Schwerpunkt

Kulturlandinseln

Landschaft entwickeln auf Betriebsebene

von Dr. Thomas van Elsen

Landschaft hat etwas mit „Land schaffen“ zu tun. Die mitteleuropäischen Kulturlandschaften sind Ergebnis der Landbewirtschaftung: Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Artenvielfalt in Deutschland ihr bisheriges Maximum erreicht. Heute dagegen gilt die Landwirtschaft als Hauptverursacher des Artenschwundes, über den Naturschützer in Roten Listen Buch führen.

Jeder ökologisch wirtschaftende Hof hat die Möglichkeit, sich zu einer Kulturlandinsel zu entwickeln. Vor einem Vierteljahrhundert nahm die für das Bundesamt für Naturschutz (BfN) erstellte Studie „Praxisansätze und Naturschutzpotenziale auf Höfen des Ökologischen Landbaus zur Entwicklung von Kulturlandschaft“ 16 Höfe in Deutschland unter die Lupe, deren Betriebsleiter auf ganz unterschiedliche Weise Maßnahmen zur Entwicklung artenreicher Kulturlandschaft umsetzten.1 Die einen holten sich Spezialisten auf ihre Höfe, die Pläne erstellten, die als „großer Wurf“ umgesetzt wurden. Andere versuchten, sich selbst in die „Eigenart“ der jeweiligen Landschaft einzuleben und tastend konkrete Maßnahmen auszuprobieren. Deutlich wurde auch: es mangelte an Fachwissen und an Beratung. Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan, wenn auch der Intensivierungsdruck auf Wirtschaftsflächen auch von Biobetrieben die Artenvielfalt weiter verarmen lässt: Die mechanische „Beikrautregulierung“ auf Äckern wird weiter optimiert, Kurzrasenweiden sowie früher und häufiger Schnitt zur Gewinnung eiweißreichen Futters lassen im Grünland kaum noch Pflanzen zur Blüte bzw. zum Aussamen kommen.

Ansätze einer aktiven Landschaftsgestaltung in der Landwirtschaft sind nicht neu. In der Goethezeit gab es die Bewegung der Ornamented Farm – der „geschmückte Bauernhof“, bei dem Impulse der englischen Landschaftsparks auf die Kulturlandschaft übertragen und erweitert wurden.2 Landschaftsgestalter wie Lenné und Fürst Pückler gestalteten landwirtschaftlich genutzte Land­schaften mit dem Ziel, Veranlagtes aufzugreifen und die Natur über sich selbst zu erhöhen; Wörlitz bei Dessau und der grenzüberschreitende Landschaftspark in Bad Muskau sind erhalten gebliebene Beispiele. Marcus Sperlich hat bei der Umstellung des ehemaligen Volkseigenen Guts Schmerwitz auf biologisch-dynamische Wirtschaftsweise solche Gesichtspunkte zugrunde gelegt und in die Jetztzeit übertragen. (vgl. LE 1-98) „Zum Schrecken der Traktoristen“ wurden bogig verlaufende Hecken, Baumgruppen und Einzelbäume als sichtbare Bezugspunkte angelegt; Feldholzinseln, Lesesteinwälle als Trockenbiotope für Reptilien – eine Landschaft lässt sich nicht nur zweckmäßig, sondern auch schön gestalten. Angeknüpft hat er dabei an alte Karten, Fotos und Berichte von Dorfbewohnern, die noch Erinnerungen an die Zeit vor der Zwangskollektivierung und Felderzusammenlegung zur DDR-Zeit hatten. Auch Landschaften haben ihre Biographie, an die es anzuknüpfen lohnt. Kommen genaues Beobachten, Wahrnehmen der Landschaft als Ganzes, der Pflanzen, Tiere und Gesteine hinzu, kann sich schrittweise eine lebendige innere Erfahrung und ein Vertrautwerden mit dem Charakter eines Ortes bilden. Das bewusste Miterleben der Naturphänomene führt zu einer Reflexion der individuellen Blickrichtungen und eigenen Gestaltungsimpulse und schafft damit die Grundlage für eine partizipative Gestaltung und Entwicklung von Landschaft.

Landschaftsentwicklung wird damit zum Übungsweg – hier leisteten die von Jochen Bockemühl (†2020) begründeten „Landschaftswochen“ Pionierarbeit. Dabei stand ein übendes Wahrnehmen, Erkennen und Gestalten von Landschaft und eine Zusammenarbeit und Unterstützung von Initiativen an unterschiedlichen Orten im Mittelpunkt. Viele der von der Europäischen Akademie für Landschaftskultur PETRARCA später fortgesetzten Seminarwochen fanden auf biologisch-dynamischen Höfen statt, etwa in den Vogesen, in Norwegen, Deutschland und den Niederlanden. Viele Anregungen zum Erüben von Fähigkeiten und Erkennen und Gestalten von Landschaft sind in dem Buch Landschaft – eine innere Entdeckungsreise. Wege zu einer lebendigen Beziehung des Menschen mit der Natur verfügbar.3

Höfe und Maßnahmen

Die praktische Umsetzung hängt nicht zuletzt davon ab, ob es Menschen auf Höfen gibt, denen Landschaftsentwicklung ein Anliegen ist, aber auch davon, ob „helfende Hände“ zur Umsetzung verfügbar sind. Ein besonderes Potenzial haben Höfe der Sozialen Landwirtschaft, die landwirtschaftsfremde Menschen integrieren und die „soziale Inklusion“ um das Ziel der „ökologischen Inklusion“ erweitern – also das Ziel, sich um Menschen mit Unterstützungsbedarf zu kümmern, um das Ziel der Unterstützung der Natur ergänzen! Zum Beispiel „Die Fleckenbühler“: Auf dem in Eigenregie von Suchtkranken betriebenen Demeter-Betrieb hat Klaus Renner über 25 Jahre eine Landschaftspflegegruppe angeleitet, die neben der Waldbewirtschaftung gezielt die Kulturlandschaft pflegt. Dabei werden die vor dreißig Jahren zum Erosionsschutz angelegten Hecken abschnittweise gepflegt, artenreiche Wiesen zur Förderung seltener Schmetterlinge be­wirt­schaftet, Nisthilfen angelegt und Obstbaumwiesen entwickelt. Mit behördlicher Unterstützung hat Landwirt Uwe Weimar einen Bachlauf renaturiert. Auf den Feldern wachsen seltene Ackerwildkräuter, etwa der Acker-Hahnenfuß. Weil ein Naturschutzprogramm Übergangszonen förderte, wurden solche durch Offenlandstreifen in bestehenden Feldgehölze angelegt – wie überall brauchen die Maßnahmen eine finanzielle Gegenbuchung, um nachhaltig in das Wirtschaften einbezogen werden zu können.

Landschaft in Wert setzen – von Regiosaatgut bis zur Laubheuernte

Einer der in die damalige BfN-Studie einbezogenen Höfe ist der Lämmerhof von Detlef Hack in der Nähe von Lübeck. Schon damals legte er Gewässer und neue Knicks, die für Schleswig-Holstein typischen Wallhecken, an und setzte ein trockengelegtes Niedermoor wieder unter Wasser (vgl. LE 5-2010). Inzwischen ist es ein Brut- und Rastgebiet für zahlreiche Vogelarten geworden. Ein neu hinzugepachtetes Getreidefeld war mit großen Mengen Kornblumen verunkrautet. Verunkrautet? Die Kornblumensamen wurden bei der Ernte herausgereinigt und an Rieger-Hofmann verkauft, den führenden Erzeuger vor Regio­saatgut in Deutschland, der jedoch kaum ökologisch erzeugte Saaten im Angebot hat – der Deckungsbeitrag war höher als der erwartete Weizenertrag.

Bei einem Hofbesuch vor drei Jahren war Detlef Hack gerade mit seiner Getreidereinigung beschäftigt, umgeben von diversen Bigpacks: „In diesem Sack ist Saatgut für 40.000 Euro“, sagt er lachend. Bei der Rundfahrt über seine Flächen halten wir auf einer mageren Fläche, die früher als „Ödland“ bezeichnet worden wäre: „Hier ernte ich Klappertopf, es ist eine meiner wertvollsten Flächen!“ Denn inzwischen ist die Verwendung von Regiosaatgut bei Ansaaten von Begrünungsmaßnahmen gesetzlich vorgeschrieben und wird benötigt. In den Gewächshäusern, in denen zuvor Gurken und Tomaten unter Glas gewachsen sind, sind auf ausgebreiteten Folien auf dem Boden unterschiedliche große Haufen mit Pflanzenmaterial zum Trocknen ausgebreitet. Wildpflanzensaatgut ist ein nachgefragtes Produkt – und Biodiversität wird in Wert gesetzt!

„Heute sind alle Hecken Heckenbrachen“ schrieb vor Jahren ein Witzenhäuser Agrarstudent in seiner Bachelorarbeit über Hühnerhecken im Ökologischen Landbau.4 Derzeit erleben Gehölze im Bemühen um „regenerative Landwirtschaft“ eine Renaissance. Ausgehend von „Kurzumtriebsplantagen“ hat sich der Blick auf Agroforstsysteme und Keyline Design zum Erosionsschutz und zum Speichern von Wasser in der Landschaft erweitert. Neben den vielen Möglichkeiten, Gehölze als Brennholz und Überhälter sogar als Bauholz zu nutzen, werden Beerenobst und die Ernte von Heckenaufwuchs als diätetisch wirksames Futter interessant. Besonders in der Sozialen Landwirtschaft bietet sich an, mit vielen helfenden Händen hier aktiv zu werden. Zum Beispiel auf dem Bauckhof Stütensen, wo Menschen mit Assistenzbedarf unter Anleitung des Landwirts Jörg Timme-Rüffler regelmäßig Winterfutter als Laubheu gewinnen. Die belaubten Zweige werden bevorzugt vor Johanni geerntet und zum Trocknen aufgehängt – giftige Arten wie das Pfaffenhütchen oder dornige und stachlige Gehölze werden ausgeklammert. Die Ernte geschieht abschnittweise und verjüngt die Hecken; das Futter kommt der Gesundheit der Wiederkäuer zugute und ist eine wertvolle Ergänzung des leicht verdaulichen Heu- und Silagefutters, das auch auf vielen Biobetrieben das Winterfutter dominiert. Wie vielfältig früher Gehölze in die landwirtschaftliche Nutzung einbezogen waren, vermitteln die Bücher des österreichischen Wissenschaftsjournalisten Michael Machatschek, der altes Erfahrungswissen zusammengetragen und verfügbar gemacht hat. (Kurz/Machatschek/Iglhauser: Hecken. Geschichte und Ökologie, Anlage, Erhaltung und Nutzung, L. Stocker Verlag Graz, 2001, bzw. Machatschek: Laubgeschichten. Gebrauchswissen einer alten Baumwirtschaft, Speise- und Futterlaubkultur. Böhlau Verlag Wien 2002 bzw. LE 6-2005 und 2-2006)

Motive und Perspektiven jenseits der Nützlichkeit

Der Mensch hat eine Entwicklungsaufgabe an der Natur, hat die Möglichkeit, sie bei ihrer Entwicklung, zu unterstützen und Veranlagtes zur Entfaltung zu bringen. Schon bei der BfN-Studie vor 25 Jahren war das Ergebnis: Landwirte, die ihre Landschaft entwickeln, sind dazu intrinsisch motiviert, folgen einem inneren Antrieb, der Natur etwas Gutes zu tun. In seiner „Philosophie der Freiheit“ schildert Rudolf Steiner im 9. Kapitel, wie ganz unterschiedliche Motive dem menschlichen Handeln zugrunde liegen können. Das höchste Motiv ist das Handeln aus moralischer Intuition – aus einem Überblick und aus Einsicht heraus das Richtige zu tun. Der Natur, den uns Menschen umgebenden Naturreichen verdanken wir unsere Entwicklungsmöglichkeit auf der Erde. Im Impuls, diese Natur nicht nur zu schützen, zu konservieren, wie es der klassische Naturschutz versucht, sondern ihr selbst neue Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, lässt sich heute anknüpfen an Gestaltungsideen, die als Onamented Farm vor 200 Jahren lebendig waren und über Nützlichkeitsaspekte hinausgehen. „Was nur in den Dienst der äußeren Nützlichkeit, der äußeren mechanischen Einrichtung gestellt wird, das alles gleicht dem Samenkorn, das verfault.“5 So lassen sich Kulturlandinseln entwickeln, die die Landschaftselemente nicht nur nach Betriebsgesichtspunkten nützlich gestalten, sondern die Eigenart und Biodiversität bewusst zu entwickeln suchen.

Quellen

  1. VAN ELSEN, T., RÖHRIG, P., KULESSA, V., SCHRECK, C., HEß, J. (2003): Praxisansätze und Naturschutzpotenziale auf Höfen des Ökologischen Landbaus zur Entwicklung von Kulturlandschaft. – Angewandte Landschaftsökologie 60, Bonn, 359 S.
  2. VAN ELSEN, T. (2010): Das Konzept der ‚ornamented farm’ als Potenzial für die Landschaftsgestaltung durch den Ökologischen Landbau. – In: Stiftung „Fürst Pückler-Park Bad Muskau“ (Hrsg.): Die ‚ornamental farm’. Gartenkunst und Landwirtschaft. Symposium 15.-17. Oktober 2009 Bad Muskau. Muskauer Schriften 7: 153-154, Zittau.
  3. Sonja Schürger, Bas Pedroli, Laurens Bockemühl, Thomas van Elsen & Cornelis Bockemühl; 304 Seiten, 130 farbige Abbildungen, gebunden, 38,– Euro / 46,– CHF, ISBN 978-3-943305-56-2
  4. VAN ELSEN, T., KERN, R., HEß, J. (2005): Hühnerhecken für den Ökologischen Landbau. – Beitr. 8. Wiss.-Tagung zum Ökol. Landbau: 637-638, Kassel.
  5. STEINER, R. (1916): Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte. Vortrag am 7.8.1916, S. 101-103.

Kulturlandschaftsentwicklung auf Hofebene

Jedes Sommersemester findet für Witzenhäuser Agrarstudierende der Kurs „Kulturlandschaftsentwicklung auf Hofebene“ statt. Studierende üben sich in Landschaftswahrnehmung und erarbeiten mit den Bewirtschaftern Gesichts­-punkte für die Weiterentwicklung ihrer Kulturlandschaft. Durch Zeichnen lassen sich Qualitäten in der Landschaft ins Bild bringen und die genaue Wahrnehmung schulen. Im praktischen Gestalten lassen sich Maßnahmen erproben, die Stu­dierende später auf eigenen Höfen umsetzen können.