Feld & Stall

Zukunft Pflegebauernhof

Bauernhof statt Alleinsein

von Lars Dalhoff

22 Senioren wohnen im Westerwald in Wohngemeinschaften auf dem Bauernhof der Familie Pusch und bringen sich in den Alltag auf dem Hof ein: Gänse oder die Alpakas auf die Weide bringen, Eier einsammeln, Rinder und Schweine versorgen oder bei der Heuernte helfen. Das geht nicht? Ganz im Gegenteil. Der Alltag bietet vielfältige, sinnstiftende Tätigkeiten für die Senioren und keine künstliche Bespaßung.

Wie kam es zu der Idee?

Der Hof im Westerwald befindet sich seit mehr als 250 Jahren im Besitz der Familie Pusch und wurde schon längere Zeit im Nebenerwerb betrieben. Mitte der 2000er-Jahre wohnte nur noch die betreuungs- und pflegebedürftige Großmutter von Guido Pusch auf dem Hof und wollte dort auch bis zu ihrem Lebensende bleiben. Schnell entwickelte sich die Idee, dass weitere Senioren auf dem Hof der Einsamkeit vorbeugen sollen und ein ambulanter Pflegedienst die Betreuung und Pflege übernehmen kann. 2011 war es dann so weit und die ersten Bewohner zogen ein.

Pflege und Landwirtschaft – passt das zusammen?

„Ja. Ganz hervorragend sogar” ist Guido Pusch überzeugt. Auf dem Hof leben Menschen mit unterschiedlichen Betreuungs- und Pflegegraden bis hin zur Demenz. Fitte und weniger fitte Bewohner, die sich im Alltag unterstützen, füreinander sorgen und somit das Betreuungs- und Pflegepersonal entlasten. Gerade die Arbeit mit den Tieren und die Tätigkeiten aus der Landwirtschaft fördern und unterstützen die motorischen und kognitiven Fähigkeiten der Bewohner. Betreuung und Pflege bedeutet nicht, dass die Bewohner in Watte gepackt werden müssen. Viel besser ist es, wenn das Wohn- und Lebensumfeld so natürlich wie möglich gestaltet ist.

Was sich aus der anfänglichen Idee bis heute entwickelte, überrascht Guido Pusch noch immer. Die positive Resonanz der Medien, der Politik, der Wissenschaft und durch alle Gesellschaftsschichten hinweg ist seit Beginn an gewaltig. Die aktive Beteiligung der Bewohner war vorerst nicht geplant. Der Bauernhof sollte der familiären Atmosphäre dienen. Der Wunsch, einfache Tätigkeiten zu übernehmen, wurde von den Bewohnern geäußert und es entwickelte sich eine beispiellose Eigendynamik. „Sie machen vieles anders, aber nicht falsch”, hört Guido Pusch oft.

Vom landwirtschaftlichen Nebenerwerb zum Haupterwerb

Dieser Schritt war zu Beginn nicht vorhersehbar und kristallisierte sich erst im Laufe der Zeit heraus. Als Vermieter für den Wohnraum für Senioren gestartet, entwickelte sich der Bauernhof dank der Kooperation mit dem eigens gegründeten ambulanten Pflegedienst zum Pflegebauernhof. Das heißt, der wesentliche Erwerb des Bauernhofes kommt aus der Wohnraumvermietung und den Arbeitsplätzen und Dienstleistungen im Bereich der Betreuung und Pflege. Aktuell sind 18 Menschen in Hauswirtschaft, Betreuungs- und Pflegepersonal beschäftigt, teilweise im Voll- und teilweise im Nebenerwerb. Auf Vollzeitstellen umgelegt sind es elf Arbeitsplätze. Die Produktion von Lebensmitteln und anderen Dienstleistungen des Bauernhofes steuern aber noch immer ihren Teil zum Einkommen bei und sind gut für den Status des landwirtschaftlichen Betriebes. Zudem hat die Kooperation mit dem Pflegedienst weitere Vorteile für die Hoffamilie. So sind z. B. auch sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Familienmitglieder von Guido Pusch entstanden. So war seine Tochter Samira eine der ersten Auszubildenden im Betrieb. Inzwischen arbeiten auch seine Ehefrau als Betreuungs- und seine Mutter als Pflegefachkraft im eigenen Betrieb mit. Der Bauernhof verbindet mit den Arbeitsplätzen Generationen der eigenen Familie.

Ich bin und fühle mich, trotz meines Alters, fit und habe Freude daran, den Mitbewohnern in der WG helfen bzw. sie unterstützen zu können. Wir sind quasi eine große Familie und das gefällt mir sehr.

Bewohnerin Helga, 75 Jahre, seit 3 Jahren auf dem Hof

Zukunft Pflegebauernhof – ein Netzwerk entsteht

Im Laufe der Jahre besuchten hunderte Landwirte den Hof in Marienrachdorf und suchten nach Inspirationen, um eigene Ideen für ihre Höfe zu entwickeln. Aus der anfänglichen Euphorie ist leider nicht viel entstanden. Ängste vor der Bürokratie, fehlende Kenntnisse im Bereich Bauen, Fördermittel, Pflege etc. standen den Vorhaben oftmals im Weg und die Landwirte scheuten davor, sich ebenfalls auf den Weg zu machen und ihren Hof zu ergänzen oder umzustellen. Aus diesem Umstand entstand die Initiative „Zukunft Pflegebauernhof” und unterstützt seit Mitte 2021 Landwirte auf deren Weg zum Pflegebauernhof. Das Wissen und seine Kenntnisse hat Guido Pusch in einem einzigartigen Konzept gebündelt. Die von ihm entwickelte, besondere Wohnform, unterstützt mit der professionellen Pflege, bietet allen Beteiligten – Bewohnern, Mitarbeitern, Tieren und Natur – viele Vorteile und Freude, sodass es ihm eine Herzensangelegenheit ist, ein flächendeckendes Netzwerk von Pflegebauernhöfen entstehen zu lassen. Das Konzept kann Problemlöser in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und Ebenen sein – beispielsweise bezogen auf die Schaffung von Wohnraum, den Erhalt der klein-landwirtschaftlichen Betriebe, Stärkung des ländlichen Raumes, Gewinn bzw. Erhalt von Betreuungs- und Pflegepersonal durch Schaffung eines innovativen Arbeitsumfeldes.

Aktuell werden von der Initiative bundesweit 15 Höfe beraten, unterstützt und begleitet. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass die landwirtschaftlichen Betrieb weiterhin frei und unabhängig bleiben. Die Initiative unterstützt mit ihrem Wissen bis zum Betriebsstart. Der eigene Pflegedienst kann helfen, wenn sich die Bewohner am Hof für seine Dienstleistung in der Betreuung und Pflege entscheiden.

Ich bin über 40 Jahre LKW gefahren. Hier kann ich mich handwerklich einbringen, wenn ich möchte. Innerhalb der WG habe ich schnell Freundschaften geschlossen und schätze die Gemeinschaft sehr.

Bewohner Reinhold, 72 Jahre, seit 9 Monaten auf dem Hof

Was unterscheidet den Pflegebauernhof von anderen Wohnformen im Alter?

Auf dem Bauernhof leben die Menschen selbstbestimmt. Jeden Tag fallen Tätigkeiten auf dem Hof an, die von den Bewohnern übernommen werden oder an denen sie sich beteiligen können. Sinnstiftende, natürliche Tätigkeiten also. Durch die Schaffung von zwei oder mehreren Wohngemeinschaften entsteht Wohn- und Lebensraum für ca. 24 bis 30 Menschen. Durch die Tätigkeiten der Hoffamilie und des Betreuungs- und Pflegepersonals entsteht eine gemütliche, heimelige Atmosphäre. Alle Bewohner, ob mit oder ohne Pflegegrad, sind ein vollwertiger Teil der Gemeinschaft und erleben den täglichen Hofalltag mit.

Pflegebauernhof – Eine Chance für jeden Betrieb?

„Diese Frage kann zu Beginn nicht eindeutig beantwortet werden” erklärt Guido Pusch. Es gibt verschiedene Voraussetzungen, die vorhanden sein sollten, um ein erfolgreiches Gelingen zu gewährleisten. Neben der Menschlichkeit der Hoffamilie sollte der Hof über Umbau- bzw. Ausbaureserven verfügen, um den notwendigen Wohnraum zu schaffen. Das kann eine ausgediente Scheune oder ein Stall sein. Ein Neubau ist ebenfalls möglich. Wichtig ist dabei, dass der Charakter des Bauernhofes nicht verloren geht und auch weiterhin Tiere und Landwirtschaft vorhanden sind. Einfache Tätigkeiten aus der Landwirtschaft und der Kontakt zu Tieren sind wesentliche Teile des Konzepts. Die Zusammenarbeit von Guido Pusch mit den Interessenten beginnt immer mit einer Bestandsaufnahme und Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen. Wieviel Wohnraum kann geschaffen werden? Ist eine bauliche Umsetzbarkeit gegeben? Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit aus? Das sind ein paar Kernfragen, die zu Beginn abgearbeitet werden. Das Ziel am Ende der ersten Beratungsstufe ist die Einreichung des Bauantrags durch die Hoffamilie.

Ich bin interessiert. Wie geht es weiter?

“Zukunft Pflegebauernhof” bietet Workshops an, um weitere Details kennenzulernen, Fragen stellen zu können und sich mit den Chancen der Betriebserweiterung auseinander zu setzen. Auf der Webseite www.zukunft-pflegebauernhof.de können Termine für den Online- oder Präsenzworkshop gebucht werden, die monatlich stattfinden. Auf der Seite finden sich auch die Kontaktdaten von Guido Pusch und seinem Team. Sie stehen natürlich auch immer gerne für einen Telefonaustausch oder ein Video-Termin zur Verfügung oder kommen auf den Hof vor Ort, um sich die Gegebenheiten anzusehen und erste Gedanken zu entwickeln.

Ich kümmere mich schon seit früher Jugend gerne um Tiere. Hier kann ich feste Aufgaben übernehme und versorge z.B. die Gänse. Nebenbei kann ich meinem Hobby am eigenen Fischweiher nachgehen und habe dort meine Ruhe, wenn ich möchte.

Bewohner Karl-Heinz, 75 Jahre, seit 6 Jahren auf dem Hof

Autor: Lars Dalhoff

Zukunft Pflegebauernhof
https://www.zukunft-pflegebauernhof.de