Portrait

Alles vom Hof

Simon und Hanna Mair intensivieren mit Hofverarbeitung und kooperativer Vermarktung

von Michael Olbrich-Majer

 

Dieser Hof wäre längst verschwunden, ginge es nach der reinen Lehre der Agrarökonomen. Zehn Kühe, zwanzig Hektar – da ist keine Produktion für Welt­märkte­ drin, auf denen sich deutsche Agrar­verbände positionieren wollen. Deren Zieldimension ist zehnmal größer. Aber was tun, wenn Du auf diesem Hof auf­gewachsen bist, Du Dein Dorf liebst und kein Herzblut dafür aufbringst, dem Dogma des „Wachsen oder Weichen­“ nachzutrotten? Sondern Bauer-Sein ganz anders­ verstehst als nur aktuell ökonomisch gedacht?­

 

In dieser Situation als Hofnachfolger stand Simon Mair vom Assenhauserhof. Und fand zusammen mit seiner Frau Hanna Wege, die so traditionell wie modern anmuten­: möglichst vielfältige Landwirtschaft, biologisch­-dynamisch, Verarbeitung der Erzeugnisse auf dem Hof und Direktvermarktung mit dem Resultat 100 Prozent lokale Erzeugung, 98 Prozent lokale Vermarktung­. Das kann man, zumal im Erleben vor Ort, romantisch finden, mutig oder neudeutsch „smart“: eine effizient-nachhaltige Low-Input-Unternehmung als Arbeits- und Lebensentwurf, die die lokalen­ Demeter-Kollegen und das Dorf einbezieht und zugleich allen etwas gibt. Als werde auf eine Art hier die Vision von E. F. Schumacher verwirklicht: „Small is Beautiful“, vor dreißig Jahren ein ökologischer Klassiker­, der den heutigen Trend zum Runterschalten vorwegnahm und ökologisch-ökonomisch begründete.

Ansatz Organismus: Vielfalt vor Größe

Farchach liegt im ersten Tal hinter den Hügeln im Osten­ des Starnberger Sees. Um die 500 Einwohner, Handwerksbetriebe, neun aktive Höfe, davon vier Demeter­-Bauern, alle nicht sehr groß. Gegenüber der Kirche St. Martin und St. Nikolaus liegt der Assenhauserhof, gerade über den Bach. Ein Bauernhof, wie man ihn sich als Städter wünscht. Bayrisch, übersichtlich, vorne rollt Hanna im Käseraum Ziegenkäsekugeln, hinten macht Altbauer Steffe Holz, dazwischen turnen neun Ziegen mit ihren Zicklein im Auslauf, liegen die zehn Kühe wiederkäuend im Stall, und drei Schweine bekommen die Molke. Vom Hofcafé aus lässt sich am Nachmittag die Stimmung bei duftendem Käsekuchen genießen, während der Hahn über den Hof stolziert.

 

Simons Vater, Steffe, einer der Mitgründer von Bioland, hatte 1970 den seit Generationen von der Familie geführten Betrieb gegen den Willen seines Vaters umgestellt­: Der war eher der konventionellen Agrarmoderne zugeneigt und freute sich über Agrarchemie und anbaufähige Maissorten. Simon, der im Jahr 2000 übernahm, führte die bereits begonnene biodynamische Arbeit seiner Eltern weiter und stellte 2002 auf Demeter um.

 

Der Betrieb ist seitdem nicht sonderlich gewachsen: Mit eigenem Wald umfasst er aktuell knapp über zwanzig Hektar, halb Acker halb Wiesen und Weiden, und liegt mitten im Dorf. Kleine Flächen, viele Kul­turen. Statt mit viel Schulden in Spezialisierung zu investieren­, wollten Simon und Hanna eher Vielfalt und den Hof in kleinen Schritten entwickeln: das bedeutet­ Abwechslung, mindert durch mehrere Standbeine das wirtschaftliche Risiko und ermöglicht es, Qualität sowie innerbetriebliche Wertschöpfung in den Vordergrund zu stellen. Heumilch zum Beispiel. Alle Tiere erhalten Futter vom Hof. Und selbst Käse machen. Oder eigenes Saatgut erzeugen und durch langjährigen Nachbau etwas wie eine Hofsorte entwickeln, ansonsten biodynamisch gezüchtete Sorten nutzen. Mehr Gemüse anbauen, aktuell auf 0,6 ha, wofür im Winter ein kleines, temperaturisoliertes Lager gebaut wurde. Ziegen dazu nehmen. Getreide selbst reinigen, in Säcke und Tüten abpacken und verkaufen: Weizen, Roggen, Nackthafer, Dinkel, Gerste. Natürlich ist es da praktisch, selbst einen Mähdrescher zu haben. Mit dem fährt Simon übrigens auch für die Demeter-Nachbarn vom Pflegerhof, so wie er auch deren Kartoffeln und Sonnenblumen pflegt. Und mit dem Löfflerhof teilt der Hof sich die Jungviehweide.

 

Simon und Hanna legen ihren Focus auf die Steigerung der Wertschöpfungstiefe auf dem Betrieb. Das beginnt bei der Verarbeitung: Brot backen Simons Mutter Susanne­, die sich auch um die Bienen kümmert, sowie Ulli Obereisenbuchner vom Pflegerhof. Jeden Vor­mittag steht Hanna in der eigenen Käserei. Die Milch der Kühe und der Ziegen wird komplett verwertet, abgesehen von der der Ammentiere. Schnittfest oder als Weichkäse, als Quark, Joghurt, Ziegenfrischkäse oder als Butter landet die verwandelte Milch schließlich im Laden, wie auch Feldgemüse, der Salat, Gebäck oder Blumensträuße. Salami von den eigenen Tieren und die Produkte der Demeter-Nachbarn runden das Sortiment ab.

Weniger ist mehr: ein Laden fürs Dorf

(E.F. Schumacher: Small is beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Oekom Verlag München)

Wer in den hell und freundlich gestalteten Laden kommt, wird rasch merken, dass es Lücken gibt. Keine Südfrüchte, das Gemüseregal nicht überbordend, ein zugekauftes Naturkost-Trockensortiment fehlt komplett, das hier ist kein hofeigener Bioladen! Es gibt das, was der Hof bietet, im Sommer ergänzt durch Gemüse und Salat von der Gärtnerei Weidenkam ein paar Dörfer weiter. Dafür duften Brot und Kuchen, knistert der Kaminofen, räumt Demeter-Kollege Michi Friedinger vom Löfflerhof eigene Nudeln und Eier in die Auslage, steht Demeter-Honig vom befreundeten Stadtimker im Regal, und Traubensaft vom Demeter-Winzer aus Österreich­, bei dem die Familie Urlaub gemacht hat. Bergkäse vom Heggelbachhof, Simon lernte dort Camembert­ zu machen, ergänzt das Käsesortiment. Auch gibt es Kerzen und Demeter-Kräutertees.

 

Während Ulli Obereisenbuchner ihr frisches Brot hereinbringt­, schneidet Mitarbeiterin Bettina den Blechkuchen von Elke Friedinger an und stellt ihn zu den anderen sechs Kuchen. Heute ist Freitag, da sind Laden und Café nachmittags geöffnet, was die Farchner Nachbarn sich nicht entgehen lassen: abends ist der Kuchen weg. Ab fünf treffen sich hier regelmäßig die örtlichen Handwerker. Auch für andere Kunden ist das Hofcafé mit selbstgebackenen Kuchen und Demeter-Cappucino zum Begegnungsraum geworden.

 

Dabei strengen sich Simon und Hanna in der Werbung nicht an: Das Hofladenschild wächst im Sommer regelmäßig ein, einen Hinweis an der Straße gibt es nicht, weder Flyer, Anzeigen, Website und schon gar nicht Facebook. Einzig der jährliche Hofbrief informiert über das vergangene Jahr. Dennoch sagt Simon: „Wir könnten doppelt so viel verkaufen.“ Der Verkauf der Hofprodukte läuft auch nicht nur unter Demeter, sondern betont vor allem das Dorf: Eigens dafür haben die drei beteiligten Demeter-Betriebe ein Logo entwickelt, mit Kirche und dem Schriftzug „Farchner“. Klar, die intakten ländlichen Strukturen, langjährige Freundschaften, die Kontakte der Mairs über die Waldorfschule, die sie mit aufgebaut haben, über die Vereine im Ort, und nur zum geringen Teil die wohlhabenden Orte am See tragen zum Erfolg bei.

 

Laufkundschaft oder durchfahrende Touristen gibt es hier kaum, der Dorfladen lebt von den Stammkunden: 80 bis 120 kommen an jedem der drei Verkaufstage, lassen hier im Schnitt vielleicht 20 Euro, bei moderaten Preisen: Nahversorgung mit Qualitätsprodukten, auch wenn der Edeka im nächsten Dorf ist. Der Laden ist als Gewerbe getrennt vom Hof, kauft die Produkte aus der Landwirtschaft und der Verarbeitung und zahlt auch Ladenmiete. Da im landwirtschaftlichen Bereich nur wenig zugekauft wird, wirft der Betrieb insgesamt auch dank der Verarbeitung zusammen mit dem Laden einen zufriedenstellenden Ertrag ab.

Drei Höfe, ein Laden: die Wertschätzung der Kunden erleben

Vier Demeter-Höfe fußläufig an einem Fleck – wo gibt es das schon? Da lag es nahe, etwas zusammen zu machen. Die ersten Gespräche der drei Familien Mair, Friedinger und Galloth/Obereisenbuchner darüber, alle Direktvermarkter in unterschiedlichem Umfang, begannen schon vor Jahren. Da eröffnete zehn Kilo­meter entfernt ein Bioladen. Weitermachen? In den folgenden­ Gesprächen klärte sich, dass sie keinen Naturkosthandel betreiben, sondern die eigenen Produkte besser unter die Leute bringen wollten. Dazu einen Laden­ im Ort mieten, hieße aber, dass er jeden Tag geöffnet­ sein müsste, dass Ware zugekauft, Umsatz gemacht­ werden müsste, allein damit die Miete reinkommt. Auch die erforderliche Zeit, mehr als zwei halbe­ Tage die Woche, konnte keine der beteiligten Familien­ wirklich aufbringen. Also musste der Verkaufsraum auf einen Hof. Ins nur 25 km entfernte München hineinvermarkten, Läden beliefern, Marktstand, oder eigener Laden, stand nie zur Debatte. Dann entwickelte sich das Thema, auch mit Beratung u.a. zur Rechtsform, erstmal nicht weiter: Für eine gemeinsame GbR gab es keinen Konsens.

 

Bis es den Mairs zu eng wurde. Zwar fand der Verkauf nicht mehr in deren Wohnküche auf dem Esstisch statt, aber Hanna und Simon waren die Schlange vor dem kleinen Käseraum und die Enge an Verkaufstagen leid, da musste etwas geschehen. Nach vier, fünf Terminen mit einer Ladenberaterin stand der Plan. Eine Hälfte der alten Scheune wurde neu gebaut, mit Holz vom Hof. Theke und Inneneinrichtung stellte Simons Bruder Jakob, Geselle in der örtlichen Schreinerei Pfisterer her, den Innenausbau leistete die Familie Mair selbst. Eine Lösung zu aller Zufriedenheit, und alle können sich auf ihren Hof konzentrieren.

 

Denn da gibt es auch Aufgaben. Michi und Elke Friedinger vom Löfflerhof haben Ende 2017 gerade den neuen Laufstall eingeweiht: sie halten 25 Milchkühe und 550 Legehennen. Sohn Michael, Hofnachfolger in spe besucht noch die landwirtschaftliche Fachschule – aber in Österreich, da wird eher Vielfalt gelehrt als hierzulande. Während die Milch des Hofes von der Andechser­ Molkerei geholt wird, vermarkten sie Eier, Hühner und Nudeln selbst, auch die Gockelprodukte des Bruderhahnprojektes der Demeter-Geflügelhalter. Wer Demeter-Legehennen aufstellt, beteiligt sich mit vier Cent je Ei an der Aufzucht und Mast der Bruderhähne aus den männlichen Eiern. Friedingers bringen frische Eier und selbstgemache Eiernudeln in den Hofladen ein, und, wie alle drei Höfe, Fleisch. Das wird am Schlachttag auf dem jeweiligen Betrieb verkauft, nachdem im Laden über den Termin informiert wurde. Durch die Zusammenarbeit der Höfe waren mehr Eier abzusetzen und so haben die Friedingers vor einigen Jahren ihre 150 Hennen aufgestockt: den größeren Stall dafür hat die SlowFood inspirierte Münchner „Genussgemeinschaft Städter und Bauern“ über Genussrechte­ mitfinanziert. Die Beteiligten erhalten dafür Eier und Suppenhühner und weitere Produkte vom Hof.

 

Auf dem Pflegerhof leitet inzwischen Tochter Julia Galloth den Betrieb, aber Toni und Ulli, die Eltern, arbeiten­ noch mit: der Vater im Ackerbau, die Mutter im Stall und an den Produkten für die Direktvermarktung, wie Brot, Öl aus eigenen Sonnenblumen, Mar­melade und Aufstrich, Saft und Sirup, Dinkelnudeln. Die stehen natürlich auch im Farchner Hofladen, wo sich Ulli als 450-Euro-Kraft im Verkauf beteiligt. Julia plant, einen Laufstall zu bauen, was in Ortslage nicht einfach ist. Doch wie bei vielen Betrieben in der Gegend sind die Kühe in Anbindehaltung, das will sie ändern, und preiswert bauen: einen Kompoststall samt Heutrocknung. Auch weil es im Dorfladen gut läuft, stehen jetzt viele neue Obststräucher auf den Flächen des Hofes, Johannisbeeren und Aronia. Von den gut dreißig Prozent Direktvermarktung der beiden Höfe geht mehr als ein Drittel über den Laden.

Das Dorf nachhaltig mitgestalten

Auf dem Assenhauserhof wird das Unternehmen Landwirtschaft anders definiert, nicht zuerst durch Umsatz. Simon und Hanna leben ihren Traum: viel­fältige Landwirtschaft, sozial eingebunden und doch so organisiert, dass sie unabhängig ist: Landwirtschaft als Organismus, Abwechslung statt spezialisierter, wachstumsgetriebener Monotonie. Immerhin bleibt auch noch Zeit für Engagement und Kultur, ob Waldorfschule, als Delegierter im Demeter-Verband oder Musizieren. Möglich wird das auch durch die vorsichtige Haltung der hiesigen Landwirte beim Investieren, und das gegenseitige Mit-Tragen im Dorf. Gärtner Ingolf­ zum Beispiel, einst bei Vater Steffe mit Gewächshaus eingestiegen, lebt immer noch auf dem Hof und versorgt sich mit eigenem Gemüse.

 

Natürlich muss der Betrieb sich tragen, was mit diesem Konzept gelingt, und wenn die Altenteiler Steffe und Susanne mal nicht mehr mitarbeiten, müssen Arbeit und Einkommen für ein weiteres Paar auf dem Hof geschaffen­ werden. Natürlich gibt es noch viel zu entwickeln­, ob auf dem Hof oder im Dorf. Simon hat gerade angefangen, den Stall umzubauen – die Kühe sollen im Sommer in einen Tieflaufstall umziehen. Und ein die Knie schonender Melkstand statt Kannenmelken wäre auch fein. Genauso wie mehr eigener Bergkäse – dazu müsste der Hof Milch zukaufen – am liebsten von einem künftigen Demeter-Nachbarn. Ein weiterer neuer Demeter-Kollege könnte vielleicht auch die Stierkälber aufziehen, die aktuell die Höfe ver­lassen. Das könnte Anlass sein, auch die Fleisch­vermarktung gemeinsam neu zu greifen: Ulli Ober­eisenbuchner, übrigens Vegetarierin, will ohnehin eine mobile Schlachtbox anschaffen und den hiesigen Metzger­ mit ins Boot holen. Das sind Ideen für weitere Schritte, in die auch die anderen Farchner Bauern mit einsteigen könnten, so wie es sich die Mairs und ihre Kollegen wünschen: Bausteine, um das Dorf insgesamt nachhaltig zu entwickeln.

Betriebsspiegel: Simon und Hanna Mair, Assenhauserhof

  • Lage zwischen Starnberg und Wolfratshausen, eiszeitlich geprägtes Alpenvorland

  • 20 ha, davon 8 ha Acker und 0,6 Feldgemüse, Kräuter, Blumen und Salat, 9 ha Grünland, knapp 3 ha Wald

  • 10 Fleckviehkühe und Nachzucht plus 2 Stiere, 9 Ziegen und Nachwuchs, 3 Schweine, 20 Hühner, Bienen, muttergebundene Kälberaufzucht

  • langjähriger Nachbau der Getreidesorten

  • Verwertung der gesamten Milch von Kühen und Ziegen über eigene Hofkäserei; reinigen, mahlen und Abpacken von Getreide für Endverbraucher, Backstube

  • Ab-Hof-Verkauf, seit 2014 im neuen Hofladen mit Café

  • In Kooperation mitvermarktet werden Produkte der benachbarten Demeter-Höfe der Familien Galloth/Obereisenbuchner und Friedinger: Eier, Nudeln, Brot und Kuchen, Marmeladen, Säfte, Aufstriche, Sonnenblumenöl

  • Familienbetrieb, teilweise Mitarbeit der Altenteiler, 1 Auszubildende/r, 2 Mini-Jobs für den Laden; zwei Plätze für Waldorfschulpraktikanten

  • Assenhauserhof, Simon und Hanna Mair, Kirchplatz 1, 82335 Berg-Farchach.
    Hofladen: Mi: 8:30–12:00, Fr: 14:30–18:00, Sa 8:30–12:00 Uhr
    08151-51143, hofkaserei@farchach.de