Editorial

Kulturauftrag

Biodynamisch ist so was wie Old School für den Ökolandbau. So nennt man im HipHop den Musikstil derer, die ihn erfunden haben. Die Biodynamischen haben Bio zwar nicht allein erfunden, doch im Vergleich sieht man, dass sie ähnlich wie der Musikstil, der über Jahrzehnte die Popmusik beeinflusst hat, in der Ökobewegung und in der Gesellschaft wirkten: Viele in der Biobranche beziehen sich respektvoll darauf, zitieren oder praktizieren alte Schule, haben oft davon gelernt. Und zugleich hat sich das musikalische Genre erheblich weiterentwickelt und differenziert, spielen längst auch andere mit. Auch das ist im Ökolandbau ähnlich.

 

Andrerseits passt der Vergleich auch nicht, denn Old School ist qua Definition nicht modern, nicht die Zukunft, sondern nur ein inspirierender Vorrat an Ideen und Praktiken auf dem Weg dorthin. Die Biodynamischen sind da heute weiter als vor einem guten Jahrzehnt, als Demeter noch als die „alte Tante“ im Konzert der Ökoverbände galt. Verband, Betriebe und Mitglieder sind modern „aufgestellt“, wissen die Balance zwischen Pflege der Naturgrundlagen, Produktion und Markt zu handhaben, ohne die Arbeit an den Werten darüber zu vernachlässigen. Der Spagat zwischen Alter Schule und neuen Anforderungen gelingt auch nach 90 Jahren noch – beruhigender Ausdruck der Kraft und des Engagements der Menschen, die fürs Biodynamische stehen. Viele Preise und Auszeichnungen für Demeter-Landwirte wie für Verarbeiter belegen diese Innova­tionskraft.

 

Dabei kommt ihnen im Konzert der Bioverbände noch eine besondere Rolle zu. Während der Ökolandbau generell Bewahrer des Wissens um den guten Boden ist, wie es der Umwelthistoriker Uekötter ausdrückt, so ist Demeter zudem auch Bewahrer der Agrarkultur: Aus der spirituell fundierten Landwirtschaft ergibt sich eben eine Werteorientierung, die gelebt wird und mehr umfasst als nur Erzeugung. Ob es nun die treue Konsequenz der Arbeit mit der Natur ist, neue Ansätze der Sozialentwicklung, Bauernhofpädagogik, Respekt für die Nutztiere, oder das Bemühen um Marktpartnerschaft, Demeter-Betriebe sind immer vorne dabei.

 

Doch müssen wir uns auch fragen, ob es reicht, sich hier auf Vorreiter zu verlassen. Die heutige Wissenschaft entwickelt vor allem die technischen Aspekte der Agrarwirtschaft und zwar rasant und mit gravierenden Folgen. Und wir? Der Direktor des FiBL, Urs Niggli, befürchtet zu Recht, dass der Ökolandbau dem wenig eigene Entwicklung entgegenstellen kann; es bräuchte deutlich mehr Forschung, mehr Vernetzung, mehr Innovationsgeist flächendeckend, auch im Hinblick auf neue Verfahren und neue Ökonomie. Doch dazu ist der Ökolandbau insgesamt noch eine zu kleine Nummer.

 

Das gilt auch für die biologisch-dynamische Forschung. Die Landwirtschaftspraxis ist zwar anerkannt, nicht aber ihre Grundlagen, weder die konkreten wissenschaftlichen Ergebnisse, noch die spirituelle Arbeit an Werten im Rahmen der Anthroposophie. Dabei ist es eine solche Brille, die hilft, die Dinge in der Welt miteinander verbunden zu sehen; genau das, was meist fehlt in der von isolierender Analyse geprägten Wissenschaft und Ökonomie, die durch die vom Menschen definierte Zweckbrille schauen und sich für Kontexte nicht mehr interessieren. Das vereinfacht das Handeln, und wenn alle den gleichen Wert – Renditen – teilen, verschwindet zunehmend die Vielfalt an Optionen, Ideen, Kulturen: Das Handeln wird alternativlos. Das erleben wir z. B. bei der konventionellen Massentierhaltung, bis hin zum Bauern, der hier zum Industriearbeiter wird.

 

Doch geht es im Biodynamischen eben auch um Souveränität und Selbstbestimmung, um Entwicklung aus den eigenen Mitteln, dem eigenen Standort heraus, und das gilt für Mensch wie für den Betrieb. Nehmen wir uns die Freiheit, biodynamisch immer wieder mal neu zu entdecken, ja zu erfinden, und so unseren Beitrag zu leisten zu dem, woran viele Menschen mit uns arbeiten: an der Entwicklung der Welt für alle, für Mensch und Natur.

 

Ihr