Hintergrund

„Bio” nicht aus den Händen geben

von Dr. Alexander Gerber

 

Die Bio-Zeiten sind turbulent! Der Markt boomt – aber er boomt an der deutschen Landwirtschaft vorbei. Gleichzeitig ist die EU-Öko-Verordnung zum Spielball der Politik geworden. Welche Fol­gen hat dieser rasante Wandel für die Bio-Pioniere und die fach­handelsorientierte ökologische Lebensmittelwirtschaft?

 

Auch wenn es eine Binsenweisheit ist, für die aktuelle Situation trifft sie doch besonders zu: Wer einer­seits am Markt bestehen und an­de­rerseits den Kern von „Bio” bewahren will, muss sein Unternehmen – oder seinen Verband – stetig weiter entwickeln. Wer sich auf dem Erreichten ausruht, hat meist schon verloren.

 

Auch die EU-Öko-Verordnung soll Bio schützen. Entwickelt die jüngst vom Agrarministerrat beschlossene Revision der Verordnung den Begriff „Bio” weiter oder verwässert sie ihn? Vorweg eine Nebenbemerkung: Die Revision der Verordnung war eine politische Farce. Ziel des Über­arbeitungsprozesses war eine ver­besserte und einfachere Verordnung. Die ersten Entwürfe enthielten jedoch Fehler, die zu katastro­phalen Entwicklungen geführt hätten. Mit großem Aufwand gelang es den europäischen Bio-Organisationen und einigen Regierungen innerhalb des letzten Jahres, diese Fehler zu verhindern. Im Ergebnis werden wir eine neue Verordnung bekommen, die unterm Strich nicht besser ist als die bisherige: in einigen wenigen Punkten ist sie brauchbarer, in einigen aber auch schlechter – zumindest aber lässt sie viele Fragen offen. Fragen, die jetzt aufwändig geklärt werden müssen und deren Antworten von den Unternehmen neue Anpassungen verlangen werden. Sinnvolles Einbeziehen der Wirt­schaftsbeteiligten und Transparenz im Revisionsprozess? Fehlanzeige!

 

Der Vorgang zeigt: die einst durch die privatwirtschaftliche Initiative von Landwirten, Verarbeitern und Händlern auf der Grundlage ethischer Erwägungen selbstbe­stimm­t entwickelten Bewirtschaftungs- und Verarbeitungsstandards wandern mehr und mehr in die Definitions- und Deutungshoheit des Staates und seiner ganz anders gelagerten Interessen. Gleichzeitig drängen immer mehr Teilnehmer auf den Bio-Markt, denen es nicht um das Ringen geht, was richtig für Mensch, Tier und Umwelt ist, sondern die in einem Verdrän­gungs­markt am Kuchen des wirtschaftlich erfolgreichen Bio-Segments teilhaben wollen. Sie nutzen Bio-Produkte als Instrumente der Kundenbindung. Richtlinien sind nicht mehr Ausdruck inhaltlicher Anliegen, sondern nur noch der gesetzliche Rahmen, den es auszunutzen gilt, um den Profit zu maximieren.

 

Droht also die feindliche Übernahme durch Staat und Discounter? Eines wird in dieser Diskussion oftmals vergessen: Genau unsere inhaltlichen Anliegen und die damit verbundenen strengen Richtlinien machen den Erfolg von „Bio” aus. Denn erst dadurch bekommen die Produkte jenen Mehrwert, den der Kunde jenseits von Produkteigenschaften, Produktqualität und Preis wünscht: um­welt- und tiergerechte Produktion und positive gesellschaftliche Effekte. Es wird also darum gehen, jenseits des Mindeststandards der EU-Öko-Verordnung und jenseits der Geschäftsprinzipien von Dis­countern „Bio” zu definieren: hier durch höhere Standards privatwirtschaftlicher Verbände und dort durch andere Produktquali­täten und faire Handelsbeziehungen. Gelingt uns die Meinungs­füh­rer­schaft zu dem, was – un­serem Ver­ständnis nach – „wirklich Bio” ist, behalten wir die Deutungshoheit, die gleichzeitig Basis für unseren wirtschaftlichen Erfolg ist. Die Voraussetzungen dafür haben wir: Erfahrung (und Er­fahrungs­vor­sprung), Know-How, Strukturen. Vor allem aber: Ideale, Einstellungen und Willen zum Handeln. Doch – wir bleiben nur dann Mei­nungsführer und „Bio” bleibt nur dann unser, wenn wir uns selbst inhaltlich und organisatorisch stetig weiter entwickeln. Eine der Aufgaben des BÖLW ist es, dafür den Boden zu bereiten!

 Dr. Alexander Gerber ist Geschäftsführer des Bund Ökologische Lebens­mittelwirtschaft BÖLW, http://www.boelw.de