Aus der Bewegung

Pestizidnebel vom Nachbarn

Was fordert die neue EU Öko-Verordnung?

Interview mit Peter Röhrig, BÖLW

Vor einem Jahr wurde das neue Bio-Recht beschlossen, derzeit wird diese Basis-Verordnung um konkrete Regelungen ergänzt. Auf dem Weg dorthin drohte Bio ein Paradigmenwechsel: Aus einem Prozess- sollte ein Produktstandard werden – mit speziellen Bio-Grenzwerten. Was konnten die Ökoverbände da erreichen?

Die neue Öko-Verordnung bleibt ihrem Grundsatz treu: Ein Produkt ist dann ein Bio-Produkt, wenn es nach den Regeln des Bio-Rechts hergestellt, kontrolliert und gelabelt wurde. Die Idee der EU-Kommission, Bio anhand eines Laborbefundes zu definieren, ist abgewählt. Im neuen Bio-Recht werden keine öko-spezifischen Grenzwerte für Stoffe eingeführt, die laut Öko-Verordnung verboten sind. Das ist gut so, denn erstens gibt es bereits gesetzliche Grenzwerte, die den gesundheitlichen Verbraucherschutz sicherstellen, sie gelten für jedes Lebensmittel. Zweitens wirtschaften Bio-Unternehmer nicht auf einer Insel. Das heißt, auch wenn Bauern alle Regeln einhalten, können etwa Pestizid-Spuren von Nachbarbetrieben oder Umweltkontaminanten die Bio-Produkte verunreinigen – ohne dass sie es beeinflussen können. Laboranalysen können nur Indizien zur Integrität von Bio-Produkten liefern, aber werden auch künftig nicht allein herangezogen. Schließlich kann man an einem Laborbefund nicht sehen, ob etwa ein Bio-Tier genug Auslauffläche hatte. Und nur, weil ein Produkt ‚pestizidfrei‘ ist, muss es nicht Bio sein.

Die Verordnung, die am 1.1.2021 in Kraft tritt, fordert von Bio-Betrieben Maßnahmen, um Risiken der Kontamination durch nicht zugelassene Stoffe zu vermeiden und zwar nicht nur bezogen auf Erzeugnisse, sondern auch auf die Produktion. Letzteres ist neu und weckt bei Landwirten Ängste, sie müssten jetzt dafür Sorge tragen, dass der konventionelle Landwirt nicht spritzt. Wie liest der BÖLW diese Vorgabe?

Vorsorgemaßnahmen sind besonders relevant für teilumgestellte Betriebe, die in anderen Teilen der EU durchaus üblicher sind als in Deutschland. Denn solche Mischbetriebe haben höhere innerbetriebliche Risiken. Bio-Betriebe müssen schauen, wo in ihrem Betrieb Eintrags- oder Vermischungsrisiken bestehen und entsprechende Vorsorgemaßnahmen definieren. Die Vorsorgemaßnahmen müssen im Verantwortungsbereich des Unternehmens liegen und „angemessen“ und „verhältnismäßig“ sein. Die Regelung betrifft nur die Stoffe, die das Bio-Recht regelt, also Futtermittel, Pestizide, Dünge- oder Reinigungsmittel und Saatgut.

Das heißt, die neue Verordnung beeinflusst das nachbarschaftliche Verhältnis von Bio-Bauern und konventionellen Bauern nicht?

Genau. Denn was der Nachbar macht oder lässt, liegt nicht im Einflussbereich eines Bio-Betriebs. Schwierigkeiten entstehen aber, wenn etwa Pestizide bei der Zulassung nicht auf ihre Koexistenzfähigkeit geprüft werden. Auch die gute fachliche Praxis Pflanzenschutz schützt Bio-Flächen nicht speziell. Beides muss sich ändern, denn bereits heute haben Bio-Bauern immer wieder Schäden durch Abdrift. Diese Probleme werden sich mit der neuen Öko-VO nicht verringern, da auch künftig Bio-Produkte zum Beispiel im Rahmen der Bio-Kontrolle stichprobenartig auf Kontaminationen untersucht werden und dann Abdrift sichtbar wird. Schon heute müssen sich Bio-Bauern deswegen mit Nachbarn zur Regulierung der Schäden auseinandersetzen. Teils mit deren Versicherungen, teils vor Gericht. Das wird so bleiben.

Aber: Die Öko-VO fordert weder eine spezielle Aufklärungspflicht der konventionellen Nachbarn noch spezielle Anbau-Vorgaben. Das wäre auch kein „angemessenes“ Vorgehen. Im Einzelfall kann es für Bio-Betriebe allerdings sinnvoll sein, ihre Nachbarn über ihre besondere Situation zu informieren und so bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung bei Schäden ihre Position zu stärken. Unabhängig vom Bio-Recht ist der dafür verantwortlich, Abdrift zu vermeiden, der Pestizide einsetzt.

Wie geht es nun weiter mit der Auslegung und Umsetzung in diesem Punkt?

Wir arbeiten an einer Auslegung des neuen Rechts, also daran, was „angemessene“ und „verhältnismäßige“ Vorsorgemaßnahmen sind und diskutieren diese mit Behörden, Unternehmen und Berufskollegen in der IFOAM-EU-Gruppe. Das ist kein Hexenwerk. Lebensmittel-Unternehmen arbeiten seit vielen Jahren mit HACCP-Konzepten, um die Lebensmittelsicherheit sicher zu stellen. In Anlehnung an dieses Vorgehen entwickeln wir Konzepte, mit denen Bio-Betriebe schnell und einfach die kritischen Stellen ihrer Produktion erkennen sowie managen und dadurch die Integrität ihrer Produkte absichern können.

Klar ist: Wenn es weniger Pestizidspuren in Lebensmittel geben soll, muss deren Einsatz insgesamt zurückgehen. Die Umstellung auf Bio ist hier ein wesentlicher Beitrag. Bio-Bauern für Kontaminationen verantwortlich zu machen, ist kontraproduktiv.

Sind unterschiedliche Auslegungen zu befürchten in den Bundesländern oder seitens der verschiedenen EU-Staaten?

Ja. Das gilt aber für die Umsetzung von EU-Recht immer und ist Realität für die aktuelle Öko-Verordnung. Positiv daran ist, dass es Anpassungen an die regional unterschiedlichen Verhältnisse von Finnland bis Malta ermöglicht. In Deutschland drängen wir von Seiten des BÖLW gegenüber den Bundesländern auf gemeinsame Interpretationen – wie bisher auch.

Interview: Michael Olbrich-Majer