung oder der Unabhängigkeit vom Import rarer Eiweißkomponenten. Tierzucht braucht den Verbund, ob bei Geflügel, Schweinen oder Rindvieh. Und der umfasst nicht nur die Arbeitsteilung unter Kollegen, sondern auch Engagement der Verarbeiter und des Handels.

 

Ihr