Aus der Bewegung

Neun Jahrzehnte Talhof

Ein biodynamischer Pionierbetrieb mit Ausstrahlung

Neun Jahrzehnte biologisch-dynamische Bewirtschaftung – nur wenige konnten dies schon feiern: Der Talhof in Heidenheim gehört jetzt dazu. Und hatte Anfang Juli zum Fest geladen.

1929 startete die biodynamische Bewirtschaftung dieses vor den Toren Heidenheims liegenden Hofes. Der anthroposophisch orientierte Unternehmer Hanns Voith hatte den Hof erworben, und der Pächter Eugen Mühlhäuser führte auf dem Betrieb erfolgreich biologisch-dynamische Praktiken ein, auch wenn er zunächst überzeugt werden musste: Milch und Tiere wurden prämiert, 1933 gab es das Demeter-Label. Dabei sind die kleinklimatischen Voraussetzungen eher ungünstig: auf ca. 500 m.ü. NN gelegen, kalt, Spätfröste und magere Böden. Die folgenden Bewirtschafter, Familie Ehrhäuser, verstanden sich weniger aufs Biodynamische, so dass sie von Mitgliedern des örtlichen anthroposophischen Zweigs bei der Präparatearbeit unterstützt wurden. Ab 1947 übernahm Immanuel Voegele, Teilnehmer an Steiners landwirtschaftlichem Kurs und in der biodynamischen Bewegung u. a. als Autor engagiert, die Bewirtschaftung. Ihm folgten 1952 Friedrich und Hannerose Sattler, die zusammen mit Hilde Pfeiffer über Jahrzehnte den Talhof prägten: als Ausbildungsort, mit preisgekrönter Rinderzucht, als Objekt für die Wissenschaft zum Ökolandbau, als Ausgangspunkt von Friedrich Sattler für Fachvorträge, das Verfassen von Büchern und das Engagement in der Meisterprüfung. Hierfür wurde Sattler mehrfach geehrt, u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz 1989. Nach der aktiven Zeit im Betrieb brachte sich Sattler noch mehr als zwei Jahrzehnte auf vielen Ebenen im Demeter-Verband ein, u. a. als Demeter-Bund Vorstand.

Marianne und Sivert Joerges folgten als Pächter ab 2004 dann zusammen mit Claus Ruoff, der die hofeigene Bäckerei ausbaute und auf Hofkäse setzte. 2008 löste Lothar Ulrich Joerges als Mitpächter ab.

Eine schwierige Zeit folgte auf den Großbrand von 1998, der Ställe und Lagergebäude vernichtete. Doch es gab Hilfe: Die Ludolf Andreas Stiftung von Cornelia Hahn, Tochter von Hanns Voith, übernahm den Hof und investierte in neue Gebäude, u. a. einen ansehnlichen Kuhstall und eine Heutrocknung.

Heute wird der Hof von Rüdiger Spiegel geleitet, bis vor kurzem noch gemeinsam mit Vanessa Przybyla. Schwerpunkt ist die Käserei, die zwei Drittel der Milch der 35 Kühe verarbeitet und ihre Produkte auch in Bio- und Supermärkten der Umgebung vertreibt; der Rest wird über den Milchautomaten verkauft bzw. dient der mutter­gebundenen Kälberaufzucht.

Doch ist der Talhof inzwischen zu einem sozialen Ort geworden: Das Café Walden am Hof bietet auch Veranstaltungen, der Verein „Talhof erLeben“ fördert Naturschutzaktivitäten und die 2019 eingerichtete Imkerei, es gibt einen Verlag, der gerade die Talhof-Chronik publizierte (s. S. 55), Waldkindergarten und freie Michaelschule liegen vor der Hoftür, und das Wohnprojekt am Taleingang bringt Besucher.

Von diesen gab es dann am Fest reichlich: Mehr als 3.800 kamen an den zwei Tagen, um abends dem Neuen Kammerchor aus Heidenheim zu lauschen oder den Festreden am Sonntag, u. a. von Demeter Vorstand Dr. Alexander Gerber und der Staatssekretärin im Baden-Württembergischen Landwirtschaftsministerium, Friedlinde Gurr-Hirsch. Kunsthandwerkermarkt, Infostände, Kinderaktionen und mitorganisierende Partner wie die Bio Musterregion Heidenheim oder die Gläserne Produktion Heidenheim zeigten, dass das, was vor 90 Jahren hier als individuelle Idee begann, längst breiten Zuspruch der Gesellschaft findet. Besonders freuten sich darüber auch die heute in der gemeinnützigen Interessengemeinschaft Talhof organisierte Nachfahren der Hofeigentümer, u. a. Dr. Angela Voith oder Dr. Ophelia Nick, für die der Talhof nicht nur schöne Kindheitserinnerungen bedeutet, sondern nach wie vor ein Lieblingsprojekt.

RED.