Berichte & Initiativen

Wertschöpfung durch Wertschätzung

Die Regionalwert AG – Antwort auf Probleme ökologischer Betriebe?

 

Vor fünf Jahren haben wir, der Gärtnermeister Christian Hiß und seine Frau Andrea, bei Freiburg die Regionalwert AG gegründet. Wir brachten aus dem Familienbesitz den seit 55 Jahren biologisch-dynamisch bewirtschafteten Demeterhof Hiß in die AG ein. Mit dem Geld der damals 40 anderen Aktionäre – Unternehmer, Lehrer, Anwälte, Biologen und Bauern aus der Region – begann die neue Aktiengesellschaft, landwirtschaftliche Betriebe, die keinen familien­eigenen Nachfolger haben, zu kaufen oder sich an ihnen zu beteiligen und sie an qualifizierte Existenzgründer zu verpachten. Zudem werden Investitionen in laufenden Betrieben gefördert. In beiden Fällen jedoch nur, wenn die Betriebsleiter ökologisch verantwortbar wirtschaften und zu regionaler Kooperation bereit sind. Denn das Ziel dieser neuen „Bürgeraktiengesellschaft“ ist die Sicherung ökologischer Wertschöpfung in der Region für die Region: vom Gemüseanbau bis zu Gastronomie und Lieferservice. Mittlerweile knapp 500 Aktionäre konnten für dieses Ziel begeistert werden. In einigen anderen Regionen sind Bestrebungen im Gange, das Modell zu übertragen. Mit dem Konzept haben wir mehrere Problemstellungen der ökologischen Land- und Regionalwirtschaft aufgegriffen und versucht, durch das neue Strukturmodell Lösungen herbei zu führen.

Der ausführliche Beitrag findet sich in Landwirtschaft 2012: der kritische Agrarbericht.

Schwerpunkt: Zusammenarbeiten für eine andere Landwirtschaft.

Hrsg: Agrarbündnis e.V., s.a. Buchvorstellungen S. 54

Warum eine Regionalwert AG?

Nach nahezu sechzigjähriger biologisch-dynamischer Bewirtschaftung unternahmen wir als Eigentümer und Bewirtschafter des Familienbetriebes diesen wohlüberlegten Schritt aus folgenden Gründen:

Hofnachfolge

Bisher gibt es wenig differenzierte Möglichkeiten zur Betriebsweitergabe. In den meisten Fällen gilt: entweder eines der Kinder der Familie bewirtschaftet den Hof weiter oder der Betrieb existiert in absehbarer Zeit nicht mehr. Übernimmt jedoch die nachfolgende Generation den Hof, ist nie ganz klar, aus welchen Motiven heraus sich die Nachfolger zu diesem Schritt entschlossen haben: aus der Neigung zu dem Beruf des Landwirts, oder, um die Eltern nicht zu enttäuschen. Auch die Betriebs­entwicklung leidet, wenn die Situation unklar ist: ein Betriebsleiter muss ja bereits 15 Jahre vor dem Rentenalter Neuinvestitionen einstellen und den Betrieb langsam auslaufen lassen. Denn entscheidet sich keines der Kinder dafür, den Betrieb weiterzuführen, sind die Fremdkapitalverbindlichkeiten im Rentenalter oft ein Problem. Und auch die außerfami­liäre Hofnachfolge ist ein schwieriges Thema; viele Versuche schlagen aus sozialen Gründen und mangelnder Finanzierung fehl.

Der multifunktionale Hof ist sinnvoll und zukunftsweisend, aber er überfordert die Betriebsleiterfamilien gnadenlos, weil in jedem Arbeitsbereich die Anforderungen an die Qualifikation stetig steigt. Wie kommt man aus dem Dilemma Spezialisierung versus Diversifizierung heraus, ohne sich und die Mitarbeiter zu überfordern? Die Idee ist, ein Netzwerk von Betrieben aufzubauen, in dem jeder Teilbetrieb unternehmerisch selbständig von einem auf sein Kerngeschäft spezialisierten Unternehmer geführt wird. Durch die intensive Zusammenarbeit der Betriebe können die Negativeffekte der Spezialisierung aufgehoben werden. Die gesellschaftsrechtliche und kapitalwirtschaftliche Zusammengehörigkeit gleicht die unter aktuellen Bedingungen gegebene unterschiedliche finanzielle Wertschöpfung aus, Gewinne oder Verluste werden über die ganze Wertschöpfungskette verteilt Die Eingliederung von Wertschöpfungsstufen kann je nach Region rasch erfolgen. Landwirte, Verarbeiter, Dienstleister und Händler werden zu Partnern unter einem Dach, handelsrechtlich wird die Konstruktion als Holding bezeichnet.

Kapitalbeschaffung

Landwirtschaft braucht im Verhältnis zu ihrer Rentabilität viel Geld, Dienstleistung eher wenig. Banken geben Geld an Landwirte nur zögerlich, weil es nicht sicher ist, ob ein Betrieb über lange Sicht in der Lage sein wird, den Kapitaldienst zu leisten; viele Darlehen laufen bis zu 20 Jahren. Soziale und ökologische Kriterien an sich spielen bisher keine Rolle. Finanziert wird, was sich rechnet. Doch konstruiert man wie wir verschiedene Wertschöpfungsstufen als zusammengehöriges Wirtschaftsgebilde und alle im Netzwerk übernehmen die Risiken, dann kann auch ein zunächst finanziell unrentables Unternehmen finanziert werden. Langfristig muss man natürlich auf finanzielle Rentabilität achten, ebenso wie auf die jeweilige Eignung der Betriebsleiter.

Bürgerbeteiligung

Da Landwirtschaft mehr leistet als die bloße Nahrungsmittelproduk­tion, indem sie den Lebensraum gestaltet und viele Gemeingüter mehr oder weniger erhält, sollten die Betroffenen (heute „Stakeholder“) in die langfristige Regionalentwicklung mit einbezogen werden. Das gelingt mit der Regionalwert AG durch die an die Kapitaleinlage gebundenen Stimmrechte.

Sozial-ökologische Berichterstattung

Bei der praktischen Arbeit in der ökologischen Landwirtschaft hat sich uns gezeigt, dass nach den bisherigen betriebs- und finanzwirtschaftlichen Rechenmodellen eine sozial-ökologisch ausgerichtete Betriebsführung immer finanzielle Nachteile hat: Kosten für Landschaftsgestaltung, den Erhalt der Biodiversität, Bodenaufbau und die häufig dafür in Kauf genommenen Mindererträge pro Hektar. Um dies in der Buchhaltung auch als Ertrag abzubilden, wird den Kapitalgebern die sozial-ökologische Wertschöpfung der Landwirtschaft jährlich offengelegt. Mit Hilfe eines Forschungsprojektes wurden dazu 64 Indikatoren entwickelt, die die Leistung in den folgenden zwölf Feldern dokumentieren:

  • Beschäftigungsstruktur

  • Entlohnung

  • Mitarbeiterfluktuation

  • Qualität der Arbeitsplätze

  • Bodenfruchtbarkeit (Landwirtschaft)

  • Ressourcenverbrauch

  • Biodiversität

  • Anwendung der EG-Bio-Verordnung

  • Wertschöpfungsverteilung

  • Wertschöpfung in der Region

  • Engagement in der Region

  • Dialog in der Wertschöpfungs­kette

Ein neues Wertschöpfungsnetzwerk

Die 2006 gegründete Regionalwert AG Bürgeraktiengesellschaft ermöglicht es als Rechtsform, eine große Zahl von Beteiligten einzubinden. Sie wird von einem sechsköpfiges Aufsichtsrat und einem geschäftsführenden Vorstand geleitet. Durch Ausgabe von neuen Aktien für je 500 Euro, wurde das Stammkapital schrittweise von ursprünglich 385.000 Euro auf mittlerweile knapp zwei Millionen Euro erhöht. 3932 Regionalwert-Aktien sind an 480 Aktionäre ausgegeben, keiner besitzt mehr als sieben Prozent der Aktien. In allen vier Kategorien der Wertschöpfungskette, Dienstleistung, Landwirtschaft, Verarbeitung und Vermarktung, wird investiert, teils in Betriebsvergrößerungen, aber auch Existenzgründungen. Vier Betriebe sind so entstanden, die Regionalwert AG bringt in diesen Fällen über den Weg der Gesellschaftsbildung Eigenkapital in die Betriebe ein.

Wir würden den Schritt wieder machen. Denn vieles von dem, was wir erhofft hatten, wurde erreicht. Die Söhne sind frei von der Last, den elterlichen Betrieb übernehmen zu müssen. Sie haben dennoch weiterhin die Möglichkeit, einen landwirtschaftlichen Beruf zu ergreifen und einen Betrieb zu bewirtschaften. Und trotzdem hat unser ehemaliger Betrieb – im Besitz der Bürger-Aktionäre – Perspektive. Das Netzwerk wächst ständig und wir konnten bereits einige Existenzgründungen auf den Weg bringen. Betriebe können effizienter geführt werden. Die Nachfrage nach Aktien ist groß. Menschen investieren ihr Geld „vor der Haustür“ in regionale und sinnvolle Projekte.

Das Aktienrecht allerdings ist sehr anspruchsvoll und die Aktiengesellschaft nur mit viel Kenntnis und Beratung zu führen. Den kleinen Be­trieben hilft auch, dass wir einen Regio­nalwert-Dienstleister ge­grün­det haben, der die Betriebe bei der Buchhaltung, dem Controlling und den Fördermodalitäten hilft bzw. diese Aufgaben für sie übernimmt.

 

Die Regionalwert AG wird wachsen, in der Region Freiburg wie auch darüber hinaus. Denn ihre Gründung ist auf fruchtbaren Boden gefallen, weil neue Konzepte gebraucht werden, um dem Trend zu großen Betrieben, Hofaufgabe, Globalisierung und dem Ausverkauf der regionalen Strukturen etwas entgegen zu setzen. Die Regionalwert AG-Bürgeraktiengesellschaft ist dazu nur ein Modell, aber sicher eines, das sehr konsequent die Herausforderungen angeht.

 

Zum Beispiel: Gemüsebauer sucht Hofnachfolger

Ein Gemüsebauer in der Region sucht einen Betriebsnachfolger. Er findet zwar einen, der kann aber den Kapitalbedarf für Betriebsgründung und Übernahme nicht aufbringen. Seine Eltern würden zwar mitfinanzieren, aber es reicht nicht. Andere Lösungen wie die schrittweise Ablösung über viele Jahre würden den Existenzgründer in den ersten Jahren zuviel Liquidität kosten. Banken winken ab, denn erstens fehlen Sicherheiten und zweitens Geschäftsabschlüsse, die nachweisen, dass der Betrieb den Kapitaldienst tragen kann. Öffentliche Förderung? Fehlanzeige. Vielleicht ein Junglandwirtezuschuss über 15.000 Euro, aber nur für Neuinvestitionen. Verbilligte Darlehen? Ja, die gibt es, aber ebenfalls nur für Neuinvestitionen. Ein Existenzgründer braucht aber Kapital. Die Lösung: Der junge Gemüsebauer gründet eine KG, die Eltern und die Regionalwert AG werden Kommanditisten und statten den Existenzgründer mit genügend Eigenkapital aus, dass er seinen Betrieb beginnen kann.

Ähnliche Möglichkeiten bieten sich beispielsweise für die Betriebsvergrößerung eines kleinen Bioladens, der mithalten will, Existenzgründung in der Landwirtschaft – wenn der Hof erworben werden muss oder für Neuinvestitionen bei Betriebserweiterung.

Christian Hiß

Gärtnermeister, Masterabschluss für Social Banking (MASB).

Gründer und Vorstand der Regionalwert AG,

seit 2010 Ashoka Fellow.

Hauptstrasse 140,

79356 Eichstetten,

http://www.regionalwert-ag.de