Biodynamisch

Lebenskräfte, Hierarchien, Elementarwelt

Hintergründe des Lebendigen

von Andrew Lorand

 

In allen Dingen und Wesen lebt Kraft. Dies lehren uns nicht nur die Religionen, sondern auch die Künste und die Wissenschaften – und das tägliche Leben. Jeder Bauer erlebt, wie die Kräfte der Jahreszeiten unsere Pflanzenwelt hervorbringen, reifen lassen und wieder zum Zerfall zwingen. Die Kräfte selbst sind für uns meist unsichtbar, aber ihre Wirkung ist klar zu sehen und zu erleben. Seit ältesten Epochen beobachten wir dieses Grundphänomen des Lebens auf Erden – und fragen uns: Woher kommt das? Welche Kräfte bringt so etwas zustande?

 

Die Grundlagen der biodynamischen Praxis sind auf einem Verständnis der Natur aufgebaut, in dem das Materielle, das Lebendige, das Seelische und das Bewusst-Geistige gleichermaßen von Bedeutung sind, ebenbürtige Rollen haben. Ihre „Zusammenarbeit“ zu verstehen, ist für uns Erkenntnisarbeit, Fundament der Diagnostik und Therapiefindung für das Gesunde und Produktive. Wir bemühen uns, das Gesunde zu fördern, dem Ungesunden vorzubeugen und, falls nötig, es mit angebrachten „Therapien“ wieder zum Gesunden zu führen. In dieser Hingabe zum Gedeihen des Gesunden liegt gerade das Besondere des landwirtschaftlichen Impulses Rudolf Steiners.

 

Aus der anthroposophischen Geisteswissenschaft, die das Fundament der biodynamischen Landwirtschaft ist, lernen wir, wie „hinter“ und in jedem Ding, jedem Lebewesen, differenzierte Kräfte, nicht nur materielle, sondern auch Lebens-, Seelen- und Bewusstseinskräfte am Werk des Wachstums und der Reife walten. Wir sprechen vom „Lebendigen“ im Sinne von nicht nur materiellen Substanzen und Prozessen, sondern auch und besonders von Kräften, die nicht dem Materiellen entstammen, aber eben im Materiellen wirken, um das Leben hervorzubringen. Diese „Lebenskräfte“ z. B. werden auch „Ätherkräfte“ genannt und wir haben in der Januarausgabe ausgeführt, wie wir sie verstehen und wie diese im Leben der Natur wirken.

 

Diese zuerst unsichtbaren Kräfte sind für das Sprießen, Sprossen, Wachsen, Blühen, Reifen, Fruchten und Samenbilden „verantwortlich“. Selbstverständlich sind viele Stoffe und Kräfte am Werk: Boden, Ernährung, Feuchte, Luft und Wärme zum Beispiel. Gerade in diese, sagen wir „gröberen“ Stoffe und materiellen Prozesse, „arbeiten“ die unsichtbareren hinein, verbinden sich mit dem Materiellen und bringen das Leben als solches hervor als ein materiell-geistiges, lebendiges Gebilde. Wir können diese Kräfte allmählich kennen lernen, anfänglich speziell in ihrer sichtbaren Wirkungsweise und dann, wie und wann wir sie stärkend und verfeinernd zu einem integrierten, harmonischen Zusammenwirken stimulieren können. Darin liegen auch diagnostische (Was ist gesund, was ist ungesund?) und therapeutische (Was machen wir, um gesunde Produktivität wieder herzustellen?) Aufgaben des Bauern.

 

Die anthroposophische Geisteswissenschaft untersucht diese unsichtbaren Kräfte, um ein tieferes Verständnis dessen zu gewinnen, wie Lebendiges zustande kommt und wie wir konstruktiv in diesem materiell-geistigen, lebendigen Gebilde, das wir sonst undifferenziert einfach Natur nennen, arbeiten können. Durch die Untersuchungen vor allem Rudolf Steiners und seiner Mitarbeiter (siehe u. a. Kolisko, Wachsmuth, Pfeiffer usw.), aber auch weiteren, beginnen wir, ein Bild davon zu gewinnen, wie hinter den unsichtbaren, aber in der Tat effektiven Kräften der Natur wirkliche, bewusste Wesen wirken. Seit Urzeiten weiß die Menschheit um solche Wesen, die in der Natur wirken, gab ihnen Namen und spürte, erlebte ihre Wirklichkeit. In allen Kulturen der Antike und Vor-Antike wussten die Menschen, dass beispielsweise Erde, Wasser, Luft und Wärme nicht nur abstrakte Kräfte der Natur sind, sondern dass in diesen der Ausdruck geistig-kräftemäßig beteiligter Wesen zu erleben ist.

 

Dass dieses Spüren und Erleben dieser Wesen verloren gegangen ist, zeugt vom Bewusstseinswandel der Menschheit. Heute fokussieren wir unsere Wissenschaftstätigkeit auf die mechanischen Wirkungen, auf die chemisch-physikalischen Bestandteile, auf die atomistische Zusammensetzung und deren Wechselwirkungen. Die anthroposophische Geisteswissenschaft will diesen naturwissenschaftlichen Fokus nicht ändern, sondern als wichtige Erweiterung die geistigen Kräfte und die dahinter wirkenden Wesen – zusätzlich – wieder ins Bewusstsein rufen, sie untersuchen und neue Aspekte der Zusammenarbeit mit ihnen suchen – modern, bewusst, transparent und schlüssig.

 

Zu Zeiten der alten Griechen gab es noch ein Bewusstsein der „Götter“. Mit dem aufkommenden Christentum wurden die Wesen, die im Universum und in der Natur auf der Erde wirken, auch bewusst angesprochen – hauptsächlich als Engel – wie zuvor auch im Judentum und später im Islam. In noch früheren Zeiten und in anderen Kulturen wie auch später im europäischen Mittelalter kamen zudem andere „kleinere“ Wesen in Betracht, sogenannte Elementarwesen oder Naturgeister. Solche Beschreibungen mögen mythologisch anmuten bzw. auch „nur“ religiös. In der anthroposophischen Geisteswissenschaft und demzufolge auch in der Biodynamik wird die Existenz von diesen vielen differenzierten, im Universum und in der Natur wirkenden Wesen ernst genommen, untersucht und versucht, ein modernes Verständnis davon zu entwickeln, so weit konkrete Forschungsergebnisse vorliegen.

 

Diese Wesen werden differenziert untersucht, obschon es so ist, dass viele solche Wesen gleichzeitig und am gleich „Ort“ arbeiten müssen, dass die richtigen Kräfte und Stoffe sich gerade so verbinden, wie es gedeihlich ist. Jeder Bauer weiß, als analoges Beispiel, wie konkret Pferd und Mensch mit mehr als nur ihrem physischen Leib und Kräften zusammenarbeiten müssen, wenn es effektiv sein soll. Auch die wesentlichen seelischen- und Bewusstseinskräfte müssen zusammenspielen. In Mensch und Tier wirken auch die Kräfte und Wesen des Universums mit, die wir empfinden und erleben lernen können. Je nach Kategorie werden diese Wesen auch Elementarwesen oder Hierarchien genannt.

 

Es braucht selbstverständlich eine gewisse Offenheit als moderner, naturwissenschaftlich geschulter Mensch, um solches nicht gleich als Spinnerei oder Aberglaube wegzuschieben. Anthroposophische Geisteswissenschaftler sind sich dessen bewusst. Andererseits mögen viele religiöse Menschen den Gedanken, geistige Wesen zu „untersuchen“, als überheblich oder als gar nicht möglich betrachten. Dennoch gibt es Versuche, mit Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Wahrheitssinn diesen Weg der Wissenschaft vom Geistigen zu gehen.

 

Für die Biodynamik ist eine differenzierte Herangehensweise bedeutsam. Oft kommen Menschen zur Biodynamik in der Hoffnung, dass sie eine ökologische Erweiterung der Landwirtschaft bietet. Das tut sie. Zudem lehrt die Biodynamik vieles, was in der Komplementär-Medizin auch gewusst, gelehrt und zielgerichtet eingesetzt wird: einen komplexen Kräftehaushalt von vielen ineinander verwobenen, meist unsichtbaren Kräften, die das Gesunde und Ungesunde bewirken. Diesen kennen zu lernen und effektiv zu handhaben, ist Aufgabe nicht nur des komplementär-medizinischen Therapeuten, sondern auch des Biodynamikers. Abschließend will diese Betrachtung auf eine wichtige erweiternde Perspektive hinweisen: „Hinter“ und in den Kräften des Universums und in der Natur leben und wirken wirkliche Wesenheiten, von „klein“ bis „groß“ mit differenzierten Aufgaben und Wirkungsweisen. Diese Wesen und ihre Wechselwirkungen mit „Kraft“ und „Stoff“ liegen am Anfang und Ende der Biodynamik.

 

 

  Autor: Dr. Andrew Lorand, drlorand(at)gmail.com