Feld & Stall

Kuhgebundene Kälberaufzucht

Praxiserfahrungen zum Trennen und Absetzen sowie zur stallbaulichen Umsetzung

von Silvia Ivemeyer, Ruth Schmidberger

Kuhgebundene Aufzucht kann Vorteile der Mutterkuhhaltung und der Milchviehhaltung miteinander verbinden: Kälber und Kühe können mehr natürliches Verhalten ausleben und gleichzeitig ist eine kombinierte Milch- und Fleischnutzung der Rinderherde möglich. Vor der Umstellung auf kuhgebundene Kälberaufzucht stellen sich aber auf vielen Betrieben zwei Fragen: Wie kann ich kuhgebundene Kälberaufzucht in meinem Stall realisieren? Und: welche Möglichkeiten gibt es, das Trennen und Absetzen möglichst schonend für Kuh und Kalb zu gestalten? Denn langanhaltendes, lautstarkes Rufen von Kälbern und Kühen nach der Trennung spiegelt die Beeinträchtigung der Tiere wider und belastet auch die Tierhalter und Anwohnerinnen.

Basierend auf einer Befragung von 104 Landwirten mit kuhgebundener Aufzucht aus den sechs europäischen Ländern Frankreich, Deutschland, Italien, Schweden, Schweiz und Österreich im Rahmen des Projekts „ProYoungStock“, werden Praxiserfahrungen und Lösungsansätze vorgestellt. Die Betriebe praktizieren seit mindestens einem Jahr ein System der kuhgebundenen Kälberaufzucht, 21 Betriebe befinden sich in Deutschland.

Systeme kuhgebundener Kälberaufzucht und stallbauliche Lösungen

Der Begriff kuhgebundene Kälberaufzucht ist die Zusammenfassung verschiedener Aufzuchtsysteme, in denen ein Kontakt zwischen Kuh und Kalb über die Kolostrumphase hinaus ermöglicht wird, idealerweise während der mindestens dreimonatigen Milchtränkeperiode. Das Kontakttier für das Kalb ist entweder die Mutter (muttergebundene Aufzucht) oder eine Amme (ammengebundene Aufzucht). In der Praxis sind auch häufig Mischformen dieser Aufzuchtsysteme üblich. Die Kälber können in einer ersten Phase an der Mutter gehalten, und dann für eine zweite Phase an Ammen gesäugt werden, oder Kühe ziehen neben den eigenen Kälbern auch fremde mit auf.

Auch die Kontaktzeit pro Tag zwischen Kuh und Kalb kann verschieden sein: Während in Betrieben mit einem permanenten Kontakt zwischen Kalb und Kuh die Kälber im Laufstall oder auf der Weide in der Milchviehherde mitlaufen beziehungsweise Ammen und Kälber permanent zusammen in einem separaten Stall(teil) gehalten werden, werden die Kälber in restriktiven Aufzuchtsystemen für das Säugen zweimal am Tag mit der Mutter oder einer Amme für jeweils ca. eine halbe bis zwei Stunden zusammengebracht. Als weitere Variante gibt es den Halbtagskontakt, in dem Kälber und Kühe entweder tags oder nachts Kontakt zueinander haben.

In restriktiven Systemen, in denen Kuh und Kalb i. d. R. zweimal pro Tag Kontakt haben, benötigt man einen „Begegnungsbereich“. Hierfür können in vielen Fällen bestehende Flächen im Stall genutzt werden: den Laufhof der Kühe oder einen Laufbereich zwischen Kuhstall und Kälberstall oder, falls genügend Platz, im benachbarten Stall oder Auslauf der Kälber. Der Begegnungsbereich sollte absperrbar sein. Praktisch ist zudem, wenn der Begegnungsbereich einen kurzen Weg für Kälber und/oder Kühe zueinander und für die Kühe zum Melken bietet.

Das permanente System kann entweder in der Herde der laktierenden Kühe (Aufzucht an Müttern) oder in einem abgetrennten Stallteil, z. B. durch Abtrennung innerhalb des Liegeboxenstalls oder der freien Liegefläche, oder in Stallabteilen auf der anderen Futtertischseite (Mütter oder Ammen) oder sogar in einem separaten Stall (Ammen, die keinen Zugang zum Melken brauchen) umgesetzt werden. Wenn die Kälber im selben Stallbereich sind wie die Laktierenden, ist es wichtig zu beachten, dass der Stall kälbersicher ist: Gülleabwurfschächte, Verletzungsgefahr z. B. am Fressgitter, Entweichen der Kälber auf den Futtertisch der Kühe etc. gilt es zu vermeiden. Spaltenböden für Kühe entsprechen zudem oft nicht der gesetzlich geforderten Spaltenweite für Kälber, die eine maximale Schlitzweite von 2,5 cm und eine Auftrittsbreite von 8 cm fordert. Wenn im Liegeboxenstall kein Kälberschlupf vorhanden ist, muss entweder ein großzügiger Kopfbereich, oder deutlich mehr Boxen als Kühe vorhanden sein.

Ein Rückzugsbereich der Kälber (Kälberschlupf) ist in allen permanenten Systemen sehr zu empfehlen. Hier können die Kälber ruhen und separat, mit angepassten Fressgittern, mit Festfutter wie etwa hochwertigem, schmackhaften Heu gefüttert werden. Idealerweise sind die Zugänge zum Kälberschlupf verschließbar. Ein solcher Kälberschlupf bietet neben einer angepassten Fütterung auch die Möglichkeit, die Kontaktzeit beim Trennen und Absetzen graduell zu reduzieren.

In Betrieben mit Melkrobotern werden die Kälber häufig an Ammen aufgezogen, weil diese Kühe keinen Zugang zum Roboter benötigen. Aber auch restriktive Systeme, in denen die Mütter für eine begrenzte Zeit über Selektionstore Zugang zum Kontaktbereich oder zum Kälberbereich haben, sind realisierbar.

Weitere Infos

Projekt ProYoungStock: proyoungstock.net

IG kuhgebundene Kälberaufzucht: ig-kalbundkuh.de

Betriebe mit kuhgebundener Aufzucht in Europa

Anders als in Deutschland, der Schweiz und Österreich, wo Betriebe mit kuhgebundener Aufzucht mehrheitlich biozertifiziert sind, waren in Frankreich und Schweden ähnlich viele konventionelle wie Biobetriebe mit kuhgebundener Aufzucht zu finden. Während die kuhgebundene Kälberaufzucht in den meisten Ländern erst in den letzten zehn bis zwanzig Jahren auf den Betrieben Einzug gehalten hat, betreiben überwiegend konventionell wirtschaftende Betriebe auf Sizilien eine kuhgebundene Kälberaufzuchtsystem „schon immer“, da dies dort ein traditionelles Verfahren für lokale Milchviehrassen wie die Modicana ist.

Die Kuhzahl lag auf den interviewten Betrieben bei durchschnittlich 68 Milchkühen, dabei hatte der kleinste Betrieb sieben und der größte 500 Milchkühe. In den meisten Ländern entsprach der Herdendurchschnitt der landestypischen Herdengröße. Die Säugedauer an der Mutter oder Amme lag im Mittel bei drei Monaten, variierte aber stark. Der überwiegende Teil der Betriebe (57%) zog die Kälber an der Mutter auf, 13% an Ammen und 30% hatten eine Mischform aus Müttern und Ammen. 26 der 104 Betriebe ließen die Kälber nur für einen Teil der Tränkezeit an der Kuh saugen und setzen dann die Aufzucht am Eimer oder am Tränkeautomat fort.

Erfahrungen zu Absetzen und Trennen

Eine wesentliche Herausforderung bei der kuhgebundenen Aufzucht ist ein schonendes Trennen von Kuh und Kalb und Absetzen des Kalbs von der Milch. Zu Problemen bei Trennen und Absetzen gaben rund dreiviertel der Betriebe an, dass ihre Kühe für mehrere Tage nach ihrem Kalb rufen. Auf circa der Hälfte der Betriebe rufen auch die Kälber über mehrere Tage. Eine gestörte Milchabgabe ihrer Kühe beobachteten nur 16% der Betriebe im Zusammenhang mit der Trennung von ihrem Kalb. Kein Betrieb hat angegeben, dass die Kühe durch die Trennung zu wenig Futter aufnehmen. Ein Gewichtsverlust des Kalbes nach der Trennung wurde bei 9% der Betriebe beobachtet.

Bezüglich der Dauer der Säugezeit vor der Trennung fällt auf, dass der Anteil rufender Kühe beim frühen Trennen innerhalb der ersten vier Lebenswochen mit 94% deutlich höher lag als beim späteren Trennen (Trennungszeitpunkt 2. bis 3. Lebensmonat: 68%, über 3 Monate: 71%). Beim Blöken der Kälber bestand hingegen kaum ein Unterschied zwischen früherem und späterem Trennen. Eine mögliche Erklärung dafür kann sein, dass die Kälber bei früherer Trennung nur um den Kontakt zur Kuh trauern, wenn die Milchgabe am Eimer oder Automaten fortgesetzt wird. Ältere Kälber sind vielleicht schon etwas unabhängiger, verlieren aber sowohl den Zugang zur Kuh und zu Milch, wenn dieser Übergang nicht abgestuft vollzogen wird. Ein Gewichtsverlust bei den Kälbern nach dem Absetzen wurde am stärksten bei Landwirten beobachtet, die ihre Kälber zwischen dem zweiten und dritten Lebensmonat von der Kuh trennten (6 von 40, 15%).

Von den Betrieben, die mit drei Monaten oder früher Kühe und Kälber getrennt haben, gaben nur 18% an, gar keine Probleme beim Absetzen zu haben. Bei einer Trennung nach dem 3. Lebensmonat sind es bereits 29%. Wenn man sich nur die 32 Betriebe anschaut, die Kuh und Kalb länger als 4 Monate zusammenlassen, liegt der Anteil der Betriebe ohne Probleme in dieser Gruppe bei 41%. Je länger also die Säugezeit an der Kuh und somit je näher der Zeitpunkt das Trennens am natürlichen Absetzalter von 8 bis 10 Monaten ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Prozess wenig Probleme bereitet.

Empfehlungen zum schonenden Trennen und Absetzen

Unabhängig vom Zeitpunkt ist der Trennungs- und Absetzprozess für die Tiere schonender, wenn schrittweise und nicht abrupt vorgegangen wird. Im Detail kann das je nach System und Betriebsgegebenheiten sehr unterschiedlich aussehen. Beim graduellen Absetzen ist das Ziel, die Tiere langsam an die neue Situation zu gewöhnen. Es gibt hierfür unterschiedliche Strategien:

a) schrittweise Verringerung des Kuh-Kalb Kontaktes

Die Kälber werden für länger werdende Zeitintervalle von den Kühen getrennt bzw. kürzer und seltener zu den Kühen gelassen. In Systemen mit permanentem Kuh-Kalb-Kontakt können die Kälber zum Beispiel zunächst für ein paar Stunden während und nach der Melkzeit und dann stetig länger getrennt werden. In restriktiven Systemen können die größeren Kälber erst später als die kleinen Kälber oder nur noch einmal am Tag zu den Kühen gelassen werden.

b) erst Trennen, dann Absetzen

Die Kälber werden von der Mutter getrennt, erhalten aber weiterhin Milch: am Eimer, am Automaten oder an einer Amme. Das Absetzen erfolgt dann durch schrittweise Reduzierung der Milchmenge. Beim Wechsel zur Amme ist die Reduzierung über die Anpassung der Kontaktdauer und der Anzahl Kälber pro Amme möglich. Wenn von der Mutter an den Eimer oder Automaten gewechselt wird, kann es den Übergang erleichtern, wenn die Kälber den Nuckel schon kennen, z. B. durch das Vertränken der Biestmilch mit der Flasche oder regelmäßiges zusätzliches Angebot von Milch im Eimer.

c) erst Absetzen, dann Trennen

Die Kälber bleiben vor der Trennung für ca. vier bis acht Tage bei den Kühen, können aber nicht mehr am Euter saugen. Dies funktioniert nur, wenn man Saugentwöhner (Noseflaps) verwendet, die zuverlässig in der Nase bleiben, ohne zu Verletzungen zu führen. Teilweise verlieren die Kälber die Noseflaps oder es entstehen Verletzungen an der Nase, wenn sie zu lange getragen werden (maximal eine Woche). Auch gibt es einzelne Aussagen aus der Praxis wie „etwa 40% meiner Kälber lernt, trotz Noseflap am Euter zu saufen; die Menge ist aber trotzdem weniger“. Wenn nach der räumlichen Trennung von Kühen und Kälbern noch „Zaunkontakt“ besteht, die Kälber also in einer an den Kuhstall direkt angrenzenden Bucht gehalten werden, kann dies ein weiterer Zwischenschritt sein, um die Trennung zu erleichtern.

Je nach betrieblicher Situation können die Strategien auch gut miteinander kombiniert werden. Für alle Übergangszeiten sollte möglichst eine Woche eingerechnet werden. Wenn möglich, sollten Kälber zudem als Gruppe und nicht als Einzeltier abgesetzt oder getrennt werden.

Autorinnen: Dr. Silvia Ivemeyer, Ruth Schmidberger

Fachgebiet Nutztierethologie und Tierhaltung, Universität Kassel, Witzenhausen

ivemeyer(at)uni-kassel.de