Portrait

Mit Heu und Horn, mit Kuh und Kalb

Josef und Andreas Schneid vermarkten Demeter-Heumilch

von Michael Olbrich-Majer

Grüne Hügel, auf denen glückliche Kühe und Kälber grasen, da, wo andere Urlaub machen: Auf knapp vierzig Hektar Wiesen und Weiden im Allgäu halten Josef und Andreas Schneid nicht ganz drei Dutzend Stück Braunvieh samt Nachzucht. Und während auch in der Öko-Landwirtschaft die Zeichen immer noch auf betrieblichem Wachstum stehen, gehen die beiden Demeter-Bauern bewusst einen anderen Weg und setzen auf die Qualität Ihrer Erzeugung, das heißt vor allem aufs Wohl ihrer Tiere, inklusive neuem Stall. Vor sechs Jahren war Senior Josef Mitgründer der Demeter-Heumilchbauern, die sich von ihrer Molkerei lossagten und seitdem selbst vermarkten. Und seit mehreren Jahren praktiziert der Betrieb die kuhgebundene Kälberaufzucht. Neben der besonderen Auslobung machen auch durchdachte Abläufe und weitere Standbeine den Betrieb wirtschaftlich tragfähig.

Grasland für Nahrung nutzen

Das Obere Allgäu ist traditionell Grünlandgebiet, hier wird gemolken und gekäst, Ackerbau ist hier keine Alternative mehr. Daher steht landwirtschaftlich die Optimierung von Futtergewinnung, Weidenutzung und auch die der Tiere im Vordergrund. Statt größerer Herde, genetisch höherer Milchleistung, mehr Kraftfutter setzen Schneids auf Effizienz und wenig Aufwand. Schon über zehn Jahre grasen die Kühe des Hofs im System Kurzrasenweide. Mit rund dreizehn Hektar rund um den Betrieb funktioniert das gut, auch wenn man mit der Düngung etwas gegensteuern muss, da die Herde ihre Lieblingsecken hat, die dann intensiver versorgt sind. Die Tiere können tags wie nachts raus, aber auch in den Stall. Die Kurzrasenweide ist effizient, gut für die Untergräser und es entstehen keine Narbenverletzungen ohne Bewuchs. Allerdings geht die Artenvielfalt zurück, was nebenan im Vergleich mit einer Wiese im Wasserschutzgebiet zu erleben ist.

Zum betrieblichen Grünland gehören auch einige Streuobstwiesen. Ein Nachteil der Kurzrasenweide ist im Herbst der Rohfasermangel und Eiweißüberschuss im Futter. Das bewirkt einen hohen Harnstoffgehalt in der Milch, der belastet die Leber der Kuh. Da der Betrieb seit ca. 10 Jahren bewusst auf Kraftfutter verzichtet, kann das Energie-Eiweiß Verhältnis nur durch viel Heu einigermaßen ausgeglichen werden. Denn „50% der Milch in Deutschland wird über Kraftfutter erzeugt“, weiß der Betriebsleiter. „Die Kuh wird so zum Nahrungskonkurrenten für den Menschen“. Und die durch Kraftfutter zu viel erzeugte Milch drückt auf den Milchpreis. Auch für die Überdüngung der Böden ist zugekauftes Kraftfutter mitverantwortlich. „Deshalb lieber weniger Menge und besser vermarkten – regional“. Das nehmen die Schneids mit ihren Heumilchbauernkollegen selbst in die Hand und so bleibt mehr Wertschöpfung im Betrieb.

Während andere Bauern Mitte Mai bereits den ersten Schnitt gemacht haben, steht das Gras auf den Flächen des Wannenhofs etwas länger: Erst kurz vor der Blüte wird gemäht, es geht ja um Heu, nicht um Silage. Vier Schnitte holt der Wannenhof jährlich ein. Die Heuwerbetechnik kommt im Vergleich zur Silage mit leichterem Gerät aus, was auch den Boden schont. Um die Bröckelverluste gering zu halten, wird das Mähgut schon nach 1,5- 2 Tagen eingefahren und im Heustock nachgetrocknet, mit warmer Unterdachluft und einer Kondensat-Trocknung zur Luftentfeuchtung. Einen Teil des Stromes dafür liefert die hofeigene Photovoltaikanlage mit Eigenstromversorgung und Batteriespeicher. Um nur noch Heu füttern zu können, wurde die bestehende Bergehalle um weitere Fächer erweitert, die Tiefsilos für die Heulagerung umgenutzt.

Gedüngt wird mit verdünnter, präparierter Gülle und im Herbst mit biodynamischem Mistkompost, die biodynamischen Spritzpräparate werden im Frühjahr vor dem ersten Schnitt ausgebracht.

Mit dem Ampfer gibt es auf den Flächen keine Probleme mehr. „Ich sehe ihn als Zeiger und Heilpflanze für den Boden“, meint Josef Schneid. „Er tritt hauptsächlich dann auf, wenn der Boden verdichtet ist, die Grasnarbe beschädigt, oder der Boden überdüngt ist. Durch seine besonderen Fähigkeiten kann er den Boden wieder heilen und verschwindet, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat. Allerdings braucht man etwas Geduld und muss die Bewirtschaftung dementsprechend ändern.“

Auf den Wiesen und Weiden hat der Landwirt mit der Zeit einige Hecken gepflanzt, die die Landschaft prägen, Rindern und Wildtieren Schutz geben und im Lauf der Zeit auch eine kleine Obsternte ermöglichen.

Der Wannenhof

Wannenhof – den Namen gibt es erst seit sieben Jahren. Da war Andreas Schneid seit zwei Jahren wieder auf dem Hof, nachdem er zuvor aktiv im Sport und beruflich im Sportfachhandel unterwegs war. Doch fasziniert ihn immer wieder, wie die Kuhherde untereinander kommuniziert. Schließlich schien ihm die selbstständige Arbeit mit Tieren auf Dauer erfüllender und weder die beiden Schwestern noch sein Bruder hatten vor, in den Hof einzusteigen. Der Junior machte eine weitere Ausbildung, nun als Landwirt und besucht seit 2019 die Meisterschule in Weilheim. Den Hofnamen, Auftakt für ein bewussteres Vermarkten, leiteten Vater und Sohn Schneid von einem Flurstück ab, in dem sich die kleingegliederten eiszeitlich gebildeten Hügel wannenartig formen. Vater Schneid war, als er 1988 den Hof übernahm, beeindruckt von Walter Heim, einem Demeter-Bauern mit sieben Kühen und wunderbar vielfältigen Blumenwiesen, der sich schon damals für den Erhalt von Rindern mit Hörnern einsetzte: das war für ihn der Auslöser, auf Demeter umzustellen. Für Andreas ist neben der Liebe zu den Tieren ein weiterer Grund, dass das Biodynamische eine Landwirtschaft ermöglicht, die natürlich, einfach und ohne viel Technik funktioniert und dadurch langfristig interessant bleibt. In einen konventionell bewirtschafteten Betrieb wäre er vermutlich nicht eingestiegen.

Mehr Licht, weniger Arbeit: Investition neuer Stall

Im Februar konnten die Kühe und Kälber den neuen Offenfrontstall aus Vollholz beziehen, nach zwei Jahren Umbauarbeiten auf dem Hof. „Konventionell und ohne Hörner wären hier vielleicht fünfzig Kühe drin statt fünfunddreißig,“ meint Josef Schneid. Auch im Stall gibt es ein paar optimierende Besonderheiten: Der Tiefstallmist wird bereits bei eher geringer Höhe von 30 bis 40 cm auf die Dunglege an der Längsfront geschoben, so durchnässt er im Stall weniger, der Hof spart Einstreu. Der Mist wird so in regelmäßigeren Abständen zum Kompostieren aufgesetzt und präpariert. Gehäckseltes Stroh, Streu und Miscanthus müssen zukauft werden und werden in den Stall von oben eingeblasen und verteilt. Das Heu wird auf einem schmalen Futterband statt einem breiten Futtergang vorgelegt. Insgesamt ist der Stall so kompakt wie möglich gebaut. Gemolken wird weiterhin im bestehenden Anbindestall.

Die Braunviehherde ist standortangepasst: Seit ca. 25 Jahren wurden keine Tiere mehr zugekauft, der Betrieb setzt auf Kuhfamilienzucht mit fünf Linien, eigenem Deckstier und einem Nachwuchsstier. Die Zuchtziele gehen in Richtung Zweinutzungskuh. Die Tiere werden wieder etwas kleiner und kräftiger wobei die Milchleistung nicht vernachlässigt wird. „Die Züchtung mit eigenen Stieren hat unter anderem den Vorteil, dass ich den Charakter der Stiere kenne und auch unter welchen Bedingungen sie aufgewachsen sind“, so Josef Schneid.

Die Herde ändert sich: Kuhgebundene Kälberaufzucht

Dass die Kälber an den Kühen trinken dürfen, damit hat der Wannenhof seit fünf Jahren Erfahrung und sich beim Stallbau auf dieses Verfahren eingestellt. Offen ist aber noch das genaue System – hierzu vergleicht Andreas Schneid im Rahmen seiner Meisterausbildung gerade zwei Gruppen, in die die Herde aufgeteilt wurde: In der einen Gruppe können die Kälber jeweils vor den Melkzeiten für eine Stunde an den Kühen trinken. In der anderen trinken die Kälber erst nach dem morgendlichen Melken – sind dafür aber tagsüber bei den Kühen, die so nur noch einmal gemolken werden müssen.

Andreas Schneid findet es spannend, zu beobachten, wie sich die Herde mit Kälbern anders verhält, eher auf Zusammenhalt achtet, oder sich gemeinsam gegen den bellenden Hund aufstellt. Ur­instinke kommen plötzlich wieder zum Vorschein. Wobei nicht alle Kälber stets bei ihrer eigenen Mutter saufen wollen; gerade die Kälber aus der Zweimal-Melker-Gruppe haben nur eine lose Bindung zur eigenen Mutter. Auch in Bezug auf die Eutergesundheit erwartet der angehende Landwirtschaftsmeister neue Erkenntnisse aus dem Versuch.

Letztlich interessiert den Junglandwirt natürlich auch die ökonomische Seite, denn die Kälber saufen deutlich mehr Milch als bei der klassischen Eimertränke. Andreas Schneid rechnet mit mehr als 1200 Litern bei einer Mastzeit von vier Monaten. Setzt man den sehr guten Milchpreis der Heumilchbauern an, macht das die Kälberaufzucht richtig teuer. Andererseits sind die Kälber gesund, mehr als frohwüchsig und können mit vier Monaten für die Nachzucht abgesetzt oder mit ca. 200 Kilogramm Lebendgewicht geschlachtet werden. Beim Einmalmelken landet etwas mehr Milch im Tank, gegenüber etwas besseren Zunahmen beim zweimal Trinken. Wenn die kuhgebundene Aufzucht so optimiert werden könnte, dass der Verlust an Milchgeld durch Zuwachs an Fleisch und dessen Vermarktung annähernd kompensiert werden kann, wäre es für ihn ein Erfolg. Zumal eine Melkzeit weniger mehr Flexibilität für den Landwirt bedeutet!

Auslöser dafür, dass die Kälber nicht einfach an Landwirte oder Viehhändler verkauft werden, war die Auflage der Vermarkter, die Kälber vor dem Verkauf zu enthornen. Das brachte viele Demeter-Bauern zum Nachdenken und sie suchen nun Wege, die Kälber selbst aufzuziehen. Demeter-Betriebe, die Kälber mästen bzw. Färsen und Jungbullen, sind noch rar.

Heumilchbauern vermarkten gemeinsam

Aktuell sind es 35 Demeter-Landwirte, die zu den Demeter-Heumilchbauern gehören. Neben dem Demeter-Label und dem Hinweis auf Heu und Hörner loben sie auch die kuhgebundene Kälberaufzucht aus. Dadurch und durch die Vermarktung in Eigenregie erzielen sie einen besseren Preis als zuvor, als sie noch an die Molkerei lieferten. Einmal im Monat treffen sie sich zur Besprechung, entscheiden gemeinsam ihre weitere Entwicklung, verteilen Aufgaben. Die Geschäfte führt Rolf Holzapfel, selbst Demeter-Landwirt. Die Heumilchbauern lassen die Milch selbst abholen und arbeiten mit acht Bio-Molkereien der Region zusammen. Drei Sorten Milch, Quark, Joghurt, Butter, Sahne und vier Käse ent­stehen so, u.a Hornmilchkäse. Auch die Vermarktungswege sind divers: Das Sortiment – darunter auch Kalbfleisch und Wurstpro­dukte – wird über den Naturkostfachhandel und den Lebens­mitteleinzelhandel verkauft, vor allem im Südwesten Deutschlands. Immerhin sieben Mio. Liter werden so vermarktet, das ermöglicht es Landwirten, auf Effizienz zu setzen statt auf Maximierung, mal was Neues dem Tier zuliebe zu wagen, statt allein technischen Fortschritt zu nutzen.

Bei den Schneid‘s werden alle Kälber und Kühe direktvermarktet. Damit die Tiere so stressfrei wie möglich geschlachtet werden, haben Vater und Sohn mit einigen Helfern einen Schlachtanhänger gebaut. Das Tier wird direkt vor dem Stall fixiert, mit dem Bolzenschuss betäubt und dann mit einer Seilwinde in den Anhänger gezogen. Dort kann das Tier entbluten. Metzger Werner Schönberg nimmt den Hänger mit dem Tier mit zu seiner Schlachtstätte und zerlegt es dort. Gekühlt, vakuumiert und in Einzelstücke zerlegt wird es dort abgeholt und an die Kunden weitergegeben. Die eMail Verteilerliste zählt mittlerweile über 250 aktive Kunden. In regelmäßigen Abständen können auch kleine Mengen an Fleisch und Wurstwaren vom Kalb und Rind bestellt werden. Die Kunden werden zuvor telefonisch, per eMail oder WhatsApp informiert.

Menschen statt Maschinen

Solange Andreas noch die Meisterschule besucht, hilft Lehrling Rebecca auf dem Hof. Das ist überhaupt die Perspektive für Andreas und Josef: Menschen statt Maschinen auf den Hof zu holen. So können sich regelmäßig Praktikanten verschiedener Waldorfschulen aus ganz Deutschland bei den Arbeiten auf dem Wannenhof erproben. Das meist dreiwöchige Praktikum der Schüler in den Klassen 7 bis 9 gehört zum Waldorf-Lehrplan. Im Herbst und Frühjahr versammelt sich die regionale biodynamische Arbeitsgemeinschaft in der Scheune des Hofs für die Treffen zum Herstellen der biodynamischen Präparate. Und im Winter lesen die Bauern gemeinsam in Steiners Landwirtschaftlichem Kurs.

Um mehr Menschen mit dem Hof zu vernetzen, will Andreas die Direktvermarktung weiter ausbauen. Ein Kühlschrank mit frischer Milch und Wurstwaren aus der eigenen Vermarktung mit einer Vertrauenskasse könnte er sich gut vorstellen. Auch Produkte aus der Liefergemeinschaft könnten mitvermarktet werden, sozusagen ein Hofladen im Schrank. Die frisch gestarteten Kuhpatenschaften verfolgen das Ziel, Kunden mit dem Hof zu verbinden und den Betrieb bei seinen Bemühungen ums Tierwohl zu unterstützen. Für 120 Euro im Jahr wird der Pate regelmäßig informiert, darf für das Kalb einen Namen aussuchen, erhält eine Urkunde und einen Warengutschein über 40 Euro. Eine weitere Idee für die Vermarktung hat der Jungbauer noch: einen Webshop mit eigenen und regionalen Demeter-Produkten, über den einmal die Woche vermarktet werden kann. Das könnte für die ganze Liefergemeinschaft der Heumilchbauern ein spannendes Konzept sein. Die Projekte gehen den Schneids nicht aus – genug zu tun für den Hofnachfolger.

Wannenhof

  • Reiner Grünlandbetrieb nahe Kempten/Allgäu auf 860m ü. NN,

  • Demeter seit 1989,

  • 39 ha, davon 0,66 ha Wald, eiszeitlich geprägte, kiesig-lehmige Böden, Ertragsmesszahl 3460 je ha,

  • im Jahresdurchschnitt 6,7 °C, 1018 mm Niederschlag,

  • 33 Braunviehkühe plus Nachzucht, eigener Bulle (Kuhfamilienzucht),

  • kuhgebundene Kälberaufzucht, m.o.w. saisonale Abkalbung,

  • Heumilcherzeugung, Kälbermast, Landschaftspflege, Kuhpatenschaften,

  • 100 kW Fotovoltaik (zu 30 % selbst genutzt, u.a. eAuto),

  • Vermarktung über EZG Demeter-Heumilchbauern Süd w.V., Fleisch ab Hof,

  • Hofschlachtung mit eigenem Schlachtanhänger,

  • Waldorfschulpraktikanten,

  • Ca. 3 AK: Betriebsleiter, Nachfolger, Familie, zeitweise Azubi.

  • Wannenhof, Josef und Andreas Schneid, Kindberg 3, 87490 Haldenwang. www.heumilchbauern.de