Hintergrund

Das System viehloser Betrieb

Eine Alternative für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise?

von Bernhard Freyer, Jürgen K. Friedel, Gabriele Pietsch

 

Viehlos bewirtschaftete Ackerbaubetriebe sind auch im Ökolandbau immer häufiger anzutreffen. Bewirtschafter biologischer Grünlandbetriebe könnten diesem rein pflanzenbaulichen Systemansatz in Kürze folgen, wenn die Energiegewinnung über Biogasanlagen wirtschaftlich und arbeitswirtschaftlich lukrativer wird als die Tierhaltung. Doch inwieweit entspricht der viehlose Betrieb den Grundgedanken der biologisch (-dynamischen) Landwirtschaft? Im Folgenden eine Annäherung an diese Frage, ohne dass wir eine abschließende Antwort geben wollen.

Die Bedeutung der Mikroorganismen

Den landwirtschaftlichen Betriebsorganismus verstehen wir in einem erweiterten Sinn als ein Beziehungsgeflecht einzelner in gegenseitiger Abhängigkeit stehender organischer Teilsysteme, bestehend aus dem Boden, den Pflanzen, dem Kompost, dem Tier sowie dem Menschen. Diesen Systemen kommen unterschiedliche Aufgaben zu. Ihnen gemeinsam ist, dass sie dann gut arbeiten, wenn die Mikroorganismen ideale Lebensbedingungen vorfinden. Nehmen wir etwas auf, was uns den Magen verdirbt, geht es uns schlecht bzw. den Mikroorganismen in unserem Magen-Darm-Trakt. Genau so ist dies für die anderen Teilsysteme zu „empfinden”. Wir verzichten von daher auf Pestizide, Herbizide und leichtlösliche Mineraldünger. Auf den Punkt gebracht: einem so behandelten Boden dreht sich der Magen um. Und: er verliert seine Selbstheilungskräfte und damit seine Unabhängigkeit. In der Viehhaltung gehen wir analog vor, indem wir auf solche Futtermittelkombinationen und Leistungssteigerer verzichten, die weder Magen-Darm-Trakt verträglich sind, noch im „Krankheitsfall“ die Selbstheilungskräfte der Tiere unterstützen.

Austauschprozesse im Betriebsorganismus

Zwischen den Teilsystemen werden Stoffe, Informationen und Empfindungen ausgetauscht. Nun stellt sich die Frage, inwieweit diese Austauschprozesse in einem viehlosen Betrieb Änderungen unterliegen. Dazu betrachten wir auszugsweise die stofflichen Prozesse in und zwischen den Teilsystemen Boden-Pflanze-Tier-Kompost bzw. Biogasanlage.

 

Die Vielfalt und Biomasse der Mikroorganismen im Boden sind die Voraussetzung für den Abbau von unerwünschten organischen Verbindungen sowie für den Aufbau von wichtigen Lebensbausteinen wie z. B. Aminosäuren. Der Humuskörper ist zugleich Speicher und Spender von Nährstoffen und Wasser für die Pflanzen- und Tierwelt.

 

Vielfältige Pflanzenbestände sowie eine weitgehend permanente Bodenbedeckung sind wiederum Voraussetzung für die Entwicklung und Beibehaltung dieser Bodenqualitäten. Die Gesundheit einer Pflanze steht in enger Beziehung zu ihrer Vergesellschaftung in Zeit und Raum. Sind die damit angelegten Austauschbeziehungen nicht ideal gestaltet, so sind in der Fruchtfolge- und Mischkulturanlage gleich einer Familienaufstellung Änderungen vorzunehmen.

 

Eine raufutterbetonte, artenreiche Fütterung ist ideal an die natürlichen organischen Bedingungen des Rindes angepasst. Kompostierung kann entweder intensiv erfolgen – dann ist sie primär mikroorganismengesteuert und effizient im Umbau von organischen Verbindungen – oder eher extensiv, dann ist sie auch stärker über andere Kleinstlebewesen gesteuert, das Pflanzengut ist dann allerdings weniger stark abgebaut.

Stickstoff-Flächenbilanzsaldo bei Mulch- und Schnittnutzung von Luzerne und Luzernegras am Standort Raasdorf, BOKU Wien, 2001 (kg N / ha)

 

Mulchnutzung

Schnittnutzung

Stickstoffbindung

159

175

N in Ernteprodukten

 

284

N-Verluste aus dem Mulch

22

 

N-Bilanzsaldo ohne Rückfuhr

+137

-109

N-Rückfuhr über org. Dünger 1)

 

142

N-Bilanzsaldo mit Rückfuhr

+137

+33

1): Geschätzte N-Verluste durch tierische Veredlung, Lagerung, Ausbringung: 50 %

   

Veränderte Systembedingungen im viehlosen Betrieb – Chancen und Risiken

Was verändert sich nun im viehlosen Betrieb? Zunächst kann festgehalten werden, dass alle Austauschprozesse, die über das Tier wirksam werden, und die Kompostierung von Stallmist, verlustig gehen. Damit fehlen zum einen die über das Tier und den Kompost wirksam werdenden Bildekräfte und zum anderen die positiven Wirkungen von Stallmist wie z. B. auf die Aggregatstabilität, die Aminosäurenbildung und den Humusaufbau im Boden.

 

Auf eher feuchten Standorten ist die Stickstofffixierleistung von Klee- bzw. Luzernegras bei Mulchverfahren der von Schnittverfahren oft unterlegen. Der aus dem ersten Aufwuchs (Mulch) mineralisierte Stickstoff wird im zweiten Aufwuchs zu Lasten der Stickstofffixierung aufgenommen, da letztere energieaufwändiger ist als die Aufnahme von Stickstoff aus der Bodenlösung. Unter ungünstigen Bedingungen kann das erhöhte N-Angebot vor allem der zweiten und dritten Mulchnutzung zu einer erhöhten N-Auswaschung führen. Dem kann durch Abfuhr des Aufwuchses (Schnittnutzung) begegnet werden. Die N-Flächenbilanz fällt dann aber zumeist negativ aus (wenn die N-Abfuhr höher ist als die Stickstofffixierung, s. Tabelle).

 

Überjährige Klee- /Luzernegrasbestände erzielen eine höhere Biomassebildung und Stickstofffixierungsleistung als im Frühjahr des Grünbrachejahres angesäte Bestände. Durch einen Gräseranteil im Gemenge mit Klee oder Luzerne bis zu 30 % der Reinsaatstärke im Ansaatjahr wird die Luftstickstofffixierung nicht beeinträchtigt, der Ertrag kann sogar etwas erhöht sein. Im Gemenge können die Gräser aus dem Mulchmaterial freigesetzten Stickstoff aufnehmen und so die Stickstofffixierleistung erhöhen und N-Auswaschungsverluste verringern. Bezüglich der N-Ausgasung werden Verluste von 2 bis zu 8 % des Gesamt-N der Mulchbiomasse angenommen. Ein später Umbruchtermin von Klee- / Luzernegrasbeständen im Herbst oder ein Frühjahrsumbruch können Stickstoff-Auswaschungsverluste reduzieren.

 

Im viehlosen Betrieb kann eine Nährstoffrückfuhr über Biogasgülle oder Kompost aus der Pflanzenmasse die Funktion der Viehhaltung im Nährstoffkreislauf übernehmen. Diese Rückfuhr liefert einen gezielt einsetzbaren Dünger und ist positiv für die N-Bilanz. Biogasgülle wirkt sich einerseits positiv auf die Pflanzenerträge aus, andererseits nimmt das Risiko von N-Verlusten zu, da der mineralische N-Anteil zu Lasten des organischen zunimmt. Inwieweit die Gärrückstände der Biogasverwertung von Klee- oder Luzernegras vergleichbare Wirkungen für den Humus- und Stoffaufbau im Boden erzielen können wie ein Stallmistkompost, ist kritisch zu hinterfragen. Was wir wissen: mit dem anaerob verlaufenden Prozess in der Biogasanlage nimmt der Anteil an leicht verfügbarem Kohlenstoff deutlich ab, das C:N-Verhältnis wird enger.

 

Wegen des höheren N-Flächenbilanzsaldos sind Erträge und Rohproteingehalte von Getreidenachfrüchten im Mulchverfahren an ausreichend feuchten Standorten zumeist höher als bei Schnittgut-Abfuhr ohne Düngerrückfuhr. An trockenen Standorten und in trockenen Jahren verzögert das geringe Wasserangebot die Pflanzenentwicklung, Stickstoffbindungsleistung und N-Freisetzung aus dem Gründüngungsmulch und mindert günstige Nachfruchteffekte der Mulchnutzung. Die Nährstoff-Rückfuhr über Biogasgülle oder Kompost kann die Ertragsentwicklung auch hier positiv unterstützen.

Fazit und Forschungsfragen

In viehlosen Betrieben muss besonders darauf geachtet werden, Stickstoffverluste durch das Management von Klee- oder Luzernegrasbeständen, Fruchtfolgegestaltung, Abstimmung der Bodenbearbeitung auf die Fruchtfolge sowie weitere Kulturmaßnahmen zu minimieren! Die Erträge der Folgefrüchte lassen sich verbessern durch Maßnahmen wie eine Nährstoffrückfuhr über Biogasgülle oder Kompost aus der Pflanzenmasse anstatt bzw. zusätzlich zu der Grünbrachenutzung der Leguminosenbestände, den Anbau von Zwischenfruchtgemengen mit Leguminosenanteil, Leguminosenuntersaaten in Getreidebeständen, Gemenge von Sommergetreiden mit Körnerleguminosen und ggf. den Zukauf von Wirtschaftsdüngern oder organischen Handelsdüngern.

 

Aus den vorausgegangenen Überlegungen leiten sich folgende Forschungsthemen für die biologisch (-dynamische) Landwirtschaft ab:

  • positive Auswirkungen der Gründüngungsnutzung (Mulchen) von Klee- / Luzernegras auf die Bodenaggregate und den Humusaufbau im Vergleich zu Stallmistdüngung;

  • Auswirkungen von Biogasgülle auf z. B. die Produktqualität durch erhöhte Ammoniumgehalte in der Biogasgülle oder das erhöhte Befallsrisiko durch Schadpilze bei Getreide;

  • Auswirkungen der Biogasgülle auf die Wirksamkeit kosmischer Kräfte (Qualitätsbildung) (siehe dazu E. Schellerin LE 4/2006);

  • Auswirkungen der Biogasgülle auf Bodenaggregate, Humusgehalt und -qualität sowie N-Verluste während der Ausbringung;

  • Wirkungsweise und Stellenwert der alternativen Kompostierung von Kleeaufwuchs.

Die Autoren

  Prof. Dr. Bernhard Freyer, Dr. Jürgen K. Friedel, Gabriele Pietsch,

  Institut für ökologischen Landbau (IfÖL), Universität für Bodenkultur,

  Gregor-Mendelstr. 33, A-1180 Wien