Schwerpunkt

Paludikultur – Chance für den Klimaschutz und die Landwirtschaft

Interview mit Dr. Greta Gaudig

Fragen: Katrin Bader

Liebe Frau Gaudig, kurz erklärt – was ist Paludikultur?

Der Begriff stammt vom lateinischen Wort ‚Palus‘ ab, was Sumpf bedeutet, und so beschreibt Paludikultur die „Kultur auf sumpfigen Böden“, sprich die Nutzung von nassen Mooren. Geeignet sind dafür alle Pflanzen, die Feuchtigkeit vertragen: Rohrkolben, Schilf, Seggen, Torfmoos, Erlen oder auch Molte-, Preisel- oder Moosbeeren. Also eher kein Getreide oder Gemüse. Tierhaltung ist in einem gewissen Maße auch möglich, wobei es dann eher Wasserbüffel anstatt Milchkühe sind.

 

Welche Produkte kann man denn aus diesen Kulturen gewinnen?

Da gibt es beispielsweise Schilf oder Rohrkolben: Schilf kann klassisch für die Dachdeckung dienen oder auch als Pellet gepresst verheizt werden – wobei dabei eine Kaskadennutzung sinnvoll ist, also nur das Material zu verheizen, was zuvor stofflich genutzt wurde. Rohrkolben hat eine besondere Gewebestruktur, das Luftgewebe und eignet sich hervorragend als Bau- und Dämmstoff. Silikathaltig sind v.a. die Gräser, z. B. Schilf oder Rohrglanzgras kann auch für die Batterien-Herstellung interessant sein. Weiterhin gibt es die Nutzung von Nasswiesenbiomasse, zum Beispiel Sauergräsern wie Seggen, die zur Herstellung von Verpackungen oder, durch spezielle Press- und Formverfahren, sogar für die Herstellung von Möbeln genutzt werden können. Erlen wachsen auch auf nassen Moorböden und können als Wertholz für Möbelbau genutzt werden. Natürlich braucht es spezielle Maschinen mit niedrigem Bodendruck. Wir haben in Pilotprojekten auch schon mit Pistenraupen gearbeitet, doch hier besteht noch Entwicklungsbedarf.

Eine vielversprechende Paludikulturpflanze ist das Torfmoos. Wie der Name schon sagt, entsteht aus ihm Torf. Dieser Torfmoos-Torf ist aktuell der wichtigste Substratrohstoff im Gartenbau. In zahlreichen pflanzenbaulichen Versuchen wurde herausgefunden, dass Torfmoos-Biomasse ein idealer Ersatz für Torf im Gartenbau ist. Torfmoose können doppelt zum Moor- und Klimaschutz beitragen, indem sie in Paludikultur angebaut werden und fossilen Torf ersetzen. Aktuell gibt es einen Testanbau von Torfmoos auf 17 Hektar einer Torf- und Substratfirma in Niedersachsen, der in diesem Bereich wirklich Pionierarbeit leistet. Aber das ist noch ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das Problem dieser Nutzungsoptionen ist aktuell insbesondere die Wirtschaftlichkeit. Es gibt einige Pilotprojekte, aber in der Fläche angekommen sind diese Verwertungsverfahren noch nicht. Die Bundesregierung hat in ihrer Torfminderungsstrategie einen kompletten Torfausstieg im Gartenbau bis 2026 für den Hobbybereich und eine deut­liche Torfminderung bis 2030 für den Profibereich beschlossen. Deshalb gibt es derzeit zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte zum Thema Torfersatz, dennoch sind aktuell Torfersatzprodukte im Vergleich zu Torf zumeist noch zu teuer, was sich z. B. durch die Honorierung von Umweltleistungen auf der einen und die Berücksichtigung der Umweltfolgekosten auf der anderen Seite ändern könnte. Wir sind zuversichtlich, dass durch Moor- und Klima­schutz­pro­gramme in diesem Bereich die Ziele erreicht werden.

 

Stichwort Klimaschutz – wie hängt eine Nutzung der Moore mit dem Klimaschutz zusammen?

In Deutschland haben wir rund 1,8 Mil­lio­nen Hektar organische Böden – rund 5 % der Fläche Deutschlands, etwa 75 % davon sind Moore. Und von diesen Böden sind über 90 % entwässert, wodurch die organische Substanz, der gebundene Kohlenstoff, mit Sauerstoff aus der Luft reagiert, also Kohlenstoffdioxid bildet, und so zum Klimawandel beiträgt. Sieben Prozent der gesamten Emissionen Deutschlands stammen aus diesen entwässerten Böden, insgesamt 53 Mil­lionen Tonnen pro Jahr. Und genau da setzt Paludikultur an und kann Teil der Lösung des Problems werden.

 

Wie ist das gemeint?

Nur durch die Wiedervernässung entwässerter Moorböden werden die CO2- Emissionen gestoppt und der Kohlenstoffspeicher Moor bleibt erhalten. Wenn wir diese wiedervernässten Moore weiterhin nutzen wollen, dann durch Paludikultur. Nur so können wir Klimaschutz und Landwirtschaft unter einen Hut bringen. Wiedervernässte Moore tragen auch zur Kühlung der Landschaft bei, was im aktuellen Klimawandelgeschehen nicht zu unterschätzen ist. Außerdem können sie Starkregenereignisse abpuffern, sie funktionieren wie ein Schwamm, können große Wassermengen aufnehmen und (durch Verdunstung) wieder sukzessive an die Umgebung abgeben. Des Weiteren filtern intakte Moore Nährstoffe und beheimaten eine speziell angepasste Tier- und Pflanzenwelt.

 

Das klingt einleuchtend, wo ist der Haken?

Der Haken ist wie so oft die Wirtschaftlichkeit: Landwirte, die auf entwässerten Moorstandorten wirtschaften, Milchkühe halten oder Ackerbau betreiben, können nicht von heute auf morgen ihren Betrieb umstellen, über Jahrzehnte und Generationen aufgebaute Strukturen und Investitionen über Bord werfen und finanzielle Einbußen tolerieren. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb braucht es einerseits finanzielle Anreize, Unterstützung seitens der Politik durch Förderprogramme und Direktzahlungen, die die Nutzung nasser Moore attraktiver machen. Andererseits muss die Rolle der Landwirtschaft und das Klimaschutzpotenzial aber auch die Verantwortung, die Landwirte haben, mehr als deutlich hervorgehoben werden.

 

Wenn nun ein Landwirt Interesse an Paludikultur hat – wie geht er am besten vor?

Moore sind komplexe hydrologische Systeme. Wir alle kennen Entwässerungsgräben. Da reicht es meist nicht, wenn ein einzelner Landwirt entscheidet, seine Flächen nicht mehr zu entwässern – es müssten möglichst alle Landwirte oder Flächeneigentümer in einem Moorkomplex an einem Strang ziehen und die Entwässerung rückbauen. Die Wiedervernässung an sich kann relativ schnell gelingen: sobald man die Entwässerung stoppt, staut sich das Wasser eigentlich unmittelbar wieder an und die CO2 Emissionen verringern sich nahezu linear mit ansteigendem Wasserstand.

In der Nutzung von Mooren müsste ein Paradigmenwechsel stattfinden, Planungssicherheit und Rentabilität für die Landwirte gewährleistet werden, wenn sie ihre entwässerten Standorte wiedervernässen. Und da­für braucht es Unterstützung von staatlicher Seite, bspw. über die Gemeinsame Agrarpolitik, aber auch Förderung von Investitionen bei der Umstellung auf nasse Landwirtschaft, Förderung der Entwicklung von Paludikultur-Wertschöpfungsketten sowie Förderung von Kapazitätsaufbau und Struk­turen (Moorschutzagenturen) für die großflächige Umsetzung – diese Aufgabe können die Land­wirte nicht allein schultern. Wir vom Greifswald Moor Centrum stehen deshalb auch mit Vertretern der Politik in Kontakt und betreiben seit Jahrzehnten sozusagen Lobbyarbeit für den Moorschutz. Eine zähe, aber lohnenswerte Aufgabe. In Deutschland gibt es indessen eine Nationale Moorschutzstrategie, eine Bund-Länder Zielvereinbarung zum Klimaschutz durch Moorbodenschutz, und das Aktionsprogramm Natür­­licher Klimaschutz, das durch die Bundesregierung beschlossen wurde und wofür bis 2026 insgesamt etwa vier Milliarden Euro bereitstehen. Die Notwendigkeit, Moore als Multitalente für den Umwelt- und Klimaschutz wiederzuvernässen, wird zunehmend erkannt und bei politischen Entscheidungen berücksichtigt. Jetzt gilt es, die richtigen Weichen zu stellen, damit es für den einzelnen Landwirt zukünftig attraktiv ist, sein Moorboden in Paludikultur zu nutzen – denn „Moor muss nass!“

 

Ein schönes Schlusswort, vielen Dank für das Interview!

Weitere und vertiefende Infos zu Mooren und Torf

BUCH:

  • Das Moor Franziska Tanneberger / Vera Schroeder; Über eine faszinierende Welt zwischen Wasser und Land und warum sie für unser Klima so wichtig ist, Verlag dtv, Link und ISBN: 978-3-423-28324-3

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