Feld & Stall

Nachhaltig durch mehr Weidetiere und weniger Getreidefresser

Ein globales Szenario für graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion

von Christian Schader, Dr. Florian Leiber, Adrian Mueller, Dr. Anett Spengler Neff

Die Vereinten Nationen rechnen mit einer Zunahme der Weltbevölkerung auf 9,7 Milliarden Menschen bis 2050. Aufgrund des prognostizierten Wirtschaftswachstums wird die durchschnittliche Kaufkraft steigen, was sich im Lebensmittelbereich unter anderem in einer Zunahme des Konsums tiersicher Produkte niederschlagen könnte. Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF) ist derzeit weltweit eines der wichtigsten Produktionssysteme für tierische Lebensmittel. Etwa Zwei Drittel der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche sind Grasland. Ein großer Teil dieser Fläche kann aus klimatischen Gründen und wegen dafür ungeeigneter Böden nicht für Ackerbau genutzt werden. Deshalb wird Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion oft als wesentlicher Faktor für nachhaltige Ernährungssysteme angesehen.

Zugleich wird die Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion aber auch sehr kontrovers diskutiert. Vor allem hinsichtlich der dramatischen globalen Herausforderung des Klimawandels steht sie unter Kritik, da ihre Treibhausgaseffizienz pro produziertem Nährstoff im Vergleich zu anderen tierischen Produktionssystemen gering ist. Ziel dieses Artikels ist eine ausgewogene Darstellung der Rolle von graslandbasierter Milch- und Fleischproduktion für nachhaltige Ernährungssysteme unter Berücksichtigung der globalen Herausforderungen von Treibhausgasreduktion und Welternährung. Zudem möchten wir aus dem Zielkonflikt, der zwischen beiden Herausforderungen besteht, einige Schlussfolgerungen für den Ökolandbau ableiten.

Abb. 1: Nahrungsprotein: Treibhausgas je KG Produkt

Abb. 2: Weniger Getreidemast – Weniger Bedarf an Ackerland wenn kein Getreide gefüttert wird

Klimarelevanz von graslandbasierter Milch- und Fleischproduktion

Bei der Beurteilung der Klimarelevanz von Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion gilt es zunächst zwei grundlegende Punkte zu beachten: Erstens, die besondere Fähigkeit der Wiederkäuer, Raufutter zu verdauen und dieses in eine für uns Menschen verwertbare Nahrung, d. h. Milch und Fleisch, umzuwandeln, was aber unvermeidbar mit der Produktion von Methan im Verdauungsprozess der Wiederkäuer einhergeht. Zweitens, die Eigenschaft des Graslands, größere Mengen Kohlenstoff im Boden zu binden und damit temporär klimaunschädlich zu machen.

Treibhausgase entstehen bei graslandbasierter Milch- und Fleischproduktion sowie allen anderen Tierhaltungssystemen aus der Verdauung der Wiederkäuer, bei der Futterproduktion und dem Futtertransport, bei Gülle- und Mistmanagement und Gebäuden. Das Methan aus der Verdauung der Wiederkäuer ist in der Regel die mengenmäßig wichtigste Quelle von Treibhausgasen bei Systemen der graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion und übersteigt sogar die positive Wirkung der Bodenkohlenstoffsequestrierung, weshalb bei der alleinigen Betrachtung der Klimawirkung wiederkäuerbasierte Systeme oft schlechter abschneiden als Geflügel, Schweinefleisch und Eier (Abbildung 1).

Zwar können durch eine verbesserte Umwelteffizienz innerhalb der Produktkategorien Verbesserungen erzielt werden. Es sind jedoch in der Regel eher die intensiveren, kraftfutterbasierten Rindfleisch-Produktionsverfahren, die bei einer Treibhausgasbilanz positiv abschneiden.

Ein wesentlicher Faktor für die Treibhausgaseffizienz von Milch ist die Milchleistung der Kühe. Diese ist bei den inten­siven Feedlots, die man beispielsweise aus den USA kennt, wesentlich besser als bei den meisten Graslandsystemen. Durch Kraftfuttergaben sind höhere Zuwachsraten und/oder Milchleistungen zu erzielen. Zugleich geht Kraftfutter mit eher weniger verdauungsbedingten Methanemissionen einher als Raufutter. Dies führt in den meisten Regionen und Produktionssystemen zu einer höheren Treibhausgaseffizienz intensiver Systeme und illustriert, weshalb extensivere graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion im Durchschnitt zu relativ höheren Treibhausgasemissionen führt. Allerdings ist die Spannbreite der Emissionen groß (Poore und Nemecek 2018). So kann beispielsweise die Treibhausgaseffizienz von silvo-pastoralen Systemen an die Treibhausgaseffizienz von kraftfutterbasierten Systemen heranreichen (Broom 2021).

Eine globale Perspektive auf das Ernährungssystem

Betrachtet man wie oben nur aufs Produkt bezogen und fosucciert allein auf Klimagasemissionen, vernachlässigt das die Tatsache, dass Wiederkäuer Grasland als Nahrungsquelle für Menschen nutzbar machen und somit eine besondere Rolle in Ernährungssystemen spielen. Dieser Nachhaltigkeitsaspekt ist nicht relevant für die Betrachtung der Treibhausgasemissionen. Um adäquate Lösungsstrategien für nachhaltige Ernährung zu identifizieren, ist es aber notwendig, eine Reihe verschiedener Nachhaltigkeitsindikatoren zu betrachten, und dabei auch nicht nur produktbezogene Werte pro Kilogramm, sondern auch das Ernährungssystem insgesamt einzubeziehen. Das heißt, zum einen, dass nicht nur Treibhausgasemissionen, sondern z. B. auch Aspekte der Nahrungs-Futtermittelkonkurrenz in eine Nachhaltigkeitsbetrachtung einfließen müssen und zum anderen, dass sowohl Produktion als auch Konsum angeschaut werden müssen.

Weiteres zum Thema

 in Lebendige Erde

  • LE 6-2020: Klimakiller oder Klimaschützer? Warum Kühe auf die Weide gehören. (Adrian Till Meyer)
  • LE 6-2020: Nur mit Fleisch: Grünland nutzen und erhalten. Was folgt daraus für eine Planeten-Diät? (Ulrich Mück)
  • LE 5-2021: Weide hat Potenzial. Handlungsempfehlungen aus einem Forschungsprojekt (Corinna Nieland et al.)

Infos beim FiBL

Dies haben wir in einer Studie zusammen mit der Welternährungsorganisation (FAO) getan (Abbildung 3). Dabei verglichen wir die heutige Situation (blau) mit zwei modellierten Zukunftsszenarien Das erste Szenario (rot) zeigt die Prognosen der FAO und ist ein Szenario, das die heutigen Entwicklungen ohne große Eingriffe fortschreibt. Das zweite Szenario (grün) ist ein Extremszenario, das davon ausgeht, dass, abgesehen von wenigen Ausnahmen, weltweit kein Ackerland mehr für Futtermittelproduktion verwendet wird, sondern nur noch für die direkte menschliche Ernährung. In beiden Szenarien muss die gleiche Menge an Energie für die menschlichen Ernährung bereitgestellt werden (Abbildung 3).

Die Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass alle Umweltwirkungen im grünen Szenario, verglichen mit dem roten Szenario wesentlich verbessert werden könnten und der Menschheit die gleiche Menge an Energie und Proteinen zur Verfügung stünde. Allerdings käme nur noch ein Drittel des heutigen Anteils der Energie und ein Viertel des Proteins aus Tierhaltungssystemen.

Bei den Tierhaltungssystemen wäre in diesem Szenario die Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion dominant, weil sie nicht in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung steht. Wiederkäuer würden mit Gras, Schweine und Hühner nicht mehr mit Getreide, sondern nur noch mit Nebenprodukten und Abfällen, die nicht für die menschliche Ernährung geeignet sind, gefüttert. Dementsprechend würden Geflügel- und Schweineproduktion deutlich zurückgehen. Wichtig ist es dabei, nochmals zu betonen, dass diese Resultate nun eine Gesamtsicht aufs Ernährungssystem geben und keine Beurteilung pro-Kilo-Produkt sind. Die relativ niedrigen THG-Emissionen im grünen Szenario im Vergleich zum roten und auch blauen (etwa gleichauf) resultieren daraus, dass die ganze ackerlandbasierte Futtermittelproduktion für die Monogastrier wegfällt und die Anzahl Tiere, insbesondere der Monogastrier, so weit sinkt, dass trotz tendenziell höherer Emissionen pro Kilogramm Produkt die Totalemissionen niedriger sind als im Referenzszenario.

In Anbetracht des aktuell weltweit steigenden Konsums von Schweine- und Geflügelfleisch, insbesondere in Entwicklungsländern, erscheint ein solches Szenario wenig realistisch. Derartige Extremszenarien sind aber wichtig, um grundlegende Strategien für eine umfassend nachhaltige Landwirtschaft und Tierhaltung zu definieren und zu illustrieren, wie verschiedene Hebel zusammenspielen, bzw. welche Rolle verschiedene Indikatoren spielen können. Darüber hinaus zeigen aktuelle methodische Entwicklungen bei der Treibhausgasbilanzierung (GWP*) (Lynch et al. 2020), dass biogene Methanemissionen aus Wiederkäuersystemen weniger stark gewichtet werden sollten, als dies heute getan wird. Dies würde die Nachteile der GMF gegenüber mais- und kraftfutterbasierten Systemen im Klimabereich reduzieren und deshalb deren Nachhaltigkeit weiter erhöhen. Eine abschließende Beurteilung dieser Thematik bleibt abzuwarten.

Klimaneutral oder standortgerecht? Welches Leitbild für den Ökolandbau?

Klimaneutralität ist derzeit in aller Munde. Was für die industrielle Produktion und den Dienstleistungssektor unzweifelhaft angestrebt werden sollte, muss für die Landwirtschaft, wie oben gezeigt, als Leitbild in Frage gestellt werden. Klimaneutrale Landwirtschaft ist mit einer graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion nicht vereinbar. Auch für die Biobewegung stellt sich daher die Frage, welche Position sie zur graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion und zur tierischen Produktion im Allgemeinen einnehmen möchte.

Abb. 3: Ohne Getreidemast: so ändert sich die Tierhaltung

Angesichts der im Durchschnitt geringeren Flächenerträge im Öolandbau (Seufert et al. 2012), lässt sich der Anspruch der Biobewegung, ein Rollenmodell für die globale Landwirtschaft in Sachen Nachhaltigkeit zu sein, nur mit einem klaren Bekenntnis zur Reduktion an tierischen Produkten in der menschlichen Ernährung und zu deutlich geringerer Verschwendung von Nahrungsmitteln vertreten. Das umfasst auch, dass nachhaltige Landwirtschaft nicht ohne den Bezug zum Konsum gedacht werden kann (Muller et al. 2017). Hierbei ist vor allem auf die Reduktion von Fleisch aus kraftfutterbasierter Schweine- und Geflügelhaltung und die Reduktion des Kraftfuttereinsatzes bei den Wiederkäuern zu setzen. Auf die Nutzung der weltweiten Graslandflächen für die menschliche Ernährung zu verzichten, ist für eine globale Biobewegung ungeeignet.

Umso mehr muss der Ökolandbau ein Leitbild für die Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion entwickeln, das den globalen Herausforderungen gerecht wird. Wir schlagen vor, anstatt des Ziels der „Klimaneutralität“ eine „standortangepasste Bewirtschaftung des Graslandes“ vor. Solch eine Bewirtschaftung muss neben der möglichst weiten Reduktion der Treibhausgase und des Primärenergieverbrauchs, Biodiversitätsförderung, Bodenschutz, ausgeglichene Nährstoffhaushauhalte und das Erzielen einer standortgerechten Produktivität als Ziele enthalten. Ein Massnahmenpaket könnte sich ausfolgenden Eckpunkten zusammensetzen:

Optimiertes Grasland-Flächenmanagement mit standortspezifisch optimierter Schnitt- und Weideintensität, um angemessene Flächenerträge zu erzielen und dabei die oben genannten Umweltziele zu berücksichtigen. Hier gibt es erheblichen Forschungs- und Umsetzungsbedarf, weil Graslandmanagement von Wissenschaftlern, Politik und PraktikerInnen oft als weniger wichtig angesehen wird als Acker- und Fruchtfolgemanagement.

Minimieren des Anteils an (Kraft-)Futter von Ackerland, das in Konkurrenz zur direkten menschlichen Ernährung steht;

Bevorzugen der Koppelproduktion von Milch und Fleisch, wo dies möglich ist. Milchkühe produzieren im Vergleich zu Mutterkühen etwa das Dreifache an verdaulichem Protein pro kg Futter bzw. pro ha bzw. pro Kuh;

Intensivieren der Rinderzüchtung im Hinblick auf die Verwertung von graslandbasiertem Futter;

Steigern der Nutzungsdauer von Milchkühen, um Treibhausgasemissionen während des Heranwachsens durch verbesserte Tiergesundheit zu mindern.

Fazit

Um die Welternährung zu sichern, ist eine Reduktion des Anteils tierischer Nahrungsmittel in Ländern mit derzeitig hohem Konsum nötig. Trotz wesentlich höherer Treibhausgasemissionen pro erzeugter Proteinmenge, hat eine Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion einen wesentlichen Stellenwert in nachhaltigen Ernährungssystemen, weil es die riesigen Graslandflächen, die global verfügbar sind, für die menschliche Ernährung nutzbar macht. Demgegenüber ist eine intensive, kraftfutterbasierte Tierproduktion in einem solchen System problematisch. Sie ist zwar produktbezogen treibhausgaseffizienter, aber sie verschärft den Zielkonflikt zwischen Nahrungsmittelverfügbarkeit und Treibhausgasemissionen.

Abb. 4: Weniger Fleisch, mehr Pflanzliches

Strategien für eine nachhaltige, das heißt, standortangepasste Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion müssen das gesamte Ernährungssystem berücksichtigen. Das bedeutet, dass das Grasland nicht losgelöst von der Nutzung des Ackerlandes und der menschlichen Ernährung betrachtet werden kann. Die Strategie, auf eine standortangepasste GMF zu setzen, die mehrere Ziele gleichzeitig berücksichtigt, passt besser zum Ökolandbau, als isoliert die Ziele Herdenproduktivität oder Klimaneutralität zu verfolgen.

Abb. 5: Mehr/weniger Getreidefutter: Umweltwirkungen

Autoren

Christian Schader, Dr. Florian Leiber, Adrian Mueller, Dr. Anett Spengler Neff

(alle: FiBL, Schweiz)

Kontakt: christian.schader(at)fibl.org

„Graslandbasierte Milch- und Fleisch­produktion haben einen wesentlichen Stellenwert in nachhaltigen Ernährungssystemen.“

Literatur

  • Lynch, J., Cain, M., Pierrehumbert, R., Allen, M. (2020) Demonstrating GWP*: a means of reporting warming-equivalent emissions that captures the contrasting impacts of short-and long-lived climate pollutants. Environmental Research Letters 15, 044023.
  • Muller, A., Schader, C., Scialabba, N. E.-H., Brüggemann, J., Isensee, A., Erb, K.-H., Smith, P., Klocke, P., Leiber, F., Stolze, M., Niggli, U. (2017) Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture. Nature communications 8, 1290.
  • Poore, J., Nemecek, T. (2018) Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers. Science 360, 987–992.
  • Seufert, V., Ramankutty, N., Foley, J. A. (2012) Comparing the yields of organic and conventional agriculture. Nature 485, 229–232.
  • Schader, C., Muller, A., Scialabba, N. E.-H., Hecht, J., Isensee, A., Erb, K.-H., Smith, P., Makkar, H. P. S., Klocke, P., Leiber, F., Schwegler, P., Stolze, M., Niggli, U. (2015) Impacts of feeding less food-competing feedstuffs to livestock on global food system sustainability. Journal of The Royal Society Interface 12, 20150891.