Hintergrund

Ebermast

Ebermast - Herausforderung für Produzenten und Vermarkter

von Christophe Notz

 

Seit dem Jahr 2006 ist in der Schweiz die betäubungslose Kastration von Kälbern und Lämmern verboten. Damals wurde in der Tierschutzgesetzgebung ausdrücklich die Kastration der Ferkel in den ersten zwei Lebenswochen ausgenommen. Auf Druck diverser Tierschutzorganisationen wurde das Gesetz revidiert und die betäubungslose Kastration der Ferkel ab dem 1.1.2009 mit einer zweijährigen Übergangsfrist verboten. Zur Umsetzung dieses Gesetzesartikels schlossen sich Branchenorganisationen, Großverteiler, Bundesämter und Hochschulen zum Projekt "pro-Schwein" zusammen. Das Ziel dieses Projektes bestand darin, bis 2009 Lösungen anzubieten, die dem Tierwohl entsprechen, die praxistauglich und ökonomisch sind und die eine Monopolsituation auf dem Schweinemarkt ausschließen. Mitte 2008 wurden von "pro-Schwein" drei Methoden vorgestellt, die nach der dreijährigen Evaluation den Anforderungen standhielten und von den beteiligten Organisationen als Konsens bezeichnet wurden. Das waren die Ferkelkastration unter Inhalationsnarkose, die Immunokastration und die Ebermast. Doch kaum war der Konsens verkündet, kündigte der größte Verarbeiter von Schweinefleisch den Konsens auf und erklärte, dass er auf seinen Schlachthöfen nur chirurgisch kastrierte Schweine annehmen werde. So wurde die anfangs propagierte Wahlfreiheit für die Produzenten hinfällig und die am wenigsten tierfreundliche Methode durchgesetzt.

Ebermast: kein Eingriff nötig

Die tierfreundlichste Methode hingegen wäre die Ebermast, bei der keinerlei Eingriffe am Tier stattfinden. Die Ebermast wurde jedoch bis heute in der Schweiz kaum praktiziert. Der Hauptgrund für diese Zurückhaltung ist der sogenannte Ebergeruch, welcher sich bei einem Teil der männlichen, unkastrierten Tiere entwickeln kann. In einem Projekt von KAGfreiland, einer Schweizer Nutztierschutz-Organisation mit Biolabel, wurden ca. 10 % der Tiere als stark geruchsbelastet erkannt. Diese Tiere wiesen eine so starke Geruchsbelastung auf, dass sie nicht in den Frischfleischkanal geliefert werden konnten. In der Literatur wird von einem Anteil von 5 bis 15 % geruchsbelasteten Schlachtkörpern ausgegangen. Zusätzlich zur Geruchsproblematik sind, bei mangelhaftem Haltungsmanagement, Probleme hinsichtlich des Aggressionsverhaltens fast geschlechtsreifer Eber kurz vor der Schlachtung zu erwarten.

Ebermast in einem Schweizer Demeter-Betrieb

Die Brüder Cäsar und Oliver Bürgi haben vor vier Jahren mit dem Kastrieren von Ferkeln aufgehört. Sie mästen ca. 60 Schweine im Jahr und kreuzen dazu einen Turopolje-Eber mit drei Duroc-Hampshire-Schweizer-Sauen aus Gründen der Fleischqualität. Denn sie vermarkten ab Hof, im eigenen Catering und über ihre Beteiligung an einer Biowursterei. Bisher hatten sie noch keinen einzigen Stinker. Das prüfen sie gleich nach dem Schlachten an einem Stück aus dem Hals mittels Brat- und Kochprobe. Riecht ein Eber, kann er statt im Teileverkauf komplett zu Wurstprodukten verarbeitet werden, die sie vor allem aus den älter und schwerer werdenden Sauen herstellen. Die Eber werden getrennt von den Sauen gehalten und erreichen nach ca. 160 Tagen ihr Schlachtgewicht von 70-90 kg. Ohne Konsumentenaufklärung geht es aber nicht: bei Degustationen von Sauen- und Eberfleisch schneidet Letzteres sogar besser ab. Die beiden Bürgis halten in ihrem Unternehmen Silberdistel (in Umstellung auf Demeter) auf zwei Betrieben Mutterkühe, Rot- und Damwild, Hühnchen und Schweine.

 

Silberdistel Cesar & Oliver Bürgi, Bernstr. 3, CH-4665 Oftringen (bei Olten), www.silberdistel-kost.ch

Ebergeruch vermeiden

Auf den Anteil der mit Ebergeruch belasteten Schlachtkörpern kann jedoch Einfluss genommen werden. Durch eine frühzeitige Schlachtung (< 80 kg Schlachtgewicht) kann die stärkere Anreicherung eines Bestandteils des Ebergeruches, des Pheromons Androstenon, gesenkt werden. Aus einigen Studien geht hervor, dass Alter und Gewicht der Tiere positiv mit den Androstenongehalten im Fett korrelieren. Allerdings ist diese Korrelation nicht sehr stark ausgeprägt. Es gibt auch leichte bzw. jüngere Tiere, die hohe Androstenongehalte aufweisen. Ebenso gibt es schwere Tiere, bei denen keine oder nur eine sehr geringe Geruchsbelastung nachzuweisen ist. In England werden Eber auf ein Schlachtgewicht von ca. 70 kg gemästet. Dort werden 99 % der männlichen Mastschweine nicht kastriert und als normales Schweinefleisch vermarktet.

 

Auch über die Zucht könnte der Anteil geruchsbelasteter Eber reduziert werden. Es würde allerdings einige Jahre dauern, bis die Schweizer Schweinehalter mit ausreichend spätreifen Tieren beliefert werden könnten. Zusätzlich besteht das Problem, dass Spätreife auch mit verminderter Fruchtbarkeit verknüpft ist. Bis heute ist auf alle Fälle noch keine Rasse bekannt, die explizit für die Ebermast geeignet wäre.

 

Der zweite Bestandteil des Ebergeruchs, das Skatol, könnte mittels Fütterung von stärkehaltigen Futtermitteln wie Kartoffelrohstärke oder Chicoréewurzel ein bis zwei Wochen vor der Schlachtung reduziert werden. Als weitere Maßnahmen wird die getrenntgeschlechtliche Mast diskutiert. Männliche und weibliche Tiere werden vom Absetzen an in räumlich getrennten Abteilen gemästet, so soll die Stimulanz zur Entwicklung der Geschlechtsreife gesenkt werden. In einem Schweizer Mastbetrieb, der schon seit längerer Zeit die Ebermast praktiziert, konnte nachgewiesen werden, dass eine saisonale Abhängigkeit vom Ebergeruch besteht. Dieser Effekt konnte erfolgreich mittels eines Lichtprogramms abgeschwächt werden.

"Stinker" auslesen

Das Hauptproblem ist jedoch nicht die Geruchsbelastung einzelner Schlachtkörper, sondern vielmehr deren sichere Erkennung und Klassifizierung im Schlachtbetrieb. Bisher erfolgte der Test auf Geruchsbelastung hauptsächlich mittels Kochprobe. Dafür werden bestimmte Fleisch- und Fettstücke der Eber erhitzt und eine oder besser mehrere Personen entscheiden darüber, ob das Fleisch genusstauglich ist oder nicht. In der Schweiz ist an einer elektronischen Nase geforscht worden, mit dem Ziel der sicheren und schnellen Erkennung von geruchsbelasteten Tieren am Schlachtband. Auch in Deutschland wird an einem solchen Gerät geforscht. In beiden Ländern scheint allerdings noch einige Zeit notwendig zu sein, um die elektronische Nase zur Praxisreife zu entwickeln. Das Hauptproblem dabei ist die Komplexität des Ebergeruchs. Dazu wären solche Geräte nur für größere Schlachtbetriebe finanziell tragbar. Einige Länder testen den Ebergeruch mit weit weniger aufwändigen Mitteln. In England und den Niederlanden wird mittels eines heißen Drahtes oder Bunsenbrenners ein Teil des Schlachtkörpers erhitzt und anhand des dabei entstehenden Geruchs wird in kurzer Zeit über die Genusstauglichkeit entschieden. Mit dieser Methode wurden in den Niederlanden schon letztes Jahr 45.000 Eber getestet und ca. 3 % als Stinker klassifiziert.

Eberfleisch verwerten

Das Fleisch geruchsbelasteter Tiere muss nicht verworfen werden. Es lassen sich Rohesswaren, wie Trockenfleisch oder Salami, aus diesem Fleisch herstellen. Roh gegessen ist der Geruch weniger stark ausgeprägt und wird seltener oder kaum wahrgenommen. In der Schweiz geht man davon aus, dass 40 % der Bevölkerung den Ebergeruch gar nicht wahrnehmen können. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass einige sehr sensible Konsumenten zukünftig ihren Schweinefleischkonsum einschränken werden. Die Herausforderung bei der Ebermast besteht nun darin, ein Produkt, welches über Jahrzehnte unter einem schlechten Ruf gelitten hat, wieder markttauglich zu machen. In den Niederlanden soll bis zum Jahr 2015 ganz auf die chirurgische Kastration verzichtet werden. Auch in der Schweiz wird die Ebermast von praktisch allen Marktteilnehmern als natürlichste und tierfreundlichste Methode für die Zukunft genannt.

 Christophe Notz,
 Department TiergesundheitFiBL, Ackerstrasse,
 CH-5070 Frick