Editorial

Landwirtschaft ist mehr.

Landwirtschaft und vor allem der Ökolandbau definieren sich nicht allein über die Produktion: Multifunktional heißt das modern, aber das ist mir zu zweckorientiert gedacht, erinnert zu sehr an Leistung und Entgelt.

 

Landwirtschaft - das bedeutet auch Kulturlandschaft und Vielfalt, Heimat und Urlaub, HighTech und Romantik, Miteinander und Einsamkeit, Lebensform und Arbeitswelt. Landwirtschaft stellt vieles her, neben Lebensmitteln, Rohstoffen, Energie und Zusatznutzen. Sie ist der essenzielle Grund des sozialen Netzwerkes auf dem Land. Da die meisten Menschen Städter sind – auch auf dem Land, nehmen sie das nicht mehr wahr. Auch seitens der Landwirtschaft wird vor allem der Produktionsaspekt hervorgehoben, Agrobusiness, fette Technik oder die besondere Qualität mancher Lebensmittelmarken.

 

Die Erfinder des Ökolandbaus hatten ihre Wirtschaftsweise schon immer viel weiter gedacht als nur auf gesunde Produkte beschränkt: Sie hatten wesentlich auch seine Nebenwirkungen im Sinn, Koppelprodukte und Kollateralnutzen, die gesellschaftliche Rendite, den sozialen Benefit. Hier scheiden sich die alten und die neuen Bios, noch. Denn Landwirtschaft im besten Sinne schafft Raum für Entwicklung (Wie war das noch? "... der Mensch wird zu Grundlage gemacht ..." Steiner im Kurs für Landwirte 1924). Manche nutzen das zum Züchten von Demeter-Saatgut oder erhalten Nutztierrassen, andere beleben Dörfer oder gestalten Plätze für Menschen: Soziale Landwirtschaft. Darum geht es in diesem Heft.

 

Dazu muss man sich als Landwirt erstmal freischwimmen. So wie man als Umsteller (meist noch) der Raiffeisen ade sagen muss, muss man nach und nach seine Souveränität als Landwirt wieder zurückerobern, muss vom – in ökonomischer Sprache – Mengenanpasser zum initiativen landwirtschaftlichen Unternehmer werden: Das Unternehmensziel kann einem keiner vorschreiben, das kann z. B. auch sozialer Mehrwert sein. Das ist etwas anderes als ein Dienstleister, der heute diese, morgen jene Pizza bäckt: echte Multifunktionalität kommt aus dem Betrieb heraus, von seinen Menschen, nicht von außen, nicht auf Bestellung. Von innen kommen die Erneuerungskräfte, hier hat die Landwirtschaft direkt spirituelle Bezüge und Wurzeln, jenseits von Begriffen im Managerjargon.

 

Wie wandlungsfähig Landwirtschaft sein kann, zeigen Ansätze wie Green Care oder Farming for Health in unseren europäischen Nachbarstaaten: Soziale Landwirtschaft. Abseits der Produktionsdoktrin geht also noch Einiges. Denn die Erzeugungsschlacht ist längst geschlagen: heute ernährt ein Landwirt 130 Menschen, 1980 waren es noch 47. Das gilt auch für Biobetriebe. Die Produktivität auf den Höfen stieg binnen 20 Jahren von 1981 bis 2002 um 130%, die Wirtschaft im Durchschnitt erreichte in derselben Zeit nur ein Plus von 88%. Wo soll das hinführen? Wieweit wollen wir die Landwirtschaft noch hetzen?

 

Eigentlich ist hohe Produktivität doch ein Zeichen für reichlich Potenzial. In Wirtschaft und Gesellschaft kreisen schon längst die Begriffe "Entschleunigung" und "Ressource Aufmerksamkeit". Bio-Landwirtschaft kann sich daran ein Beispiel nehmen, etwas anbieten. Zum Beispiel für die, die langsamer sind, denn auch Naturprozesse lassen sich nur bedingt beschleunigen. Biologische Landwirtschaft hat ein Angebot: für Kinder, die Wachstum und Leben erfahren, für Kranke, die Gesundungskräfte erleben, für Manager, die einen Gang zurückschalten und Sinn erfahren können, für behinderte Menschen, die sich hier noch einbringen können, für Alte, die einen Platz suchen, für Menschen, die auf der Suche nach nachhaltigen Werten sind. Dafür gibt es schon zahlreiche Beispiele, gerade auf Demeter-Höfen und im Ökolandbau. Landwirtschaftliche Betriebe können kleine kulturelle Anlaufpunkte werden – die sind gerade auf dem Land nötig.

 

Ihr