Editorial

Ansteckend?
Biodynamisch 2.0

Wir waren damals, Pfingsten 1924, nicht dabei - aber die Begeisterung muss ansteckend gewesen sein. Obwohl sie vieles nicht verstanden hatten, legten die Landwirte unter den Zuhörern der "Anthroposophischen Tagung in Breslau anlässlich des landwirtschaftlichen Kurses" gleich los: Sie gründeten einen Versuchsring und binnen weniger Jahre war die praktische Alternative zur damals noch relativ traditionellen, konventionellen Landwirtschaft auf die Beine gestellt. Mehr als eintausend Betriebe und Gärtner, eine eigene Organisation mit Zweigstellen und Beratung und eine besondere Marke - Demeter - fußten auf der Biologisch-Dynamischen Wirtschaftsweise, die sich auch im europäischen Ausland verbreitete.

 

Das war vor 85 Jahren. Die Bewegung hat Geschwister bekommen, die größer und stärker sind, aber geht es um Eckpfosten des Öko-Landbaus, schauen sie auf ihre ältere Schwester. Tradition verpflichtet, könnte man sagen, doch ist Demeter auch eine Innovationsgemeinschaft, gibt regelmäßig neue Anstöße. Einmal erfunden und dann ausruhen - das ist weder zeitgemäß noch wird es der sich nicht selbst erklärenden Quelle, dem Landwirtschaftlichen Kurs, gerecht. Der Geist des Versuchsrings aus dem Gefühl heraus, vieles Wichtige noch nicht verstanden zu haben, kann eben auch eine Motivation sein, genau hinzuschauen: Vor allem, wenn es um das Wirken in und mit Lebendigem geht - dem natürlichen Arbeitsfeld der Landwirte.

 

Und zu einer ganzheitlichen Sicht sind wir heute auf vielen Feldern aufgerufen: Welchen Beitrag kann Steiners "rationelle Landwirtschaft" angesichts der vielfältigen Probleme im Agrarbereich leisten? Und in welcher Form ist sie weiter zu entwickeln? Angesichts von weltweiten Bodenverlusten, dem Aufheizen der Erde, von Menschen, die verlernen, für ihre Ernährung zu sorgen, angesichts technischer Gleichschaltung der Agrarwirtschaften für den Weltmarkt und Bemächtigung der Lebensvorgänge, die eigentlich einer Haltung der Pflege bedürfen, durch Technokraten, Ökonomen, Labore und Patente?

 

Der Impuls zu einer neuen Landbaukultur reicht sicher weiter als bis zu Richtlinien und Markenzeichen, weiter auch, als nur Wurzel am Fuße des abhebenden Agrobusiness zu sein, oder Dorn im Auge der Gentechnikfreunde. Biologisch-dynamisches Denken und Handeln kann die Debatte in Ökolandbau und Gesellschaft anregen, Werte, auch spirituellen Ursprungs; kultivieren und da hineintragen. Der besondere Erkenntniszugang als Methode - das, was hier und da beginnt, der Landwirt als Lehrer, Höfe als Lehrstätte für Lebendiges, vom Erleben, Pflegen bis zum Erkennen und Forschen - das gilt es auszuarbeiten, letztlich eine Bildungsaufgabe. Und zeigen, dass Biodynamisch nicht Landbau auf dem Weg zurück zur Natur ist, sondern innovative ganzheitliche Wege für die Landbaukultur von Morgen erprobt, bis hin zu Wirtschafts- und Eigentumsformen.

 

Das alles steckt in dem roten Buch, genannt der "Landwirtschaftliche Kurs"? Wenn wir uns anregen lassen, noch mehr: Lassen wir uns überraschen, was die Generation von morgen da herausliest. Um die sollten wir uns allerdings verstärkt bemühen, indem wir zeitgemäße Antworten und Ausstrahlung gewinnen.

 

Die letzten 85 Jahre jedenfalls waren schon mal ein guter Anfang.

 

PS: Übrigens ist Lebendige Erde auch schon im 60sten Jahr.

 

Ihr