Essay
Bäume im Organismus der Landwirtschaft
Meine Erfahrungen im biodynamischen Landbau Brasiliens
Von Bernardo Thomas Sixel
Düngen heißt, die Erde beleben - am Anfang war es nicht leicht, diese Angabe Rudolf Steiners im Landwirtschaftlichen Kurs in richtiger Weise zu verstehen: dass Düngen weniger den Ersatz der Nährstoffe bedeutet, die die Feldfrucht verbraucht, sondern Belebung der Erde sein müsse. Wir waren, in den 60er und 70er Jahren der Meinung, dass mit Gaben von organischen "Dünger" wie z. B. ordentlich biodynamisch präpariertem Mistkompost, wir eine solche Verlebendigung bewerkstelligen würden. Doch hatten wie in Wahrheit immer das Zufügen der für die Feldfrüchte notwendigen Nährstoffe im Auge. Auch im Gespräch mit dem biodynamischen Bodenkundler Prof. H.H. Koepf, der viele Menschen für das Biodynamische begeistert hat, fanden wir kein rechtes Verständnis. Wir beschritten zunächst also einen nicht ganz den Tropen entsprechenden Weg. Erst mit der Agroforstwirtschaft kam es zu einem Durchbruch - viele Jahre und Versuche später.
Die anfänglichen Erträge waren zwar recht befriedigend, doch musste ich dennoch einen schnellen Rückgang der Bodenfruchtbarkeit feststellen. Unsere Kulturen verlangten im Laufe der Jahre immer grössere Kompostgaben und selbst bei extremen Quantitäten war es nicht möglich, den Humusgehalt der Böden zu steigern. Die organischen Rückstände vertorften und zerstörten die Bodenstruktur. Vom Gesichtspunkt des "landwirtschaftlichen Organismus" hätten wir 20 Hektar Weidefläche für einen Hektar Ackerfläche benötigt und das noch zu Lasten der Fruchtbarkeit der Weiden, hoher Kosten und selbst dann wäre die natürliche Fruchtbarkeit der Ackerböden ungewiß. Außerdem wurde festgestellt, dass ein Einarbeiten von Biomasse in den Boden das Auftreten vieler Insekten, wie Trips und Fresskäfer, zur Folge hat.
Anderes Klima - andere Biodynamik
Das europäische Modell zu kopieren, war unter hiesigen Verhältnissen offenbar ein Fehler, der uns fast allen unterlief. Der größte Unterschied der Klimaverhältnisse zwischen den kälteren Klimagebieten und den Subtropen und Tropen besteht vieleicht in der Tatsache des Frierens der Böden. Dabei bekommt die Erde offenbar die Möglichkeit, organische Substanzen zu verdauen oder sich so einzuverleiben, um daraus Humus, als lebende Leibessubstanz des Erdorganismus betrachtet, aufzubauen. Ohne ein Durchfrieren des Bodens geschieht dieser "Verdauungsprozess" nur wie im Wald, das heißt im feuchten Schatten, Schicht auf Schicht und im Beisein holzartiger Stoffe, während ein direktes Einarbeiten nur zu "Verdauungsstörungen" führt.
Außerhalb des Waldes geschieht dies nur, wenn die Mistkäfer die Mistfladen der Tiere eingraben, was in einem lebendigen Boden in wenigen Stunden der Fall sein kann. Grundlegend bedeutet dies, dass die Erde als Organismus auch ernährt werden muss, die Pflanze ist also nicht nur die Ernährungsgrundlage des Tier- und Menschenreiches, sondern auch die der Erde. Der Ausspruch Rudolf Steiners, dass Düngen Verlebendigen bedeute, erscheint so in einem neuen Licht und die Ausarbeitung dieses Verständnisses ist innigst mit der Geschichte der biodynamischen Bewegung Brasiliens verbunden. Dies wurde nur durch Mithilfe und Forschung vieler Persöhnlichkeiten möglich, unter denen Ana Maria Primavesi, Alrik Copijn und Edwin Scheller zu erwähnen sind.
Allrik Copijn (1987) kam aus den tropischen Zonen des Pazifiks und brachte uns die Praxis der Nutzung des Baumelementes inmitten des Anbaus der Feldfrüchte, wobei er auf den wichtigen Zusammenhang hinwies, dass Bäume mit ihren Wurzeln tief ins Erdreich dringen und ihre Gipfel weit in die Höhe sich erheben und damit eine Brücke zwischen Erde und Kosmos bilden. Hier zeigte die Praxis, dass es viele Bäume gibt, welche eine sichtliche Förderung der Kulturen bewirken, statt mit ihnen zu konkurrieren. Solche Arten bezeichnen die Bauern als "Freundbäume". Bäume und Feldfrüchte zusammen zu pflanzen ermöglicht die praktische Anwendung der Vorschläge von Ana Primavesi, den Boden ständig auf der Oberfäche mit krautartigen, aber auch holzartigen Stoffen zu versorgen.
Edwin Scheller führte das Konzept der aktiven Nährstoffmobilisierung durch Pflanzen und Mikroorganismen für Grundnährstoffe und Spurenelemente in die landwirtschaftliche Betriebspraxis ein. Auch mit seinen Forschungen zum Auf- und Abbau von Humus zeigte er, wie die Stickstoffversorgung der Pflanzen aus dem Bodenstoffwechsel verbessert werden kann. Durch zahlreiche Bodenanalysen wies er nach, dass der Stickstoff im Humus und in den Huminstoffen in erster Linie in Aminosäuren und Eiweiß eingebunden vorliegt. Subtropische Waldböden und mitteleuropäische Böden zeigen ein überraschend einheitliches Aminosäurenmuster. Humus ist also nicht eine Ansammlung schwer abbaubarer Substanzen im Boden, sondern ein Neuaufbau, wobei Zucker, Eiweiße und Aminosäuren nach derzeitigem Kenntnisstand die Hauptrolle spielen. Die Forschungsarbeiten von Edwin Scheller ergänzen die grundlegenden Arbeiten von Ana Primavesi zur Bodenfruchtbarkeit. Diese drei Beiträge stellen für mich geschichtliche Marksteine der Entwicklung der biodynamischen Bewegung Brasiliens dar. Die Frage war, wie diese Kenntnisse in der Praxis anzuwenden wären, wie die konsequenterweise zu entwickelnden Ackerforst- und Weideforstmodelle gestaltet würden.
Die Associação Biodinâmica und der Baum
Ein Weg für eine biodynamische Bewirtschaftung, der erforscht und weiterentwickelt wird, der einen eventuellen Maschineneinsatz erlaubt und außerdem sich der Nachfrage des Marktes anpasst, kann folgendermaßen dargestellt werden: Unter stetem Einsatz der biodynamischen Präparate beginnt dieses Verfahren im allgemeinen mit einer von René Piamonte Pena entwickelten Gründüngung, die aus einer Mischung aus 13 bis 20 verschiedenen, zum Teil mehrjährig Arten, wie Gräsern, Leguminosen usw. besteht. Diese Pflanzenmischung ahmt im Kleinen in schneller Folge die Waldbildung nach. Der sich entwickelte Pflanzenwuchs wird abgemäht und mit den Kompostpräparten durch Anwendung des Fladenpräparates oder präparirten Flüssugmist geimpft. Als erster Anbau empfiehlt sich Mais im Mischanbau mit Leguminosen, die nach der Maisernte die trockenen Maisstengel überwuchern und genügend Grünmasse für eine weitere Schichtkompostierung ermöglicht. Das notwendige Holzmaterial garantieren Hecken oder der Ausschlag von Baumwurzeln, falls diese noch vorhanden sind. Man pflanzt auch in die Kulturen besonders günstige Bäume. Eine solche Mischkultur von Mais kann durch mehrere Jahre wiederholt werden und bringt eine schnelle Verlebendigung mit ansteigender Fruchtbarkeit des Bodens mit sich. Der Überschuss des so erzielten "Kapitals" kann dann anderen Kulturen wie Bohnen und Sojabohne zugute kommen im Wechsel mit Wintergründüngung oder sogar Getreide.
Nach einigen Jahren dieses Anbaus kann man zu mehrjährigen Kulturen wie Zuckerrohr übergehen, das sich auch ohne Düngerzufuhr von aussen hält, wenn in den Zuckerrohrreihen Maniok mitgepflanzt wird, mit Zwischenreihen von Leguminosensträuchern aus Crotalaria juncea und Angolaerbsen (Cajanus cajan). Nachfolgend kann man zu höher entwickelten Ökossystemen wie Kaffee, Zitrusfrüchten, Bananen und anderen Tropenfrüchten oder, je nach Region, zu europäischem Obst aufsteigen. Bei diesen langjährigen Baumkulturen muss danach getrachtet werden, dass sich vier verschiedene "Schichten" bilden. Die erste direkt am Boden, die aber nicht aus Gräsern bestehen sollte, eine zweite aus allerlei dichtgepflanzten Sträuchern, die einen ständig starken Schnitt vertragen, die dritte aus der Obstkultur und schliesslich darüber die Äste spezieller Schattenbäume.
So ist es also möglich, alle Arten von Pflanzungen möglich zu machen, ohne dass eine Zufuhr von außen notwendig ist, und wir kommen dem Ideal der von Steiner so genannten "landwirtschaftlichen Individualität" immer näher. Dies gelingt aber nur, wenn im Anfangsstadium der Kulturen der Boden so lebendig ist, dass genügend Nährstoffvorräte vorhanden sind und die unterstützenden Beipflanzen, besonders Sträucher und Bäume, nicht im Reifezustand, sondern auch erst beim Austrieb sind. Auch muss man ein wirkliches Verständnis dafür entwickeln, dass der Lebenskreislauf des Betriebsorganismus hier nicht unbedingt horizontal, sondern vertikal verläuft.
Doch schliessen wir bei einer solchen Wirtschaftsweise nicht die Kühe oder wenigstens den Gebrauch des Rindermistkompostes aus, was bei der klassischen biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise als eine unablässige Grundbedingung gilt? Die Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage charakterisieren die Geschichte der biodynamischen Bewegung Brasiliens. Die Verteidiger der Kühe und die Verteidiger der Bäume drohen fast zwei Parteien zu bilden. Das Streben dieser Frage nach einer Polarisation und Steigerung zur Vereinigung im goetheschen Sinne, kann ein wertvoller Beitrag Brasiliens zur biodynamischen Bewegung der Welt werden.
Brasilien und die Kuh
Brasilien hat mit die grössten Rinder- und Büffelherden der Welt. Ursprünglich gab es keine grossen Säugetiere in den vorherrschenden Urwäldern Südamerikas. Bei extensiver Rinderzucht müssen die Tiere während der Trockenperioden Hunger leiden und magern ab, erholen sich jedoch meistens, wenn der Regen wieder anfängt. Die Produktivität ist jedoch sehr gering und der Boden wird immer schlechter. Eine teilweise Stallhaltung während der Trockenzeit ist nur scheinbar eine Lösung, die jedoch nicht überzeugt. Das Anpflanzen von Schnittfutter ist nicht nur teuer und arbeitsreich, sondern unterbricht auch selbst im biodynamischen Anbau den vertikalen biologischen Kreislauf, das heißt, man vergisst, die Erde zu ernähren, denn es fehlen ja dabei die Ernterückstände, die wieder in den Kreislauf hineinkommen müssten. Eine wirkliche Lösung des Problems liegt im Ideal, dem Vieh einen ganzjährigen Weidegang mit genügenden Futterangebot zu ermöglichen. Durch einen ausgeklügelten Weidewechsel und unter Einbezug des Baumelementes ist dies durchaus möglich und gestattet auch das Einsammeln von erstklassigen Mistfladen für die Herstellung des Hornmist und des Fladenpräparates.
Die biodynamischen Präparate in Brasilien
Die Associação Biodinâmica (siehe Bild) konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die Herstellung der biodynamischen Präparate und ihre Anwendung. Man begann mit dem Anbau sämtlicher im Landwirtschaftlichen Kurs von Rudolf Steiner angegebenen Heilpflanzen. Mit Ausnahme von Baldrian, der gut wächst aber nicht blüht, begann René Piamonte Peña mit der Herstellung auch der übrigen Kompostpräparate, eine Arbeit, die dann von Andrea D'Angelo Lazzarin weitergeführt wurde. Christian von Wistinghausen kam einige Male nach Brasilien und hielt an vielen Orten Kurse. Die beiden von ihm mit herausgegebenen Arbeitshefte wurden übersetzt und den lokalen Verhältnissen angepasst.
Die Leitung der Präparateabteilung des Vereins liegt heute in den Händen von Deborah Benicar Hermínio. Dank ihrer auffallenden Tüchtigkeit, auch als Beraterin, verbreitete sich die Anwendung der Präparate im ganzen Land und ist nicht mehr auf die Associção Biodinâmica beschränkt. Kamille, Schafgabe, Löwenzahn und sogar Eichen wachsen inzwischen spontan an vielen Orten und auch die Brennessel hat sich nach vielen Jahren Arbeit beheimatet. Die Präparatewirkung kann phänomenologisch bemerkt werden, da sie eine deutliche Veränderung des Habitus auch der Wildpflanzen hervorruft. Ein gut ausgebildeter Inspektor kann feststellen, ob die Präparate zur Anwendung kommen oder nicht. Von Jennyfer Karall wurden Vergleichsversuche zwischen hiesigen und europäischen Päparaten durchgeführt, bei denen die Parzellen mit Anwendung der hiesigen Präparate deutlich die besten waren und unsere letzten Bedenken zerstreuten.
Die Anwendung der Präparate und die Orientierung der Arbeit am Aussaatkalender Maria Thuns, der, von uns übersetzt und bearbeitet unser "Bestseller" ist, wird im allgemeinen gut angenommen. Besonders die Imker schwören auf die Angaben Thuns. Traditionell zieht man beim Anbau den abnehmenden Mond vor, da dann weniger Schädlingsbefall zu beobachten ist. Chronobiologische Untersuchungen darüber laufen. Vorläufig empfehlen wir immer die entsprechend günstigen Tage gleich nach Vollmond vorzuziehen. Fast alle beratenen Bauerngruppen werden im zweiten und dritten Jahr schon selbständig in der Herstellung und Anwendung der Präparate.
Aussichten
Eine endgültige Entwicklung der biodynamischen Landwirtschaft wird jedoch nur durch eine völlige Anerkennung durch die Gesellschaft im allgemeinen zu erreichen sein. So muss der Begriff "Demeter-Qualität" oder "Nahrung mit Charakter" noch viel tiefer erfasst werden. Die Forschung zum Nahrungswert der Pflanzen, die auf Grundlage aktiver Nährstoffmobilisierung, also in einer wirklich lebendigen Umgebung aufwachsen, muss intensiviert werden werden, einschliesslich der Wirksamkeit derselben auf das Verhalten der Menschen. So wie die Präparate harmonisierend auf die Pflanzen-Tiergesellschaft wirken, so hat eine Ernährung mit Demeter-Lebensmitteln ihre Wirksamkeit nicht nur auf die individuelle Gesundheit, sondern auch auf das Heil des menschlichen Zusammenlebens. Eine statistische Erfassung dieser Sachlage wäre möglich und man könnte Unternehmer davon überzeugen, dass eine wirklich gesunde Ernährung durch biodynamische Produkte sich lohnt. Dies würde eine Nachfrage nach biodynamischen Nahrungsmitteln sicherstellen und die Erzeugung solcher Produkte massgebend motivieren. Es handelt sich hier um eine Frage, die nicht nur Brasilien angeht, sondern die ganze Welt. Es ist nicht zu verkennen, dass anthroposophische Unternehmer größtmögliche Geldmittel für anthroposophisch orientierte Projekte bereit stellen, aber die Notwendigkeit, alle Mitarbeiter biodynamisch zu ernähren, kaum bedenken.
Auch andere Probleme gibt es am Markt: Will jemand hier z. B. Demeter-Reis oder -Kiwis ausführen, findet er zwar, u.a. vermittelt durch die BioFach-Messe genügend Interessenten. Doch sind die Bedingungen des Handels oft kostspielig hinsichtlich Qualität, Verpackung Versandspesen, die als Vorleistungen anfallen. Geld gibt es erst, wenn alles verkauft ist, oder auch mal gar nicht und immer weniger als erwartet. Zwar können nicht alle Risiken vom Händler getragen werden, aber gerade hier wäre eine Art "Entwicklungshilfe" zur Zwischenfinanzierung sinnvoll.
Das Dargestellte ist sehr aphoristisch und könnte durch zahlreiche praktische Beispiele belegt werden. In dem Buch "Biodinâmica e Agricultura" des Verfasser ist vieles weitgehend ausgeführt. Ausdrücklich betont sei, dass es sich um persönliche Ansichten des Verfassers handelt und nicht die eines Arbeitskreises.
Thomas Bernardo Sixel, geboren 1927 in Bremen als Sohn eines Brasilianers, lernte als Kind durch Franz Rulni das Biodynamische kennen und kam 1949 nach Brasilien. Dort machte er in den 50er Jahren erste biodynamische Schritte auf einem Landgut in Minas Gerais, sammelte Erfahrungen in Rio Grande do Sul und Pernanbuco, und kam in den 90er Jahren durch Gerard Bannwart nach Botucatu.