Editorial

Im Schatten der Kuh

Bukolische Idylle, das sind meist Landschaften mit Schafen: unten Lämmlein und wollene Muttertiere, oben Schäfchenwolken, der Schäfer, malerisch einfach gewandet, bläst ein Liedchen auf der Panflöte. Pan, der ziegenfüßige Gott der Wälder und Wiesen, aber auch des volkstümlichen Tanzes und der Musik war Kumpel des Dionysos, der wiederum im antiken Götterhimmel für Fruchtbarkeit, Wein und Ekstase zuständig war. Übrigens Sohn der Persephone, also Enkel der Demeter. Die Schäferdichtung der Antike – es gab wohl sogar Wettbewerbe – wurde erst in der Zeit der Aufklärung wieder ausgegraben: Die griechische Landschaft Arkadien war zu Goethe und Schillers Zeit phantasiertes Sinnbild für den romantischen Ausstieg, Synonym für ein Naturverständnis, das in der Idylle stagniert. Wahrscheinlich reichlich ausgestattet mit Schafen. Denn die gab es zu Goethes Zeiten zahlreich in deutschen Landen. Mitte des 19. Jahrhunderts waren die deutschen Staaten zusammen der weltgrößte Exporteur an Wolle. Kaum vorstellbar, dass es zehnmal so viele Schafe gab wie heute – sie bestimmten das Landschaftsbild mehr als die Kühe.

 

Heute ist einheimische Wolle nichts wert, der Schäfer zahlt beim Scheren drauf. Der Schafbestand sank Anfang der 1970er Jahre deutlich unter ein Million. Waren es nach der Wiedervereinigung noch mal mehr, nimmt der Schafbestand weiter ab, aktuell sind es weniger als 2,5 Mio. Die vielseitig nutzbaren Kleinwiederkäuer werden von Berufsschäfern oder im Nebenerwerb und gerne auch als Hobby gehalten – das geht einfacher als mit einer Kuh. Doch wer davon leben will, braucht mindestens 500 Tiere und die Bereitschaft zu permanent hohem Arbeitseinsatz. Insbesondere die Vermarktung ist schwierig, obwohl Deutschland und die EU Schafe importieren. Das gilt auch für Bio-Schäfereien. Vor allem, wenn sie Fleisch vermarkten. Nennen Sie ein typisch deutsches Gericht mit Schaffleisch ... ? Mir fallen nur welche aus Irland, Griechenland oder Vorderasien ein. So schnell wandeln sich die Gewohnheiten, nach nicht mal hundert Jahren ist das Schaf eine Randerscheinung, auch auf dem Speiseplan.

 

Dabei ist der Verzehr von Schafen nirgendwo mit einem Tabu belegt, wie etwa Schweine im islamischen Kulturbereich, oder Kühe bei den Hindus. Zunächst wohl wegen des Fleisches domestiziert, wurde das Schaf in der Antike bedeutender Lieferant von Kleidungsrohstoff: Die Sage vom "Golden Vließ" deutet an, dass das Wollschaf wohl erst in der Vorantike von Osten her nach Griechenland kam. Und vom Schafmilch verarbeitenden Balkan kam der Yoghurt in den letzten Jahrzehnten zu uns.

 

Das Schaf ist auch Opfertier – Osterlamm, heute noch, es ist biblisches Sinnbild im Gleichnis vom Guten Hirten und Synonym Christi als Lamm Gottes – Agnus Dei. In der christlichen Malerei des Mittelalters ist das Lämmlein mit dem Kreuz im Arm in vielen Darstellungen präsent.

Weltweit gibt es wohl 500 bis 600 Schafrassen – die große Vielfalt zeigt auch die differenzierte Anpassung an die landschaftlichen Verhältnisse. Von Mittelasien bis Alaska kommt das Schaf wild vor.

 

Im Ökolandbau ist die Schafhaltung eher eine Nische: zu ungewiss auch hier die Ertragslage, mehr etwas für den Nebenerwerb oder zur betrieblichen Ergänzung – außer man melkt und macht Käse. Auch das ist viel Arbeit, aber der Käse findet seine Liebhaber. Die Schafhaltung und die Schäfer umgibt auch heute noch ein anderes Flair, als das des bodenständigen Viehbauern, der seine Rinder mästet und vielleicht sogar noch ackert. Diesen "etwas anderen" Öko-Landwirten ist dieses Heft gewidmet.

 

Ihr