Hintergrund

Kurz & knapp

  • Ob Koexistenz funktioniert, hängt von sehr vielen, auch sozialen Faktoren ab.

  • Für eine Saatgutreinheit von max. 0.1% GVO sind isolierte Gebiete ohne GVO-Anbau erforderlich.

  • Um Werte unter 0.9% einzuhalten, müssen alle Marktakteure, über den Ökolandbau hinaus zusammenspielen.

Ist Koexistenz möglich?

Versuch einer wissenschaftlichen Antwort

von Bernadette Oehen

 

Die Idee der Koexistenz soll das Nebeneinander einer Produktion mit und einer ohne gentechnisch veränderte Pflanzen handbabbar machen. Doch weder über die Ziele noch über die Mittel zur Umsetzung der Koexistenz herrscht heute Einigkeit, und zwar aus folgenden Gründen:

  • Unter welchen Bedingungen sollen Verunreinigung durch gentechnisch veränderte Organismen in Produkten, die ohne Gentechnik produziert wurden, toleriert werden?

  • Wir gross muss die Sicherheit des vorgeschlagenen Systems für die Beteiligten sein?

  • Wie gross ist die Flexibilität des landwirtschaftlichen Systems, auf Änderungen zu reagieren?

  • Wie kann der Informationsfluss zwischen den Betrieben sichergestellt werden?

  • In welche Richtung soll sich eine nachhaltige Landwirtschaft entwickeln?

Die Liste zeigt, dass die Fragen, die Koexistenz aufwirft, nicht allein mit naturwissenschaftlichen Untersuchungen zum Pollenflug beantwortet werden können. Gerade die Absprache zwischen den Landwirten kann sehr arbeitsaufwändig und schwierig werden, wenn die Anzahl direkter Landnachbarn gross ist. Koexistenz wird dann definitiv zu einem gesellschaftlichen Thema.

Umgang mit Schwellenwerten

Kontrovers, auch innerhalb des Ökolandbaus, wird die Frage nach den Schwellenwerten diskutiert. Die Limits für die Einkreuzungen sind wichtig, denn, je tiefer die tolerierte Verunreinigung festgelegt wird, umso aufwändiger die Massnahmen, die im Zusammenhang mit Koexistenz notwendig werden. Die Positionen zur tolerierten GVO-Verunreinigung in konventionellem und biologischem Erntegut variieren zwischen 0.0 % bis hin zu 0.9% GVO-DNA. Der letzte Wert gilt in vielen Modellversuchen zur Koexistenz als Referenzwert für Erntegut. Dabei geht vergessen, dass der Wert ursprünglich aus Artikel 12 der 1829/2003-EU Verordnung über die Bewilligung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel stammt, der lautet:

„Für genetische veränderte Lebensmittel gilt:

... Geltungsbereich

(1) Dieser Abschnitt gilt für Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher oder an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung innerhalb der Gemeinschaft geliefert werden sollen und ...” (ebd.)

 

Der Grenzwert bezieht sich also auf fertig verarbeitete Lebensmittel. Daraus lässt sich folgern, dass die Kennzeichnungsregeln mit dem Grenzwert von 0,9 Prozent für die Ernte der Bauern nicht unmittelbar gelten können. Denn Landwirte produzieren bei den gängigen Ackerkulturen (Ausnahme Kartoffeln) keine fertigen Lebensmittel für den Endverbraucher (Schimpf 2006). Dennoch wird in der wissenschaftlichen Literatur zur Koexistenz dieser Schwellenwert von 0.9% als erlaubte Verunreinigung interpretiert und die Empfehlungen für Abstandswerte fallen dementsprechend tief aus (Sandvido 2006, Weber 2005).

Die Rolle von Pollenflug und Bestäubung

Nicht jede Pflanze ist im Zusammenhang mit Auskreuzungen und unerwünschten Vermischungen gleicherweise problematisch. Die im Weiteren angeführten Beispiele beziehen sich im Wesentlichen auf Mais, der in der EU auf der Sortenliste steht und von den Landwirten angebaut werden darf. Mais gehört zu den windbefruchteten Kulturpflanzen.

 

Allein der Faktor Wind kann, wie in Abbildung 1 dargestellt, an verschiedenen Standorten in Richtung und Stärke variieren. Während Koexistenzkonzepte auf diese regionalen Unterschiede kaum eingehen, sind diese Unterschiede für die Landwirte relevant. Deshalb sollte sich bei der weiteren Entwicklung der Koexistenzkonzepte die Frage stellen, wie diesen lokalen Unterschieden Rechnung getragen werden soll, beziehungsweise, ob ein nationales Koexistenzkonzept diesen unterschiedlichen Gegebenheiten Rechnung tragen kann, indem Sicherheitsabstände vorgeschlagen werden, die an verschiedene Situationen angepasst sind.

 

Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin, dass bei Mais die Einkreuzungswahrscheinlichkeiten mit zunehmender Distanz zur Pollenquelle schnell abnehmen. Aber auch in großen Distanzen zu den Pollenquellen werden noch Einkreuzungsereignisse nachgewiesen (Bannert 2006, Henry 2003, Devos 2005), wenn auch auf tiefem Niveau. Es wird also kein Nullwert erreicht. Abhängig vom angestrebten Zielwert für Verunreinigungen im Erntegut sind diese Langstreckentransporte von mehr oder weniger großer Bedeutung. Besondere Bedeutung haben sie aber für die Saatgutzucht und Vermehrung, sowie für neuere Produkteigenschaften wie sie im Zusammenhang mit den so genannten Pharmacrops diskutiert werden.

Wind und Pollenverfrachtung: große Unterschiede von Region zu Region. Die durchschnittliche Windrichtung und Windstärke an zwei Standorten in der Schweiz: Pully, Kanton Waadt und Wynau, Kanton Bern; Quelle: Meteo Schweiz

Die Bedeutung der Saatgutverunreinigungen

In der Saatgutproduktion werden generell Sicherheitsabstände zwischen Feldern der gleichen Kultur, aber unterschiedlicher Sorten eingehalten, um die Sortenreinheit zu gewährleisten. Die Saatgutreinheit wird dabei anhand äußerer Merkmale überprüft. Das bedeutet, dass diese Vermischung der Sorten nicht so präzise wie gentechnische Kontamination nachgewiesen wird. Deswegen können die Isolationsdistanzen, die in der Saatgutvermehrung gelten, nicht einfach als Koexistenzregeln übernommen werden. So weisen zum Beispiel Messean et al. (2006) in ihrem Bericht darauf hin, dass die Isolationsdistanzen zur Maissaatgutvermehrung in Gebieten mit GVO-Mais-Anbau vergrössert werden müssen, wenn im Saatgut ein Grenzwert von weniger als 0.5% erreicht werden soll. Wird ein GVO-Gehalt von 0.1% im Saatgut angestrebt, lässt sich das nur noch durch das isolieren von Gebieten ohne GVO-Anbau realisieren.

Koexistenz: Die Perspektive des Ökolandbaus entlang der Produktionskette

Die kritischen Eintrittspfade von GVO in Produktionssysteme ohne Gentechnik sind bereits in verschiedenen Arbeiten zusammengestellt worden (Wenk et al. 2001, Nowack et al. 2002). Aufgrund dieser Analysen verlangt die Bioproduktion bereits heute verschiedene Maßnahmen, um die Einträge von GVO in das System „Biolandbau” zu reduzieren. Wie maximale Verunreinigungen von 0,9 % vom Feld bis auf den Teller erreicht werden könnten, zeigt die Tabelle 1. Die angenommenen Werte beruhen auf verschiedenen Grundlagen (SCP 2001, Girsch et al. 2004, Nowack et al. 2003) und eigenen Schätzungen. Die Zusammenstellung zeigt, dass ein GVO-Gehalt, der deutlich unter 0.9% liegen soll, nur erreicht werden kann, wenn Saatgut ohne, bzw. mit geringen Spuren an GVO verfügbar ist und eine vollständige Trennung von Maschinen, Trocknung, Lagerung und Verarbeitung umgesetzt ist. Obwohl viele dieser Massnahmen im ökologischen Landbau aus Gründen der Qualitätssicherung heute schon angestrebt werden oder umgesetzt sind, werden auf den Produktionsbetrieben eine Reihe von neuen Massnahmen beziehungsweise Investitionen notwendig.

 

Die Auseinandersetzung mit der Problematik zeigt aber auch auf, dass die gentechnikfreie Produktion auf der Basis eines Schwellenwertes tiefer als 0.9% nicht nur durch Maßnahmen im Biolandbau alleine sichergestellt werden kann. Alle Marktakteure müssen verpflichtet werden, sich an den Maßnahmen zu beteiligen damit GVO-Material konsequent von nicht gentechnisch verändertem Material getrennt werden kann.

Quelle

Zielwert

Bemerkungen

Saatgut

0.1%

Grenzwert für Saatgut in der EU noch nicht definiert, in der Schweiz werden max. 0.5% bewilligte GVO toleriert

Eintrag durch Sämaschinen

0.1 %

Kaum untersucht. Überbetrieblicher Maschineneinsatz kannzu relevanten Verunreinigungen führen. Abhängig von verwendeter Maschine

Eintrag durch Pollenflug/Durchwuchs

0.1%

Geringe Einkreuzung wird durch Isolationsdistanzen oder Vergrösserung der Felder erreicht.Bei erwarteten Einkreuzungen müssen Randreihen separat geerntet werden.

Eintrag durch Erntemaschinen

0.1%

Kaum untersucht. Überbetrieblicher Maschineneinsatz kann zu relevanten Verunreinigungen führen.

Transport/Sammlung

0.1%

Grosse Bedeutung der Annahmestelle (Gosse) neue Investitionen in Siloanlagen notwendig

Gehalt Erntegut

0.5%

Wenn verwendetes Saatgut höhere GVO Anteile als 0.1% enthält, liegt der Wert hier entsprechend höher

Vermischung während weiteren Transporten und Verarbeitung

0.2%

 

Gehalt Endprodukt

0.7 %

 

Tabelle 1: Zielwerte, die mit den Maßnahmen zur Minderung des GVO-Eintrages erreicht werden können. Die Angaben stammen aus (SCP 2001, Girsch et al. 2004, Nowack et al. 2003,) sowie eigenen Schätzungen. Bei der Interpretation ist zu bedenken, dass Verdünnungsschritte, um einen Grenzwert einhalten zu können, gemäss Richtlinien Bio Suisse nicht toleriert werden. Ein tiefer Grenzwert im Biolandbau kann nur durch konsequente Trennung der verwendeten Maschinen erreicht werden.

Kultur

Wartefrist

Sicherheitsdistanz

Mais

Jahre

> 1000m

Kartoffeln

10 Jahre

10m, bei Insektenflug mehr

Raps

15 Jahre

6000m

Zucker-/Futterrüben

10 Jahre

2000m

Weizen

4 Jahre

100m bei normalen Liniensorten

Roggen

k.A.

> 2000m

Soja

3 Jahre

50m

AgroGentechnik und Koexistenz: Wartefristen nach Anbau von GVO- Kulturen bzw. FibL Empfehlungen zu Abständen

Die Wartefristen begründen sich aus Durchwuchs bzw. Keimfähigkeit bei Verbleib im Boden, die Abstände an verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen und den Vorgaben bei der konv. Saatguterzeugung Schweiz: Zielwert ist eine maximale Einkreuzung von 0,1%

Quelle: Karin Nowack-Heimgartner: Produktion mit und ohne Gentechnik: Standards für die Koexistenz und Warenflusstrennung. Schlussbericht i.A. d.BUWAL Schweiz, FibL 2005

 Bernadette Oehen
 FiBL – Forschungsinstitut für biologischen Landbau
 CH-5070 Frick

Quellen

  • Bannert, M. (2006) Simulation of transgenic pollen dispersal by use of different grain colour maize, Dissertation No. 16508, ETH Zürich;

  • Devos Y., Reuhel D. and De Schrijver A. (2005) The co-existence between transgenic and nontransgenic maize in the European Union: a focus on pollen flow and cross-fertilisation. Environmental Biosafety Research 4: 71-87.

  • Girsch, L.; Kramberger, I., Felder, H., Hochegger, F., Mechtler, K., Ratzenböck, A., Taferner, J. (2004): Die Produktion von Saatgut in abgegrenzten Erzeugungsprozessen zur Vermeidung einer Verunreinigung mit gentechnisch veränderten Organismen im Kontext mit der Koexistenz von konventioneller Landwirtschaft mit oder ohne GVO und ökologischer Landwirtschaft. AGES

  • Henry C., Morgan D., Weekes R., Daniels R. and Boffey C. (2003). Farm scale evaluations of GM crops: monitoring gene flow from GM crops to non GM equivalents in the vicinity: Part one forage maize. DEFRA report EPG/1/5/138.

  • Messean, A., Angevin, F. Gómez-Barbero, M. Menrad, K. and Rodríguez-Cerezo, E. (2006) New case studies on the coexistence of GM and non-GM crops in European agriculture. Technical Report EUR 22102 EN

  • Nowack Heimgartner, K. und Oehen, B. (2003) Analyse der GVO-Verunreinigungen in Bioprodukten. Belastungsgrade und Vermeidungsmöglichkeiten in Saatgut, Lebensmitteln und Futtermitteln. Projektbericht. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL).

  • Nowack Heimgartner, K., Bickel, R., Pushparajah Lorenzen, R. und Wyss, E. (2002) Sicherung der gentechnikfreien Bioproduktion - Analyse der Kontaminationspfade, bestehende und weitergehende Massnahmen und Empfehlungen. Schriftenreihe Umwelt Nr. 340. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL).

  • Sanvido, O., Widmer, F., Winzeler, M., Streit, B., Szerencsits, E., und Bigler, F. (2005): Koexistenz landwirtschaftlicher Anbausysteme mit und ohne Gentechnik, Schriftenreihe der FAL, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8046 Zürich

  • SCP (2001) Opinion of the Scientific Committee on Plants concerning the adventitious presence of GM seeds in conventional seeds. (Opinion adopted by the Committee on 7 March 2001). -20pp, SCP/GMO-SEED-CONT/002-FINAL.

  • Weber, W. E. (2005): Coexistence and maize – expericences and results form the German „Erprobungsanbau” 2004 www. coexistence.ethz.ch/PDF/coex-Weber.pdf

  • Wenk, N., Stebler, D. und Bickel, R. (2001) Warenflusstrennung von GVO in Lebensmitteln. Basel, Prognos. Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit BAG in Kooperation mit Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), Büro für Umweltchemie und Dr. Rudolf Bieri (Beratung für die Lebensmittelindustrie).