Schwerpunkt

30% Bio

Was bedeutet das für die Wertschöpfungskette?

Fragen: Katrin Bader

30% Bio-Anbaufläche und ein entsprechender Anteil am Lebensmittelmarkt bis 2030 – das ist das Ziel der Bundes-regierung. Aktuell sind wir bei 10,8% Flächenanteil und 6,8% Bio-Umsatz-Anteil am Lebensmittelmarkt. Wie kann es in den kommenden Jahren gelingen, das 30%-Ziel zu erreichen? Dazu haben wir die BÖLW-Vorstandsvorsitzende Tina Andres (TA) und den geschäftsführenden Vorstand, Peter Röhrig (PR), befragt.

Kann das 30%-Ziel bis 2030 erreicht werden? Ist das (noch) realistisch?

TA: Dass der Umbau drängt, das ist Konsens. Das Ziel ist ambitioniert aber schaffbar. Wenn wir auf die dramatische Entwicklung um die Klimakrise und das Artensterben schauen, sind 30% Bio noch zu wenig. Und nun kommen die furchtbaren Folgen des Ukraine-Kriegs zu den Umweltkrisen noch hin, was die Dringlichkeit des Umbaus noch verstärkt.

PR: Auf den Flächen hatten wir in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Jahre mit einer guten Umstellungsdynamik, die zeigt, dass 30% Bio bis 2030 drin sind. Und bei der Nachfrage zeigt der Bio-Umsatz, dass die Kunden längst dabei sind.

Was muss jetzt dafür getan werden – politisch?

PR: Bio muss bei allen Gesetzen und Investitionen mitgedacht werden. Die Öko-Ziele von Bund, Ländern und EU sind aber noch nicht im Einklang mit der konkreten Politik. Beispiel Agrarpolitik: Bei den aktuellen Plänen Deutschlands für die neue EU-Agrarpolitik sieht der Bund bisher zu wenig vor, um Öko-Höfe zu unterstützen. Bio-Betriebe sollen sogar absurderweise von bestimmten Förderprogrammen ausgeschlossen werden. Das ist fatal. Es gibt schließlich fast keinen Sektor, der so stark reguliert und durch Steuergeld gestaltet wird wie die Landwirtschaft. Und dazu zählt maßgeblich, ob die Milliarden Euro der EU-Agrarpolitik die Umwelt-Leistungen der Öko-Landwirtschaft tatsächlich honorieren. Oder ob Bio benachteiligt wird. Davon hängt ab, ob die vielen umstellungswilligen Bäuerinnen und Bauern sich wirklich für Bio entscheiden können.

TA: Genauso entscheidend ist es, einen Markt für mehr Bio in Deutschland zu gestalten und für verarbeitende Unternehmen nachhaltiges Wirtschaften möglich und attraktiv zu machen. Investitionsförderung etwa ist aktuell faktisch nicht daran gebunden, ob Sie eine Bio-Mühle oder ein Kohlekraftwerk gefördert haben wollen. Das verhindert Nachhaltigkeit. Wer 30% Bio will, muss auch 30% der Agrarforschung ökologisch gestalten, 30% Bio in die Kantinen bringen, in die Ausbildung von Praktikern und deren Lehrkräfte investieren. Was Öko-Agrarforschung angeht, liegen wir derzeit bei einem lächerlichen Anteil von 2%.

Wer zahlt das?

TA: Es geht unter dem Strich nicht um mehr Geld, sondern darum, das Geld anders zu investieren. Denn wir zahlen ja bereits heute einen hohen Preis. Allein die Umweltschäden der deutschen Landwirtschaft summieren sich auf jährlich 60 Mrd. € und übersteigen die Brutto-Wertschöpfung des Sektors. Wer zahlt denn die verfehlte Agrarpolitik und deren enorme Umweltschäden heute? Wir alle! Je länger wir warten, desto teurer wird’s.

PR: Richtig. Bei der Ernährungswende ist es deshalb wie im Energiesektor, wo mehr in Erneuerbare Energien investiert wird und weniger Subventionen in Systeme fließen wie Kohle, die man als schädlich erkannt hat.

Wie kann es gelingen, die dazu fehlenden 20% aller Betriebe zu überzeugen?

PR: Das Umstellungsinteresse ist ja da bei den Höfen. Auch die Kunden kaufen immer mehr Bio. Dieses Potenzial müssen der Bund und die Länder mit guten, stabilen Rahmenbedingungen heben. So dass die Höfe mit Sicherheit sagen können: Bio, das ist meine Zukunft, hier geht die Reise hin.

TA: In der Vergangenheit hat sich Bio trotz der Politik entwickelt. Diese Regierung hat die große Chance, die Ernährungswende gemeinsam mit Wirtschaft und Gesellschaft zum Erfolg zu machen. Dafür müssen alle, die Bio machen oder unterstützen wollen, deutlichen Rückenwind seitens der Regierenden spüren.

Was bedeutet das für die Akteure der Bio-Branche in der Wertschöpfungskette – sind die darauf eingestellt?

TA: 30% Bio in der Fläche gelingen nur, wenn auch Verarbeitung, Handel und Außer-Haus-Verpflegung mitentwickelt, sowie Maßnahmen für die Ausbildung von Fachkräften ergriffen werden. In den letzten 15 Jahren wurde der Bio-Umsatz fast verdreifacht, die Zahl der Bio-Bauernhöfe und -Unternehmen im nachgelagerten Bereich mehr als verdoppelt. So wird es weitergehen müssen. Auch mit einer Ernährungsstrategie will die Ampel die Weichen dafür stellen, dass Menschen lernen, gesund und planetenfreundlich zu essen.

Damit die Bürger eine informierte Entscheidung treffen können, müssen wir alle wieder lernen, wie unsere Nahrungsmittel produziert sind, wie unser Essen wirklich auf die eigene Gesundheit und den eigenen ökologischen und klimatischen Fußabdruck wirkt.

PR: Es ist gut und wichtig, dass sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag 30% Bio-Fläche und auch die Entwicklung der gesamten Bio-Wertschöpfungsketten vornimmt. Die Ernährungswende gelingt am Ende aber nur gemeinsam mit den Bürgerinnen, unseren Partnern in den NGOs und aus der Wissenschaft.

Was tun der BÖLW und seine Mitgliedsverbände dafür?

PR: Wir sorgen dafür, dass die Regierenden in die Praxis hineinhorchen können und wissen, was es vom Acker bis zum Teller braucht für Transformation.

TA: Richtig! Das betrifft Rahmenbedingungen für jeden Hof, Mühle oder Laden ebenso wie Aus- und Fortbildungsstrukturen, Veränderungen in der Forschung, den nachhaltigen Umbau von Steuersystemen und Preisbildung und vieles mehr. Die Betriebe brauchen Sicherheit, dass sich die Wirtschaftsbedingungen nicht alle Naselang ändern. Denn neben guten Bedingungen ist die Verlässlichkeit ebenso wichtig.

Reichen 30% Bio aus?

PR: Über kurz oder lang wird Bio das neue Normal sein. Auf dem Weg dahin ist es gut und hilfreich, Zielmarken wie die 30% zu haben. Das macht Transformation konkreter und operationalisierbar für Politik ebenso wie für Unternehmen und Gesellschaft.

TA: Unsere Ernährung wird komplett erneuerbar werden müssen, wie es auch unsere Energieversorgung sein wird. Oder um es mit den Worten von Felix Löwenstein, meinem Vorgänger beim BÖLW, zu sagen: wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr.