Ernährung

Erleben des Kosmos über die Nahrung

Das Schmecken vermittelt Interesse und Austausch mit der Welt

von Dr. Petra Kühne

 

Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie das Essen wäre, wenn Sie nichts schmecken würden? Vielleicht hat der eine oder andere Leser dies einmal bei einer starken Erkältung oder anderer Erkrankung erlebt. Die Folge ist, dass das Essen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr schmeckt, der Appetit geht zurück, man mag nicht mehr essen. Der Geschmackssinn und seine Anregung sind also sehr wichtig für die Ernährung und die Nahrungsaufnahme. Mit dem Geschmack verbinden wir uns mit der Nahrung und nehmen sie gern zu uns. Der obere Sinnesmensch, der bereitet mit dem Schmecken eine Voraussetzung für den Stoffwechselmenschen, der die Nahrung verdauen und zu den inneren Organen weiterleiten soll. Das Schmecken verbindet somit den oberen und unteren Menschen.

Der Geschmackssinn

Der Geschmackssinn ist ein Nahsinn, das heißt, wir schmecken erst, wenn sich das Objekt nah an unseren Geschmacksknospen befindet. Der Sehsinn zum Beispiel ist ein Fernsinn, wir brauchen die Objekte nicht direkt vor dem Auge haben, sondern können auch in der Ferne sehen, sofern wir nicht eingeschränkt sehfähig sind. Noch etwas kommt beim Geschmack hinzu. Es wird nur Flüssiges geschmeckt. Beißen wir auf ein Knäckebrot, so nimmt der Tastsinn die Konsistenz wahr, der Hörsinn die entstehenden Knackgeräusche, der Lebenssinn ein Wohlgefühl und der Wärmesinn die Temperatur. Ein Geschmack wird erst empfunden, wenn der Speichel das Knäckebrot benetzt oder einspeichelt. Daher setzt die Geschmackswahrnehmung einen Kontakt mit dem Flüssigen des Menschen voraus. Außenwelt (Lebensmittel) verbindet sich mit der Innenwelt (Speichel). Neben dem Schmecken tritt immer auch das Riechen auf, ein weiterer Sinn, dessen Wahrnehmung vielfach nicht vom Geschmack zu trennen ist. Es sind fast immer mehrere Sinne bei einer Wahrnehmung beteiligt.

Geschmack ist immer mit dem flüssigen Element verbunden. Je nach Konsistenz des Lebensmittels und seiner Fähigkeit sich zu verflüssigen, kann daher ein Geschmack schneller oder langsamer, intensiv oder schwach wahrgenommen werden. Der Geschmackssinn ist somit mit den Lebenskräften des Menschen (Ätherleib) verbunden, die in Flüssigkeiten wirksam werden. Der Geruch erfolgt über die Luft, dies ist das Element des Seelenleibes (Astralkörpers). Im Aroma wirken beide zusammen. Nun gibt es nicht nur wasserlösliche Flüssigkeiten, sondern auch fettlösliche. Diese werden jedoch anders wahrgenommen. Fettige Lebensmittel wirken stärker auf die Konsistenzwahrnehmung, in dem sie den Gaumen mit einer dünnen Fettschicht auskleiden. Hier ist zuerst der Tastsinn gefragt. Der Fettfilm verzögert die geschmackliche Wahrnehmung, denn der Speichel muss nun erst das Fett emulgieren, das heißt, wasserlöslich machen. Dies ist teilweise möglich, denn unter der Zunge wird ein Enzym gebildet, die Zungengrund-Lipase, die Fett angreift. Sie ist zwar in erster Linie für Milchfett angelegt, kann bei längerer Einwirkung aber auch mit anderen Fetten umgehen. Wer schon einmal das sogenannte Ölziehen, eine Entgiftungstherapie aus der Ayurveda-Medizin gemacht hat, wird wissen, wie sich das Öl im Mund verändert. Beim Ölziehen wird eine Menge von etwa einem Esslöffel Öl in den Mund genommen und 10 Minuten „gekaut“, d.h. im Mund hin und her bewegt. Nach dieser Zeit wird das Öl ausgespuckt. Es ist weißlich durch die Emulgierung geworden und soll Schadstoffe aus der Mundhöhle entfernen.

Die Geschmacksknospen

Die Sinnesorgane des Geschmacks werden Knospen genannt, da sie zwiebelartig in der Mundhöhle liegen. Drei Viertel der Geschmacksknospen befinden sich auf der Zunge. Der Rest verteilt sich im Gaumen, Rachen und am Beginn der Speiseröhre. Die Geschmacksknospe ist durchzogen von oben mit kleinen Kanälen (Mikrovilli), durch die die in der Flüssigkeit und dem Speichel gelösten Nahrungsbestandteile dringen. Von unten her ragen die Sinneszellen, die zur Wahrnehmung fähig sind. An sie greifen Geschmacksfasern, Nervenstrukturen an, die die Wahrnehmung zum Gehirn weiterleiten. Der Mensch verfügt ungefähr über 10.000 Geschmacksknospen, die wiederum in Papillen gebündelt sind.

Geschmacksarten und Wesensglieder

Lange unterschied man nur vier Grundgeschmacksarten: süß, sauer, bitter und salzig. Seit einigen Jahren rechnet man auch noch umami hinzu, eine Geschmacksart, mit der wir eiweißartigen Geschmack, vor allem Glutamat schmecken können. Dieser Begriff stammt aus der japanischen Sprache. Bei Tieren hat man inzwischen auch eine Art von Geschmacksrezeptor entdeckt, der Fett wahrnehmen soll. Dies ist aber noch nicht für den Menschen bestätigt. Glaubte man früher, dass die einzelnen Geschmacksarten nur bestimmten Stellen wahrgenommen werden können, so weiß man heute, dass es Schwerpunkte der Wahrnehmung gibt: süß an der Zungenspitze und bitter am Zungengrund, salzig und sauer am Zungenrand. Umami wird auf der Zunge geschmeckt. Aber auch an anderen Orten der Mundhöhle können die jeweiligen Geschmacksarten wahrgenommen werden, nur nicht so intensiv.

 

Der süße Geschmack hat eine Beziehung zur Wärme und zum Ich des Menschen, der saure zum Seelisch-Astralen. Er zieht erst zusammen, um sich dann nach außen zu verbreiten. Der salzige Geschmack, der bei mineralischer, kristalliner Substanz wie Kochsalz auftritt, weist eine Beziehung zum Festen, Substanziellen des Menschen auf. Der bittere Geschmack schließlich ruft den Willen (oder Widerwillen) hervor, bevor er entspannt. Dies wird als Komponente zum Lebensleib (Ätherleib) angesehen. Während das Süße sympathisch aufgenommen wird, entsteht beim Bitteren oft eine Ablehnung. Der bewusste Verzehr von bitteren Lebensmitteln erfordert mehr Willen als von Süßem, das wie von außen hineinflutet. Dafür regt der bittere Geschmack auch mehr die Eigenkräfte, Gegenkräfte zur Überwindung an.

 

Alle vier Geschmacksarten sprechen die menschlichen Wesenglieder an, wodurch es zu einer inneren Aktivität kommt. Je nach bevorzugter Geschmacksrichtung gibt es Schwerpunkte. So wird der Mensch mit der Vorliebe für Süßes stärker sein Ich ansprechen, derjenige mit pikanter, salziger Geschmacksbevorzugung eher die Physis und der Liebhaber sauerer Kost den Astralleib. Der Süßeliebhaber hat nun nicht etwa ein starkes Ich, das nach dieser Geschmacksnuancierung verlangt, sondern eher ein solches, dass von außen angeregt werden will, weil es nicht die Stärke hat. Solche Beziehungen kann man auch diätetisch nutzen.

Die Geschmacksfähigkeit

Der Mensch wird mit der Fähigkeit der Geschmackswahrnehmung geboren. Erste Geschmacksübungen macht bereits das ungeborene Kind, indem es Fruchtwasser schluckt und dessen Geschmack wahrnimmt. Mit wenigen Wochen sind verschiedene Geschmacksfähigkeiten vorhanden. Die Geschmacksstoffe aus der Nahrung der Mutter gelangen ins Fruchtwasser. Dabei zeigt das ungeborene Kind Reaktionen auf die Art des Geschmackseindrucks. So wurde der süße Geschmack bevorzugt. Bitteres löste Abwehr aus. Auch nach der Geburt dominiert die Vorliebe für den süßen Geschmack. Obwohl die Geschmacksfähigkeit angeboren ist, muss die Geschmacksleistung trainiert werden. Die Sensibilität der Geschmackserkennung schult sich zum einen durch die alltäglichen Erfahrungen. Feinheiten können bis ins Erwachsenenalter durch sensorische Schulung erreicht werden.

Reiz und Reaktion

Eine Grundaussage der anthroposophischen Menschenkunde ist es, dass jegliches Fremde wie ein Lebensmittel, aber auch Luft, Licht oder Wärme einem Umwandlungsprozess im menschlichen Organismus untererzogen werden, damit sie eigene Materie, Kraft oder Energie werden. Daher muss auch bei Geschmackswahrnehmungen immer die Körperreaktion bedacht werden. Dies ist zum einen der Speichelfluss, zum anderen eine Art „Gegengeschmack“. Beim Sehsinn spricht man vom „Nachbild“. Jeder Sinn aber reagiert mit einem „Nachbild“ auf die Wahrnehmung des äußeren Reizes. So erlebt man beim Schmecken z. B. nach Süßem einen leicht säuerlichen Geschmack im Mund. Beim Geschmack „verschmilzt“ die Außenwelt der Nahrung mit der Innenwelt des Menschen. Der Mensch verleibt sich das Äußere ein, das dadurch seinen Eigencharakter verliert. Diese Einverleibung beginnt im Mund, begleitet von dem Geschmack. Er ist zusammen mit dem Lebenssinn (Organsinn) so angelegt, die „Qualität“ der Speisen im Hinblick auf den eigenen Bedarf wahrzunehmen. Jede Geschmackswahrnehmung trägt einen individuell getönten Charakter, der sich dann auch im Geschmacksurteil zeigt. Allerdings ist der Geschmack sehr häufig korrumpiert durch die Art der Nahrung, durch synthetische Aromen, Süßstoffe, ein Zuviel an „Sensationen“ oder einen Mangel an relevantem Geschmacksstoffen. Man erlebt, wie sensibel die Geschmacksfähigkeit nach verminderter Nahrungsaufnahme wie z. B. nach einem Fasten oder einer Krankheit wird. Zurückgekehrt zur alten, üblichen Nahrung verliert sich diese Feinheit wieder. Der Geschmack wird Helfer zur Befriedigung der Appetite und Begierden anstelle des tatsächlichen Bedarfs des Menschen. Der Astralleib wirkt zu stark ein und übertönt die Ich-Organisation und den Ätherleib.

Geschmackstests

Es gibt eine Vielzahl verschiedenster Geschmackstests von den sensorischen Verfahren der qualitativen und quantitativen Auswertung bis hin zu Beliebtheitstests, die eher die gefühlsmäßige Einstellung zu einem Lebensmittel erfassen. Üblicherweise wird der Geschmackseindruck frei assoziativ oder in vorgegebenen Begriffen beschrieben. Es gibt auch Ansätze, wo nonverbale Ausdrucksformen wie Zeichnungen gewählt werden. Neuere Verfahren beruhen auf vertiefter Wahrnehmung, die sowohl zu Forschungszwecken als auch zur Verbraucherbildung angewendet werden. Im Arbeitskreis für Ernährungsforschung werden solche den eigenen Körper wahrnehmenden Verkostungen durchgeführt.

Körperwahrnehmende Verkostung

Diese spezielle Verkostung basiert darauf, dass die Sinneseindrücke des Lebensmittels wie Aussehen, Riechen, Schmecken, Tasten, Wärmeerleben zum einen intensiviert werden können, zum anderen eine Fortsetzung im Körper erfahren. Üblicherweise beobachtet man die Eindrücke an sich nicht so genau, denn es bedarf der Ruhe, Achtsamkeit und Zeit, um länger bei solchen „inneren“ Wahrnehmungen zu verweilen. Bei solcher Wahrnehmung lenkt man die Aufmerksamkeit nach der Aufnahme einer kleinen Menge eines Lebensmittels zunächst auf die Sinneseindrücke im Mund und beschreibt sie genau. Dies stärkt die Konzentration und das wache Ich-Bewusstsein. Nach dem Schlucken achtet man darauf, was weiter im Körper geschieht. Mit einer gewissen Sensibilität, Fähigkeit und Vertrauen in seine eigenen Wahrnehmungen, kann man eine Art Bewegung, Temperatur (Wärme bzw. Kälte) oder auch Gleichgewichtsvorgänge spüren, die sich im Körper verbreiten. Diese Fortsetzung der Sinneseindrücke vom Mund sind Reaktionen des Körpers. Sie differieren von Mensch zu Mensch, da es sich um Körperreaktionen handelt und jeder Mensch individuell ist. Meist sind sie ähnlich, jedoch nicht gleich. Da auch für solche Erlebnisse die Begriffe fehlen – ähnlich wie bei der Sensorik – hat es sich bewährt, mehrere klare und sinnbildliche Fragen zu beantworten. Diese Fortsetzung des Geschmacks in der Körperreaktion kann Auskunft über das Anregungspotential von Nahrungsmittel für den jeweiligen Menschen geben.

 

Geschmack verbindet uns mit dem Kosmos – durch die Sonnenkräfte wachsen die Pflanzen. Wir entbinden den Kosmos beim Essen wieder aus der Nahrung durch die Verdauung. Mit dem Geschmack, der erst entsteht, wenn wir uns mit unserer Körperflüssigkeit das Lebensmittel erfassen, gehen wir eine substanzielle Verbindung mit der Welt ein. Ohne Geschmacksempfinden verlieren wir das Interesse an der Welt und werden appetitlos. So zeigt uns der bewusste Geschmackseindruck – auch in seiner erweiterten Wahrnehmung im Körper – wie und mit welcher Welt wir umgehen und uns davon ernähren.

Autorennotiz

Dr. Petra Kühne, Arbeitskreis für Ernährungsforschung e.V., Niddastr. 14, D-61118 Bad Vilbel, www.ak-ernaehrung.de