Portrait

Bio rockt! Umstellen auf Vielfalt

Gilt für Björn und Johanna Scherhorn

von Michael Olbrich-Majer

Es hat einen Hauch von Bullerbü, wenn man zum Hof Scherhorn kommt: Am Ende des verschlungenen Sträßchens, hinter Wiesen, Hecken, Entwässerungsgräben und kleinen Wäldchen leben Björn und Johanna Scherhorn auf einem stimmungsvollen Fachwerkgehöft mit einem blonden Quartett kleiner Kinder, die wie selbstverständlich auch beim Arbeiten mit dabei sind. Ein paar Ostfriesische Silbermöwen-Hühner laufen eilig durch den Regen, während Klein-Thore bei Papa Björn auf dem Radlader sitzt und Futter in den Stall bringt. Doch damit das Leben und Arbeiten in Harmonie gelingt, waren neben der fordernden Arbeit als Landwirte Entscheidungen und Investitionen nötig Bauer Björn spricht von einer Umkehr: zurück zur Vielseitigkeit und Vielfalt, die Landwirtschaft bieten kann.

Neustart: Jung mit Tradition

Das Umdenken begann mit Mitte dreißig: Ganz selbstverständlich war Björn in die Fußstapfen seines Vaters getreten, hatte nach der Ausbildung, u.a. auf Haus Riswick, 2004 mit 23 Jahren den Hof von ihm gepachtet und als konventionellen Gemischtbetrieb weitergeführt, Kühe, Mast von Bullen und Schweinen, Zuchtrinder, Getreide. Was auch sonst – schließlich hat der Hof am Rande des Suddenmoors eine dokumentierte Tradition seit 1299. Und die Landwirtschaft hier ist eher konservativ geprägt: die nur ein Prozent Bio-Betriebe im Kammerbezirk werden eher als Blockierer von Flächen gesehen. Aber Björn spürte eine Mischung aus Zweifel und Sehnsucht bezogen auf das Landwirt-Sein, auch wenn er 11.000 Liter molk und erfolgreich Zuchttiere verkaufte. Zum Beispiel Enthornen: „Mit der Zeit sinkt die Hemmschwelle,“ stellte er fest. Zugleich vermisste er die Lebendigkeit im effizient geführten Betrieb, kaum Schwalben, nix los auf den Feldern und Wiesen. „Als kleiner Junge habe ich hier noch Kiebitznester umgesetzt.“ Er begann, die Denkmuster konventioneller Landwirtschaft zu hinterfragen. Und kam zum Schluss: zurück auf Neustart!

Anstelle sich allein an betriebswirtschaftlichen Aspekten zu orientieren, setzte der Betriebsleiter nun andere Ziele: „Früher Kopf – heute Sinn!“ Statt einsamer Höchstleistung sollte es wieder lebendiger werden auf dem Hof, „Bauer sein heißt mehr als nur abliefern“. Es sollte sich wieder gut anfühlen, Lebensmittel zu erzeugen und statt allein von Molkerei, Vieh- und Landhandel abhängig zu sein, sollten es viele Standbeine werden. Das aber geht nicht von heute auf morgen. Aber er konnte seine Erfahrung nutzen: im Zivildienst war er als Betriebshelfer auf acht Betrieben, jeder anders geführt, das schärft den Blick. Und: „Ist es nicht die Aufgabe gerade des Bauern, langfristig zu denken?“

Umstellung – auch der Verfahren

Der erste Schritt, 2016 die Umstellung auf Ökolandbau – war erst möglich, als eine Molkerei die Milch nahm – in der Nähe ist hier keine. Über einen Biokreis-Nachbarn kam der Hof zur BMG (Berliner Milcheinfuhr Gesellschaft), die aber im gleichen Jahr Konkurs anmeldete. Wieder suchen, nach Husum ging dann die Milch, auch Bio, aber mit Transportkostenabschlag. Aktuell liefert Björn zusammen mit anderen Demeter-Höfen Milch für die „NordFrische Bauernmilch“ zu Edeka, abgefüllt vom Luisenhof. Überhaupt: Infolge der BMG-Pleite klärte der Landwirt intensiv weitere Vermarktungsoptionen, kontaktierte einen mobilen Käser, klapperte regionale Bioläden und Nahversorger ab, wo der Tilsiter und Bergkäse aus der Milch der Scherhorn-Kühe – aus „geteilter Milch“– verkauft wird.

Die Umstellung zeigte sich vor allem im Stall: Die Grundfutterleistung je Kuh stieg mit dem Kraftfutterverzicht deutlich an Die Tiere können hier schon im Februar raus. Bei kraftfutterintensiven Betrieben kostet Weide dagegen Milchleistung. Bei 5.200 Litern ist aktuell der Schnitt, allerdings sind da noch 1.300 – 1.500 Liter zu addieren, denn die Scherhorns lassen die Kälber von Kühen aufziehen – geteilte Milch – und mästen sie auf der Weide aus.

Erste Maßnahmen für mehr Vielfalt ging der Landwirt ebenfalls an, die größte ist wohl die Umwandlung von Äckern in Wechselgrünland. Das gelang gut und insgesamt gab es in der Bio-Umstellung der Außenwirtschaft durch den hohen Grünlandanteil wenig Probleme.

Nach wie vor ist der Betrieb beim Biokreis-Verband: Doch die Scherhorns fanden sich zunehmend im ganzheitlichen Demeter-Ansatz wieder. Und der Boden! Björn war tief beeindruckt von einem Besuch beim Demeter-Hof von Herrmann Maßmann ein paar Orte weiter: fluffig und voller Leben. Zweifel hatten sie aber, wie das mit dem Anthroposophischen gehandhabt wird. Und sich nach der Abgrenzung zu den konventionellen Kollegen jetzt auch noch von den Bio-Kollegen abgrenzen? Doch begegneten sie bei Demeter gelebter Toleranz und überzeugender Offenheit. Als dann Molkerei und Liefergemeinschaft fragten, wurden die Scherhorns auch Mitglied bei Demeter.

Die ersten Anwendungen der biodynamischen Präparate führte der von Demeter im Norden organisierte Präparateservice aus, Horn­mist, Hornkiesel und Fladenpräparat. Daneben impft Björn die Gülle mit Heu-Tee und stellt auch Komposttee her, versetzt den Kompost aus separierter Gülle und Hackschnitzeln auch mit Pflanzenkohle.

Vielfalt durch Wechselwirtschaft

260 Vollweidetage sind am Standort möglich – also warum nicht mehr auf Ackergrünland setzen, auch der Biodiversität halber. Das Gras-Klee-Kräutergemenge etablierte der Betrieb durch Untersaat in Ackerfrüchte. Für Getreide nutzt der Betrieb nur noch 9 Hektar, den lokalen BioBäcker im Blick, im Mischfruchtanbau mit Erbse, Leindotter oder Öllein. Auch Hirse mit Leindotter hat Björn schon angebaut. Die Mischsaat spart das Striegeln und mindert gerade in den Dürresommern das Risiko eines Ernteausfalls. Und es blüht! Das Feld wird auch zur Bienenweide. Das Einbringen der Erntereste geschieht mit zwei Fräsgängen statt mit dem Pflug. Wenn nach dem Wechselgrün dann Weizen steht, kann die Ernte auch schonmal ordentlich sein, 9 t je Hektar hat der Bauer im Jahr 2020 eingefahren. Der Raps danach war ein Tummelplatz für Nachtfalter – halt bio – und im Ertrag auch recht gut.

Neben der Wechselwirtschaft bringen die Scherhorns eine Reihe Maßnahmen zum Wiederetablieren von Vielfalt auf den Weg. Ein ca. 350 qm großer Teich ist angelegt und soll erweitert werden, der Aushub ist als „Naschwall“ für Tier und Mensch bepflanzt, ein Hektar Streuobstwiese mit reichlich Gießen gepflanzt, breite Blühstreifen locken Insekten an und bieten Deckung. Entlang der Tränkeleitungen sind ebenfalls fruchttragende Gehölze gesetzt. Der Landwirt hat zudem begonnen, Flächen wiederzuvernässen, hat mit Metallplatten Abflussgräben abgeriegelt, um die ursprünglichen naturnahen Standortbedingungen und damit entsprechender Flora und Fauna mehr Möglichkeiten zu geben. Bei Dürre ein Vorteil.

Ins Grünland werden gezielt Kräuter nachgesät – das steigert auch Futteraufnahme, Tiergesundheit, Käsequalität und mindert den Methanausstoß. Spitzwegerich, Schafgarbe, Wiesenknopf, Zichorie, Pastinake – mehr Wurzelvielfalt hilft auch, Verdichtungen im Unterboden aufzulockern. Die Entwässerungsgräben werden nur auf einer Seite ausgemäht, so bleibt der Bewuchs als Gliederung und Kleinbiotop. Generell will Björn noch mehr gegen den oft kühlen bzw. austrocknenden Wind tun – Hecken und Agroforstelemente sollen auf den betroffenen Flächen noch dazu kommen. In diesem Jahr will der Betrieb sich ein insektenschonendes Doppelmessermähwerk mit 6 m Arbeitsbreite zulegen. Bei der Weidetechnik haben Scherhorns durch die Arbeit von Edmund Leisen gelernt, so praktizieren sie Kurzrasenweide auf ihrem Grün.

Zucht als Werkzeug für Stall und Weide

Genug Platz im Laufstall und der Verzicht auf Transponder minimiert die Rangkämpfe der überwiegend schwarzbunten HF-Herde. Gemolken wird im Doppel-Dreier Tandemstand. Der Aufbau einer horntragenden Herde hat gerade erst begonnen. Eingekreuzt werden teils Fleischbullen (Blonde Aquitaine), teils Jersey für die Milchleistung und kleinere, futter- und standortangepasste Kühe. Die zuständigen Bullen laufen mit. Das bringt Ruhe in die Herde, hat Björn beobachtet, die Kühe sind entspannter, kein Bespringen mehr und die Bullenkälber schauen zu, wie das Decken geht. Ziele sind Weideleistung, Fleischansatz, gute Klauen und natürlich Hörner. Die Kälber bleiben bei den Kühen und lernen von ihnen u.a. die Weidekräuter kennen. Die nicht zur Nachzucht benötigten werden mit 7 bis 8 Monaten als Weidekalb geschlachtet und vermarktet. Zum regionalen Schlachter sind es 20 Minuten: ist das Tier bereits die Nacht zuvor auf dem Hänger, ist es auch ruhig. Der Vertrieb läuft in erster Linie über den konventionellen Versender „Kalieber.de“ sowie über Demeter-Landbauerzeugnisse, Witten und ab Hof.

Bienen, Kinder und Famile

Seit diesem Jahr stehen auch ein paar Bienenvölker im Garten. Von dem Projekt „BienenHaltenHof“ der Demeter Beratung (gefördert vom Bund) hat sich Johanna anstecken lassen, ganz im Sinne des Mehrens von Vielfalt. So hat sie mit Freude angefangen zu Imkern, vom Demeter-Imker Mirko Lunau unterwiesen und begleitet in wesensgemäßer Bienenhaltung. Landwirte sollen mit dem Projekt Freude und Nutzen der Imkerei wiederentdecken. Auch werden in diesem Rahmen verschiedene Beuten auf Handhabbarkeit durch die Landwirte getestet. Für Johanna eine willkommene Abwechslung, kann sie hier doch in Ruhe arbeiten, denn vier Kinder zwischen vier Jahren und vier Monaten – Thore, Haldor, Alma und Svala – sind auch fordernd. Das Paar teilt sich die Arbeit in Feld und Stall, Haushalt und Kinderbetreuung soweit es geht, bei Rechnungen und Buchhaltung bringt Johanna, noch ohne abgeschlossene Ausbildung, ihre Stärken ein. Und Johannas Vater, Thomas Nillies, ebenfalls Landwirt, ist ins Nachbardorf gezogen und hilft regelmäßig mit auf dem Betrieb. Kennengelernt haben sich Björn und Johanna, die aus Ahlen stammt, übrigens auf den Ökofeldtagen vor sechs Jahren.

Das Gute vorleben: kreativ nicht nur als Bauern

Natürlich ist längst nicht alles fertig, gibt es noch reichlich zu tun, was die beiden aber eher freut. So viele Möglichkeiten! Zum Beispiel Kurzumtriebsplantage mit Fruchtgehölzen oder mittelfristig ein Hofladen. „Mit Bauch, Herz und Verstand im Einklang wird das auch was!“ Gerade bauen sie einen neuen Jungtierstall, beim alten hatte die Kontrolle die zu große Spaltenbreite moniert. Und wenn man einmal anfängt: Der angrenzende Altstall wird nun teils zum Getreidelager, teils ergänzt er den Jungtierauslauf mit Kalbinnenabteil, Ammenbereich und Absetzerbucht. Investitionen wurden und werden möglichst mit eigenem Geld getätigt, auch das gehört zum Konzept von Hof Scherhorn: keine Abhängigkeit von der Bank, was einen dann lange in den Möglichkeiten einschränkt. Oder es werden Kunden und Interessierte eingebunden, so wie beim Agroforst, „Gute-Taten- Wald“ nennt Björn seine Aktion, bei der Spender mit einer Plakette auf dem Baum verewigt werden. Björn ist rührig auf Facebook und Instagram, das lockt im Sommer auch viele Fahrradtouristen auf einen Abstecher zur Hofführung. Und für die Kontakte vor Ort in der Bio-Region Hasetal sind Social-Media-Aktivitäten sehr praktisch, u.a. für die Vermarktung von Fleisch ab Hof. So haben auch das BMEL und der TV Moderater Eckard von Hirschhausen den Hof zum Filmen entdeckt. Denn Bio rockt! – so das Motto der beiden, präsentiert auf Hofflagge und T-Shirt: #vorlebenstattnachgeben. „Denn wir sind alle Eltern der Gegenwart.“ Für Björn und Johanna wird der Hof so rund, die beiden sind gerne Bauern. Und die Schwalben sind wieder reichlich da.

Autor: Michael Olbrich-Majer
Redaktion Lebendige Erde
michael.olbrich(at)demeter.de

Hof Scherhorn

  • 1299 erstmals erwähnter Hof im Oldenburger Münsterland (Artland)

  • Demeter seit 2021, Bio seit 2016 (Biokreis)

  • anlehmiger Sand, 30-41 Bodenpunkte, teils entwässerte Moorböden – hoher Grundwasserstand, 10,3 C und ca. 830 mm Niederschlag im Jahresdurchschnitt

  • 86 ha, davon 10 Acker, 55 Ackerweide, 20 ha Dauergrünland (12 ha extensiv), 1 ha Streuobst, 3,5 ha Wald, weitgehend arrondiert

  • 65 – 70 Milchkühe plus Nachzucht, kuhgebundene Aufzucht, SB (HF) + Kreuzung mit Blonde Aquitaine, Fleckvieh (Fleisch) bzw. Jersey (Milch), eigene Zuchtbullen, Kälbermast, Schafe und Hühner alter Rassen, Bienen, Tauben

  • Vermarktung über Molkerei (Nordfrische) sowie mobile Käserei für den Direktverkauf bzw. nahe Bioläden/lokale Versorger; Fleisch v.a. zusammen mit Kalieber.de (Versand), Getreide für eine regionale Biobäckerei

  • Arbeitskräfte: Familienbetrieb plus Schwiegervater und Melkhelfer in Teilzeit, ca. 2 AK

    Björn und Johanna Scherhorn, Zur Scheren 1, 49629 Berge, Tel.: 05435 954031, www.hof-scherhorn.de,
    Twitter und Facebook: Hof Scherhorn