Hintergrund

Ist der Ökolandbau noch innovativ?

von Urs Niggli

 

Die ökologische Landwirtschaft hat in den letzten 40 Jahren Innovation in alle Bereiche der Land­wirt­schaft hineingetragen. Oder erinnern Sie sich eines Themas, das regelmäßig über so lange Zeit gleichzeitig Ablehnung und Euphorie ausgelöst hat? Wird der Ökolandbau auch in Zukunft diese Rolle spielen?

Die eigentliche Innovation ist die Umsetzung von Nach­hal­tig­keit in millionenfaches Handeln

Die Agrarpolitik hat sich der Nachhaltigkeit verpflichtet. Zwar wissen weder Politik noch Wirtschaft, wie die vielen Millionen Einzelakteure, welche entlang der ganzen Wertschöpfungskette ‚Lebensmittel’ arbeiten, für praktische Nach­hal­tigkeit gewonnen werden können. Und es gibt kein Konzept, wie die Verbraucher auf einfache Weise zwischen nachhaltig und nicht nachhaltig erzeugten Lebensmitteln unterscheiden können. Die ökologische Landwirtschaft aber hat beide Probleme überzeugend und einfach gelöst.

 

Das macht die ökologische Landwirtschaft so unvergleichlich innovativ und unterstreicht ihre Leitbild-Funktion für die ganze Lebensmittelwirt­schaft. Während die konventionelle Produktion ein Vehikel ist, welches die Ergebnisse der naturwissenschaftlich-technischen Forschung rasch und oft ohne Rücksicht auf Ökologie und soziale Gerechtigkeit in das Wirtschaftssystem transformiert, ist die ökologische Land­wirtschaft ein effi­zientes System, um die Ergebnisse der agraröko­logischen Forschung in praktizierte Nachhaltigkeit umzusetzen.

 

Der Stand des Wissens im Bereich Agrarökologie, Umwelt und Tierschutz ist heute dank gewandelter Forschungsprioritäten hoch. Die Akteure der Biobranche und die Verbraucher von Ökoprodukten sind die ‚Heinzelmännchen’, welche aus der Nachhaltigkeitstheorie eine nachhaltige Praxis machen.

Gute und schlechte Forschung?

Manche unterscheiden gerne zwischen guter und schlechter Ökolandbauforschung. Gute Forschung ist systemorientiert, inter- oder trans­dis­zi­plinär. Relevant ist eigentlich aber nur, ob mit Forschung Fragen des Ökolandbaus beantwortet und Probleme der Praxis gelöst werden können. Das kann mit einem disziplinären For­schungs­projekt (z. B. Entwicklung eines ento­mophagen Pilzes gegen die Kirschenfruchtfliege) genauso effizient geschehen, wie mit einem komplexen interdisziplinären (z.B. Bodenfruchtbarkeit und Pflanzenqualität). Wichtig ist, wie stark Forschende noch gewillt sind, ihre Entwicklungsarbeit mit Blick auf die ganze ökologische Lebensmittelkette zu überprüfen und ökonomische, ethische und soziale Folgen zu bedenken. Hier zeichnet sich ein Rückzug auf die Verantwortung auf ein immer kleiner werdendes Fachgebiet ab.

Praktiker, Männer und Frauen, werden aktiv

Ökologische Landwirtschaft ist wissensintensiv. Die Beratungsstrukturen haben sich in der ökologischen Landwirtschaft professionalisiert, aber sind sie der Tatsache, dass Wissen im Ökolandbau dezentral geschaffen und umgesetzt werden muss, auch gerecht geworden? In Österreich, Deutschland und der Schweiz ist in Diskussionen unter bio-dynamischen und organischen Landwirten eine Rückbesinnung auf die Wurzeln spürbar. Themen wie zum Beispiel Bodenfruchtbarkeit, Werte und Bilder in der Landwirtschaft, homöopathische Behandlungen von Tieren und Pflanzen und verbesserte Zubereitung der biologisch-dynamischen Präparate werden engagiert in bäuerlichen Gruppen diskutiert. Bäuerinnen und Bauern schrecken Forscher und Berater/innen so wieder aus ihrer disziplinären Selbstzufriedenen auf. Auch die Verbände, die oft nur noch über Richtlinien, Zertifizierung und Märkte mit ihren Mitgliedern kommunizieren, sind gefordert, wieder mehr inhaltliche Tiefe zu entwickeln.

Zukünftige Entwicklungs­potentiale?

Grosse Teile der Gesellschaft definieren Innovation über neue Technologien. In der Agro-Gentechnik stecken wir bereits mitten drin, und die Nanotechnologie ist am Kommen. Bieten Nano-Saatgut, Nano-Dünger, Nano-Pestizide und Nano-Verpackungsmaterialien dem Ökolandbau Vorteile?

 

Mit seinem agrarökologischen Ansatz und seiner ganzheitlichen Sichtweise hat die ökologische Landwirtschaft ein wichtiges Zukunftskonzept für Landwirtschaft und Lebensmittel geschaffen. Um der Konventionalisierungsfalle zu entgehen, müssen die Prinzipen der ökologischen Landwirtschaft mit klaren Indikatoren überprüfbar gemacht werden. Dieser Nach­hal­tigkeits-Check (ökologisch, ethisch, fair) wird mit dem Raster der Öko-Zertifizierung ungenügend abgedeckt. In immer rascherer Abfolge müssen wir uns der Technologienentwicklung stellen, Kompatibles integrieren und nicht Nachhaltiges als solches erkennen.

 

Ja, der Ökolandbau hat kaum an Dynamik und Innovation eingebüsst!

 

 Urs Niggli leitet das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz