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Richtig rechnen

Christian Hiß fordert eine ökosoziale Kontierung und Bilanzierung

 

Lieber Christian, die Wurzel des Nachhaltigkeitsproblems unserer Gesellschaft verortest Du in Deinem neuen Buch ausgerechnet in der Buchführung. Warum?

 

Ich bin im Laufe der Jahre als biologisch-dynamischer Gärtner und Landwirt mit einer betrieblichen Jahresabschlussrechnung konfrontiert worden, die mit meinem Betrieb nicht wirklich etwas zu tun hatte. Wesentliche Leistungen, die ich und meine Mitarbeiter täglich erbracht haben, fand ich in der GuV und der Bilanz nicht wieder oder wenn, dann nur auf der Aufwands-, aber nicht auf der Ertragsseite. Die betriebswirtschaftliche Rechnungslegung so wie sie jetzt gehandhabt wird, ist aus der Industrie übernommen. Ihre Rechenlogik der betriebswirtschaftlichen Effizienz geht von der ersatzlosen Aneignung und Nutzung der natürlichen Grundlagen und sozialen Werte aus, ohne deren Endlichkeit zu berücksichtigen. Das ist ein schwerer ökonomischer Irrtum, denn im verborgenen Hintergrund der Bilanz entstehen Verluste und Risiken, die nicht bemerkt werden, aber irgendwann zum Vorschein treten. Sie sind deshalb verborgen, weil sich die Finanzbuchhaltung nicht dafür interessiert.

Das bedeutet am Beispiel Bodenfruchtbarkeit, dass deren ersatzlose Nutzung finanziellen Ertrag bringt und ihr Aufbau Geld kostet. Ein Betrieb, der den Aufwand nicht betreibt, kann die Erzeugnisse günstiger am Markt anbieten als der Betrieb der Kosten hat, weil er konkrete Maßnahmen ergreift. Die Kosten für die Behebung der entstandenen Schäden am Boden werden auf die Gesellschaft und in die Zukunft verlagert, externalisiert, wie man in der Ökonomie sagt. Laut EU entstehen an Europas Böden jedes Jahr Schäden in Höhe von 39 Mrd. Euro, vor allem durch falsche Bewirtschaftung. Im Sinne einer ökonomisch sauberen Rechnung müssten diese Schäden den Betrieben, die sie verursachen, zugerechnet werden. Wir kennen die Diskussion schon vom Atomstrom. Würden alle Kosten, die entstehen, wirklich zugerechnet werden, wäre Atomstrom unbezahlbar. Genauso verhält es sich mit der Landwirtschaft.

 

Warum reicht es nicht, Gewinne für ökologische oder soziale Zwecke einzusetzen?

 

Es wäre sinnvoller, durch ökonomisch richtiges Rechnen erst gar keine Schäden am Sozialen und der Natur entstehen zu lassen. Ich bin sicher, dass die Gewinne der Unternehmen jetzt schon gar nicht mehr ausreichen, um die Schäden zu beheben.

 

Wo konkret würdest Du die Buchhaltung verändern? Welche Elemente braucht es?

 

Zuerst müssen die richtigen Fragen an die Unternehmensführung und Unternehmenssteuerung gestellt werden und dann die Buchhaltungsmethodik danach ausgerichtet werden. Eine richtige Frage z. B. ist, wenn man aus der Finanzbuchhaltung erfahren will, wie viel monetären Aufwand der Betrieb für die Erhaltung von Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Ausbildung und Mitarbeitereinkommen betrieben hat. Die Informationen sind alle in der Finanzbuchhaltung versteckt, aber durch die unzureichende Kontierung nicht offensichtlich. Wird dann im Betrieb so gebucht, dass die Informationen vorhanden sind, können sie verwertet werden. Die abschließende Bilanz muss dann zeigen, ob das dem Betrieb zur Verfügung stehende Natur- und Sozialvermögen zu- oder abgenommen hat.

 

Fragen: Michael Olbrich-Majer

Christian Hiß: Richtig rechnen!

Durch die Reform der Finanzbuchhaltung zur ökologisch-ökonomischen Wende.

124 Seiten, oekom verlag München, 2015, ISBN-13: 978-3-86581-749-5, 19,95 € , auch als eBook