Berichte & Initiativen

Neue Agrarkultur - neue Organisationsformen?

Eine Studie untersucht Rechtsformen für landwirtschaftliche Betriebe

Von Christian Hiß

 

Die Landwirtschaft befindet sich in einem grundlegenden Strukturwandel. Mit dem Beginn ihrer Industrialisierung vor rund 100 Jahren, ausgelöst durch die Nutzung von Sekundärenergien in Erzeugung und Transport, lösen sich die über Jahrhunderte aufgebauten Strukturen der ortsbezogenen Erzeugungs- und Verbrauchskausalitäten auf. Immer stärker richten sich Rohstoffbeschaffung und Produktvermarktung nach globalen Bedingungen, gelöst von den Regionen. Dies verändert die Kulturlandschaft, die Umwelt und die Ressourcen, aber auch die Nahrungsmittelqualität, die Nachhaltigkeit und die Regionen - am bedeutendsten jedoch die Menschen selbst.

 

Bis fast vor 30 Jahren verband bäuerliche Landwirtschaft wirtschaftliches und soziales Leben, heute sind Dörfer mit nur einem oder gar ohne landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb in Deutschland verbreitet. Diejenigen, die standhalten, emanzipieren sich immer stärker von den Orten und nähern sich universellen Mustern technologisch bestens ausgestatteter Hightech-Betriebe. Die Verluste dieses Prozesses sind in der Verstädterung der Dörfer, der Verödung der Kulturlandschaft, der Belastung der Umwelt, der Verschwendung der Ressourcen und der Perspektivlosigkeit der Bauern erkennbar.

Agrarkultur über die Marktfixierung hinaus - aber wie?

Die vorliegende Studie arbeitet heraus, wie und unter welchen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen dem Strukturwandel ein anderes Leitmotiv als allein die Marktorientierung gegeben werden kann. Anhand der Betrachtung neuralgischer Faktoren wird ein neuer Begriff von Agrarkultur gebildet, der von den Bedürfnissen der Menschen ausgeht und die Ereignisse wieder stärker verortet.

 

Der Ansatz geht ins Grundsätzliche, indem versucht wird, das Prinzip der hocheffizienten Kreislaufwirtschaft der alten Landwirtschaft auf ein modernes soziales Grundgerüst zu stellen: Die Verbrauchs- und Erzeugungskausalität ist in sozialen Einheiten wieder herzustellen, mit dem Ziel einer bedürfnisorientierten Produktion. Dabei werden auch Nebeneffekte der Erzeugung benannt und bewusst gemacht.

 

Absicht der von Christian Hiß erarbeiteten und von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft geförderten Studie ist es, der Landwirtschaft ihre eigentliche und umfassende Existenzberechtigung wieder zurückzugeben und die Wirtschaftsbeziehungen auf eine neue Stufe zu heben: Das Beziehungsgeflecht ländlichen Wirtschaftens wird wieder transparent und dem verantwortungsvollen Handeln der beteiligten Menschen zugänglich gemacht. Zentral ist dabei der Umgang mit Kapital und die Möglichkeiten der Landwirtschaft, an spezifisches Kapital zu kommen. Hier liegt der Ausgangspunkt der Studie.

 

Dazu sind neue Formen der Rechtsgestaltung von landwirtschaftlichen Betrieben und des Eigentums an Grund und Boden zu suchen. Was einst der bäuerliche Familienbetrieb mit seiner Bezugsgröße Familie und Dorf war, sind nun Bürgernetze, die moderne technischer Möglichkeiten einschließen und nutzen. Um die verschiedenen in der Praxis verbreiteten Rechtsformen zu erheben, wurde eine Umfrage auf Höfen durchgeführt, die anders als ein bäuerlicher Familienbetrieb verfasst sind. Die Ergebnisse der Umfrage wie auch die Nebeneffekte der Erzeugung münden in einen Entwurf.

Entwurf einer Rechtsform: Landwirtschaft als Aktien-Gesellschaft

Die Studie schlägt eine Bürger-Aktiengesellschaft vor, deren Aufgabe es ist, das Kapital für landwirtschaftliche Betriebe mit Grund und Boden zu übernehmen und qualifizierten Unternehmern zur Verfügung zu stellen, bzw. zur Nutzung zu verpachten. Unter Landwirtschaft wird die ganze Wertschöpfungskette verstanden, von der Schaffung der Produktionsmittel Energie, Saatgut, Kapital, Dünger und Wissen und Fähigkeiten bis zur Produktion der Nahrungsmittel, ihrer Veredelung, Verarbeitung und ihrem Vertrieb. All das findet jeweils innerhalb eines Verbundes statt. Die Bürger-AG arbeitet mit spezifischem Kapital, d.h. mit Kapital, das nicht nach den üblichen Maßstäben verzinst wird. Die aufgeführten Nebeneffekte werden in der Rentabilitätsberechnung mit berücksichtigt, was den Versuch einer Bewertung umfasst. Auch, wie eine solche Aktiengesellschaft funktionieren könnte, wird dargestellt.

Die Studie "C. Hiss: Landwirtschaft und regionale Wertschöpfung in Zukunft - Schlüsselfaktor Kapital" ist zu beziehen beim Forschungsring für ca. €7,50

Gemeinnützigkeit und Nebeneffekte der Landwirtschaft

Landwirtschaft ist einerseits wirtschaftend tätig ist, andererseits geht sie durch das Wirtschaften mit öffentlichen Gütern um und berührt so allgemeine Interessen. Die Abgrenzung zwischen den Bereichen ist schwierig, muss aber berücksichtigt werden. Solche Nebeneffekte sind:

  • Kulturlandschaft;

  • Natur und Umwelt;

  • Fruchtbarkeit;

  • Ressourcen;

  • Region;

  • Arbeitstyp;

  • Ausbildung - Pädagogik;

  • Handlungsfähigkeit;

  • Krisenfestigkeit;

  • Nachfolgeregelung und Existenzgründung.

Gesichtspunkte der Agrarkultur

In der Studie werden 20 Bedingungen einer Neukonzeption aufgeführt und erläutert, quasi die Beschreibung eines idealtypischen landwirtschaftlichen Betriebes:

  • Einheit erkennen und gemeinsam handeln;

  • Genügt nicht auch regionaler Einkauf?

  • Aktive Auseinandersetzung über Landwirtschaft;

  • Bildung von Wertschöpfungsketten;

  • Ermöglichung unternehmerischer Tätigkeit;

  • Aufgabenfülle

  • Nebeneffekte;

  • Herstellung von Kreisläufen;

  • Nachhaltigkeit;

  • der Wirtschaftstyp prägt die Kulturlandschaft;

  • Förderung der Attraktivität von Regionen;

  • Schaffung von Arbeitsplätzen

  • Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln;

  • Gesundheitsaspekte;

  • neue Verknüpfung von Wohnen und Landwirtschaft;

  • Auftrag und Rechenschaft;

  • Kauf und Verwaltung von Grund und Boden;

  • Regelung der Betriebsnachfolge;

  • Ermöglichung eines Wechsels;

  • Beschaffung von Kapital.