Initiativen

100 Jahre soziale Dreigliederung

Ein anthroposophischer Ansatz, Wirtschaft und Gesellschaft anders zu gestalten

„Freiheit ist der Grundimpuls des geistigen Lebens, wo auf die Freiheit der individuellen menschlichen Fähigkeiten gebaut werden muss. Gleichheit ist der Grundimpuls des Staats- und Rechtslebens, wo alles hervorgehen muss aus dem Bewusstsein der Gleichheit der menschlichen Rechte. Brüderlichkeit ist das, was auf dem wirtschaftlichen Lebensgebiet herrschen muss im großen Stile...“ (Rudolf Steiner)

Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht hierbei nicht um eine Drei-Teilung der Gesellschaft, nicht um Abtrennung der drei Bereiche voneinander, sondern um jeweils eigene – und zwar adäquate – Regeln dafür. Dreigliederung ist kein soziales Programm, sondern erstmal eine Feststellung. Wir alle leben gleichzeitig in diesen drei sozialen Gliedern, sind, nehmen wir mal einen Hof als Beispiel, zugleich geistig-kreativ unterwegs (Unternehmerschaft, Verfahren, Arbeitsorganisation), stehen in wirtschaftlichen Zusammenhängen (Märkte, Finanzen, Kunden) und in rechtlichen Beziehungen (Verträge, staatliche Vorgaben, Nachbarn). Oft überschneidet sich das – sollte aber ausbalanciert sein. Am Beispiel Landgrabbing sehen wir die Konsequenzen von Ungleichgewichten: Kapitalüberschuss aus den anderen Wirtschaftssektoren bremst das Unternehmertum, so wie es die Planwirtschaft – Dominanz der Rechtssphäre – ebenfalls tat.

Die frühen Biodynamiker hatten daher zugleich die Balance zwischen Industriegesellschaft und Landwirtschaft auf dem Schirm, machten sich ausführlich Gedanken um eine neue Bodenordnung. Unter anderem solche Erwägungen – Höfe zu sichern – befeuerten die Gründer der GLS- Bank. Denn Kapital ist mit einer ökologischen und fairen Landwirtschaft nicht anzuhäufen, Natur ist nicht beliebig maximierbar. Es kann aber problematisch sein, wenn es mit einseitigem Interesse aus den anderen Sektoren hineindrängt. Auch deshalb lautete das Motto der diesjährigen internationalen biodynamischen Tagung in Dornach: „Land-Wirtschaft zwischen Hof und Welt“.

Ursprünge und Netzwerke

1919, direkt nach dem Ersten Weltkrieg, ging von Stuttgart eine Volksbewegung für die „Dreigliederung des sozialen Organismus“ aus. Inspiriert von Rudolf Steiner setzte sie sich für eine umfassende gesellschaftliche Neuordnung ein, die auf der Selbstbestimmung mündiger Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft beruht. Dies führte zwar nicht zur angestrebten gesellschaftlichen Transformation, aber Ideen und Ansätze sind bis heute virulent: Die Selbstverwaltung an Waldorfschulen und anthroposophische Krankenhäusern, die sich an der Dreigliederung orientieren, sind Beispiele dafür. Auch bestimmte Krankenversicherungen oder Pensionskassen oder eine Reihe freier Hochschulen wären ohne den Dreigliederungsimpuls nicht denkbar. Hinzu kommen Initiativen im Wirtschaftsleben, die Elemente „assoziativer“, d. h. solidarischer, Ökonomie zu verwirklichen suchen, wie z. B. Oikopolis in Luxemburg oder Banken wie GLS und Triodos sowie Stiftungen wie die Edith Maryon Stiftung, die sich um neue Wege bei Bodenrecht und Wohnen kümmert. Oder die „Charta für assoziatives Wirtschaften“, die Demeter-Grundlagenforum und Wirtschaftskreis der Sektion erarbeitet haben.

Öffentlich bekannter war das Wirken des Achberger Kreises, der einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Staatssozialismus suchte, damit auch internationale Verbindungen schuf und dessen Gedanken bis zu Beuys, den Grünen und der Initiative für Direkte Demokratie wirkten. Kern ist die Kritik, dass Verfügungsrechte – Unternehmen, Geldkapital, Grund und Boden sowie Arbeit – käuflich sind. Dies wird in der Dreigliederung als wesentliche Ursache der wachsenden sozialen Ungleichheit betrachtet. Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen haben hier ihren Ursprung.

Bekannter Protagonist ist z. B. Nicanor Perlas aus den Philippinen, der versucht, Elemente der Dreigliederung für eine gerechte Form der Globalisierung fruchtbar zu machen und sich in WTO und Weltsozial­foren einbrachte. Letztlich gehe es um mehr, um eine stetige und funktionale Bürgerbeteiligung an den gesellschaftlichen Prozessen, für die man flüssige Formen der Demokratie finden müsse, so Gerald Häfner, Leiter der sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum, im Rahmen der Demeter- Delegiertenversammlung 2019.

(Autor: Michael Olbrich-Majer)