Editorial

Ohne Vieh?

Ein ungewöhnliches Thema für eine biologisch-dynamische Zeitschrift. Schließlich ist in dieser Landbauform die Haltung von Tieren selbstverständlich. Wirklich? Reine Ackerbaubetriebe sind inzwischen auch im Ökologischen Landbau gang und gäbe. Es werden mehr mit dem Ersatz der Kühe durch die Biogasanlage. Wettbewerbsverzerrung auf Kosten der Böden? Der Trend weg vom Vieh hat inzwischen den Ökolandbau erfasst. Die Nachfrage nach Gemüse brummt am stärksten, Milchvieh macht viel Arbeit und bringt nach wie vor wenig ein, genauso die Schweine. Steigende Anforderungen an die Tierhaltung und Verarbeitung tierischer Lebensmittel machen das noch aufwändiger. Der Gemischtbetrieb rechnet sich kaum, reine Futterbau- und vor allem Ackerbaubetriebe stehen deutlich besser da. Auch bei Demeter gibt es Höfe ohne Vieh – allerdings dann mit Futter-Mist-Kooperation.

 

Der Betrieb mit Kuh und Schwein (oder Schaf, Huhn etc.) – ein Auslaufmodell? Eher eine Herausforderung an die bäuerliche Struktur und die Familie: Neue Wege sind gefragt, Differenzierung mit der Entwicklung mehrerer Betriebszweige, von denen jeder eine verantwortliche Familie trägt, Kooperation zwischen Betrieben... Warum nicht gemeinsam einen Stall betreiben? Eine Frage auch an die Sozialmodelle und Generationen.

 

Nicht jeder Umsteller übrigens hat eine Milchquote oder das Geld, eine zu kaufen. Mutterkuhhaltung oder eine Kooperation bringt Rindvieh oder Mist auf den Betrieb. Nur: wie viel Tierisches braucht der Hof – mindestens? Wie machen das die großen Betriebe mit viel Fläche und wenig Vieh? Es gibt sicher keine pauschale Antwort, auch unter dem Blickwinkel der nachhaltigen Bodenfruchtbarkeit nicht: Da gilt die Zauberformel: Wiederkäuer + Mistkompost + biologisch-dynamische Präparate. Was stofflich an Mist und Humusförderung nötig ist, entscheidet der Standort. Mit regelmäßigen Bodenuntersuchungen oder Spatenproben sowie einer C-Bilanz, in der den Humus fördernde Maßnahmen erfasst werden, habe ich das als Landwirt im Blick. Denn: biodynamisch funktioniert es besser bei höherem Humusgehalt, das zeigt die Erfahrung vieler Praktiker.

 

Doch hat die Frage nach dem Vieh nicht allein pekuniäre oder nährstoffliche Aspekte. Haustiere waren die Geburtshelfer der Zivilisation. Mit ihrer „In -Dienst- Stellung” begann die technische Revolution der Jungsteinzeit, die den Menschen vom Jäger und Sammler zum Sesshaften machte, Kultur, Siedlungen, erste Kunst und Religion hervorbrachte. Auch das System Alexandrinerklee plus Kuh war eine solche Erfindung – wahrscheinlich im alten Ägypten, ebenso die Einführung der Dreifelderwirtschaft in Europa und später noch fruchtbarerer Varianten, Felder zu nutzen: Immer war das Vieh, meist das Rind, essenziell beteiligt, der Futter-Mist-Kreislauf wurde schrittweise intensiviert. Erst seit der Moderne, mit der Revolution der Energieerzeugung und -ausbeutung, besteht die Möglichkeit, diese Bindung des Menschen ans Vieh durch Einsatz von meist fossiler Energie zu lockern: Aufwändig synthetisierter Stickstoff ersetzt den Kuhdung, Traktoren ersetzen die Zugtiere, Futtermittel aus Übersee die heimische Weide. Erst so wurde überhaupt Spezialisierung denkbar, und es ist gerade 40 – 50 Jahre her, dass flächendeckend Acker und Vieh getrennt wurden. Nachhaltigkeit ginge genau den anderen Weg – dazu gibt es eindeutige wissenschaftliche Statements.

 

Und: Geht da der Landwirtschaft mit dem Verbannen des Viehs in geschlossene automatisierte Ställe oder gar ganz vom Hof etwas verloren? Tiere symbolisieren Leben, sind anfass- und erlebbar, aber fordern uns auf tieferen Ebenen als dem reinen Verstand heraus. Sie sperren sich von ihrem Wesen her stärker gegen zu industriellen Fortschritt als Pflanzen. Wir lernen an und mit den Tieren. Bio-Höfe bieten solche Gelegenheiten oft nicht nur für ihre Mitarbeiter. Der „Lernort Bauernhof”: undenkbar ohne das Vieh in seiner Vielfalt.

 

Ihr